Kommentar
Ukraine: Deeskalation statt Einreiseverbote
«Die russischen Einreiseverbote für 89 europäische Politiker sind nicht besonders klug und kein Beitrag zu Bemühungen, einen hartnäckigen, gefährlichen Konflikt in der Mitte Europas zu entschärfen.» Mit dieser Bewertung hat der deutsche Aussenminister Steinmeier Recht. Sie gilt allerdings auch für die von EU und USA verfügten Einreiseverbote für russische Politiker, die gegen Moskau verhängten Wirtschaftssanktionen sowie für die Suspendierung der russischen Mitgliedschaft in der G-8. Denn all diese Massnahmen waren und sind auch weiterhin nicht dazu geeignet, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland und Moskaus hybriden Krieg in der Ostukraine zu verhindern oder zu beenden. Ihr Scheitern war absehbar und wurde von Kennern der russischen Politik auch vorausgesagt.
Diese Massnahmen sowie die militärischen Reaktionen der NATO auf das russische Vorgehen wirken sogar kontraproduktiv. Sie haben die Hardliner und Sowjetnostalgiker in Moskau gestärkt und die Spielräume der demokratischen Opposition gegen Putins repressive Innenpolitik weiter eingeschränkt. Zudem bewegt sich Russland immer deutlicher weg von einer Kooperation mit dem Westen hin zum Aufbau eines Gegenblocks gemeinsam mit den anderen BRICS-Staaten Brasilien, Indien, China und Südafrika.
Ein verlässliches Ende der inner-ukrainischen Gewaltauseinandersetzungen, das dann auch politische Reformen und die wirtschaftliche Stabilisierung des Landes ermöglicht, wird es nur nach einer Überwindung des geopolitischen Konflikts zwischen dem Westen und Russland geben. Voraussetzung dafür ist, dass die Mitgliedstaaten von NATO und EU endlich ihre erhebliche Mitverantwortung für das Entstehen dieses Konflikts seit Ende des Kalten Krieges begreifen und erste Schritte zu seiner Deeskalation ergreifen, die dann auch entsprechende Schritte Russlands ermöglichen.
Ein wesentlicher Deeskalationsschritt des Westens wäre der klare Beschluss der NATO, dass eine Aufnahme der Ukraine sowie auch Georgiens und Moldawiens nicht in Frage kommt. Mit einem entsprechenden Vorschlag könnte Aussenminister Steinmeier die Dynamik des Ukrainekonflikts endlich in eine positive Richtung bewegen. Ansonsten könnte Steinmeier auch Recht behalten mit seiner kürzlich geäusserten Befürchtung, dass die brüchige Waffenruhe, die seit dem Minsk-2-Abkommen vom Februar in der Ostukraine herrscht, in den nächsten Wochen wieder zu einem blutigen Bürgerkrieg eskaliert.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Andreas Zumach ist spezialisiert auf Völkerrecht, Menschenrechtspolitik, Sicherheitspolitik, Rüstungskontrolle und internationale Organisationen. Er arbeitet am europäischen Hauptsitz der Uno in Genf als Korrespondent für Printmedien, wie beispielsweise die tageszeitung (taz), Die Presse (Wien), die WoZ und das St. Galler Volksblatt, sowie für deutschsprachige Radiostationen und das Schweizer Fernsehen SRF. Bekannt wurde Zumach 2003 als Kritiker des dritten Golfkrieges. Im Jahr 2009 wurde ihm der Göttinger Friedenspreis verliehen.
Warum erklärt sich die Ukraine nicht neutral wie die Schweiz?
Neutrale Staaten können mit allen Staaten zusammenarbeiten, so lange sie glaubwürdig neutral sind!
Ich habe die USA und die NATO im Verdacht, dass sie gar keine Deeskalation im Konflikt mit Russland um die Ukraine wollen! Für die Bevölkerungen Europas und Russlands ist das nicht gut. Die Eliten Europas handeln provokativ und realitätsfremd an den Interessen ihrer Bürgerinnen und Bürger vorbei. Es ist meiner Ansicht nach heuchlerisch, zu sagen es gehe um die territoriale Integrität der Ukraine. «Der neu gewählte sowjetische Parteiführer Nikita Chruschtschew gab die russische Krim im Jahr 1954 der Ukraine zum Geschenk. Was genau bezweckte er damit?» NZZ 20.4.2014. Die Krim gehörte demzufolge vorher zu Russland. Territoriale Integrität: Gibraltar ist auf spanischem Territorium und die Islas Malvinas (sogenannte Falklandinseln) liegen vor Argentinien.