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Konnte einen starken Anstieg bei den Parteispenden verbuchen: Marine Le Pen, Kopf des Nationalen Zusammenschlusses. © Claude Truong-Ngoc / Wikimedia Commons

Parteispenden: Jeder vierte Euro für extremistische Parteien

Philippe Stalder /  Im EU-Parlament verzeichnen Hardliner einen sprunghaften Anstieg der Spenden. Das zeigen neue Zahlen von 200 Parteien.

Europa wählt diese Woche sein Parlament: Noch bis zum 9. Juni können die Bürger der 27 Mitgliedstaaten Kreuze für ihre Vertreter in Brüssel setzen. Wahlkampfbudgets spielen dabei eine zentrale Rolle. Mit Geld können Kandidierende Kampagnen finanzieren, um unentschlossene Wählerinnen zu mobilisieren und Bindungen zu bestehenden Wählern zu stärken. Dabei zählen Spenden zu den Haupteinnahmequellen politischer Parteien. 

Wie eine neue Analyse der investigativen Plattform «Follow the Money» erstmals zeigt, flossen während des untersuchten Zeitraums von 2019 bis 2022 über 150 Millionen Euro an populistische und extreme politische Parteien. Dies entspricht rund einem Viertel des untersuchten Spendenvolumens. Wenn man weitere finanzielle Zuwendungen aus nicht-öffentlichen Quellen einbezieht – insbesondere Mitgliederbeiträge und Spenden eigener Politiker – haben Hardliner und populistische Parteien während der untersuchten vier Jahre knapp eine halbe Milliarde Euro eingenommen.

Anders als in der Schweiz – wo Parteien erst seit letztem Jahr Spenden von über 15’000 Franken offenlegen müssen – sind Parteien in den meisten Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, ihre Gesamteinnahmen aus privaten und öffentlichen Quellen öffentlich zu machen. Die Regeln variieren dabei aber stark.

So veröffentlichen rund drei Viertel der Länder nur unvollständige Angaben darüber, welche Personen oder Unternehmen hinter den Spenden stehen. Dennoch handelt es sich gemäss Autoren bei dieser Auswertung um die «umfassendste» ihrer Art.

97 Mio. Euro für rechtsextreme Parteien

Wie die Auswertung zeigt, haben rechtsextreme Gruppen während der untersuchten vier Jahre mehr als 97 Millionen Euro eingenommen. Als rechtsextrem werden Parteien dann klassifiziert, wenn sie nationalistische und autoritäre Ideologien propagieren. Dazu zählen etwa die Alternative für Deutschland, die Freiheitliche Partei Österreichs, der französische Nationale Zusammenschluss (ehemals Front National), oder die Brüder Italiens. Die Autoren richten sich bei der Klassifizierung extremer Parteien nach den Kriterien der Forschungsgruppe «The PopuList».

In vielen Ländern war der Spendenanstieg extremer Parteien im Vergleich zu früheren Wahlen sprunghaft. In Frankreich etwa haben drei Parteien am äussersten Rand des politischen Spektrums – Marine Le Pens Nationaler Zusammenschluss sowie die Reconquête (deutsch: Rückeroberung) auf der rechten Seite und La France Insoumise auf der linken Seite – einen starken Anstieg der finanziellen Unterstützung erfahren. Nahmen diese drei Parteien zusammen 2019 lediglich 13 Prozent aller nicht-öffentlichen Zuwendungen ein, waren es 2022 bereits 38 Prozent. Es war das Jahr, als Emmanuel Macron in der Stichwahl um die Präsidentschaft gegen Marine Le Pen antrat.

In Lettland gehen Beobachter bei den anstehenden Wahlen von einer starken Zunahme antieuropäischer und populistischer Abgeordneter aus. Dort ist der Anteil dieser Parteien an der nicht-öffentlichen Finanzierung innerhalb von vier Jahren von 9 Prozent auf 36 Prozent angestiegen. Dies sei hauptsächlich auf die populistische Mitte-Rechts-Partei Latvia First zurückzuführen, so die Autoren der Studie.

In Slowenien, Italien, Polen, Ungarn, Portugal und Griechenland haben rechtsextreme, linksextreme und populistische Parteien zusammengenommen sogar mehr als die Hälfte sämtlicher nicht-öffentlichen Mittel erhalten.

Ungarns regierende Fidesz-Partei, welche die staatliche Parteienfinanzierung verringert hatte, nahm zuletzt 55 Prozent aller nicht-öffentlichen Gelder ein. In Polen hat ein enger Verbündeter der Fidesz – die rechtsextreme Partei Recht und Gerechtigkeit – 44 Prozent aller nicht-öffentlichen Geldern erhalten.

In Italien entfielen 55 Prozent der nicht-öffentlichen Mittel auf die vier populistischen Parteien Brüder Italiens von Giorgia Meloni und die Lega von Matteo Salvini sowie die Forza Italia und die Fünf-Sterne-Bewegung.

Auch die Spendenbeiträge an linksradikale Parteien nahmen stark zu, insbesondere in südeuropäischen Ländern. So erhielt etwa die Kommunistische Partei Griechenlands mehr als die Hälfte der nicht-öffentlichen Mittel des Landes, während ihr portugiesisches Pendant, die Partido Comunista Português, über 50 Prozent davon erhielt.

Fortschreitende Polarisierung der Wählerschaft

Der Spendenanstieg extremer und populistischer Parteien geht einher mit der fortschreitenden Polarisierung der europäischen Wählerschaft. Die beiden rechten Fraktionen ID (Rechtsextreme und Rechtspopulisten) sowie EKR (Rechtspopulisten, Rechtskonservative und Nationalisten) halten zusammen 127 von 705 Sitzen im EU-Parlament. Umfragen zufolge dürften sie bald auf 185 Sitze kommen. Zählt man rechtsgerichtete fraktionslose Parteien wie die ungarische Fidesz oder die französische Reconquête dazu, könnte das rechte Lager bald über 220 Sitze halten – knapp ein Drittel des EU-Parlaments. Die Linke-Fraktion dürfte bei der Europawahl ebenfalls zulegen, wenn auch weniger stark als die beiden rechten Fraktionen.

Auch in den nationalen Parlamenten spielen populistische Parteien eine immer wichtigere Rolle, in einigen Ländern sind sie bereits die stärkste politische Kraft. In Ungarn, Italien und Kroatien stellen sie den Regierungschef oder die Regierungschefin, in der Slowakei und in Finnland sind sie Koalitionspartner. 

Als Ursache für die Polarisierung der europäischen Wählerschaft sehen viele Beobachter eine zunehmende Verunsicherung der Bevölkerung: Corona, Inflation, Zuwanderung, Kriege in der Ukraine und in Gaza, Klimapolitik, Genderdiskussion. Die Angst vor sozialen und wirtschaftlichen Problemen – und die Unfähigkeit gemässigter Parteien, diese glaubhaft zu adressieren – spielen extremen und populistischen Parteien in die Hände.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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4 Meinungen

  • am 7.06.2024 um 15:17 Uhr
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    Was soll das Theater? Die aktuellen Regierungen politisieren am Volk vorbei: es geht den Bürgern immer schlechter, die Kriegsgefahr steigt weil unsere Regierungen nicht verhandeln wollen, sondern noch mehr Waffen liefern an einen korrupten Oligarchenstaat, es werden jede Menge neue Vorschriften erlassen zum Heizen, Stromverbrauch u.a.m.
    Kein Wunder, dass da dem Normalbürger der Kragen platzt: Man MUSS andere Parteien wählen.

    • am 8.06.2024 um 22:15 Uhr
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      Absolut korrekt. Als kritisches Medium müsste der INFOSPERBER wissen wie die etablierten Medien und Politiker in den letzten Jahren mit anderen Meinungen umgehen: Totschweigen, negieren oder offen bekämpfen. Die Empörung über das Erstarken dieser FAR LEFT/FAR RIGHT (extremistisch?) ist also nicht angebracht

    • am 10.06.2024 um 14:45 Uhr
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      Dass die «radikale Mitte» nicht wählbar ist für Menschen mit Verstand ist klar aber hier nicht der Punkt. Es ist doch eher nicht zu erwarten, dass Kleinbürger diese Spendensummen ausgeben. Politik ist ein Geschäft, du finanziert eine Partei und die entscheidet im Falle der Amtsbesetzung un deinem Sinne (im Rahmen ihrer Möglichkeiten gem. öfftl. Meinung). Daher wäre es gut zu wissen woher das Geld kommt und wessen Lakei die vermeintlichen Volksverfsteher dann sind.

  • am 7.06.2024 um 19:39 Uhr
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    Ich verstehe nicht, weshalb die rechtsextremen und die linken Parteien vom Autor in einem Atemzug genannt werden. Während sich rechte Parteien für Ausgrenzung und für die Spaltung der Bevölkerung in Alteingesessene (mit allen Rechten) und Neuzuzüger:innen oder Personen anderer Herkunft (mit möglichst wenig Rechten) einsetzen, und dafür auch von Konzernen mitfinanziert werden – teile und herrsche, man kennt das aus dem «1000-jährigen» Reich – kämpfen die Linken für sozialen und ökologischen Fortschritt, Gleichberechtigung, Frieden, Bildung für Alle, Wohnungen für Alle, für die Verbesserung des Gesundheitswesens und der Lage der Armen in der Gesellschaft. In diesem Sinne ist es verständlich und erfreulich, dass als Resultat der Deformation unserer Gesellschaften durch Kriege und zunehmende Armut auch die echten Linken nun etwas mehr Geld erhalten, wenn auch leider viel weniger als die Rechten.

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