Hohe Preise: Lebensmittelkonzerne zur Kasse bitten
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen als «Inflation und Konzernmacht – zur Kasse bitte!» bei Oxfam Deutschland. Infosperber durfte ihn mit freundlicher Genehmigung des Autors übernehmen.
Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine sind die Preise nicht nur für fossile Kraftstoffe, sondern auch für Lebensmittel in die Höhe geschossen. Im März 2022 verzeichneten die Vereinten Nationen den grössten Nahrungsmittel-Preissprung seit Beginn der Aufzeichnungen 1990.
Doch nur ein Teil der Preissteigerungen geht auf reale wirtschaftliche Auswirkungen des Krieges, wie den Rückgang russischer Rohstoff- oder ukrainischer Getreidelieferungen, zurück. Marktmächtige Konzerne und Ivestor*innen profitieren von allgemein steigenden Preisen und nutzen die unsichere Weltlage, um ihre Gewinne zu steigern. Völlig zurecht werden daher Massnahmen wie eine Übergewinnsteuer und ein kartellrechtliches Entflechtungsinstrument diskutiert.
Rekordprofite im Lebensmittelsektor
Bereits 2021 stiegen die weltweiten Lebensmittelpreise um astronomische 33,6 Prozent, im März 2022 erreichte der FAO Food Price Index ein Rekordhoch von 159,7 Punkten. Während von dieser Entwicklung vor allem der Globale Süden und Menschen mit niedrigen Einkommen betroffen sind und sich mehrere Länder kurz vor einer Hungersnot befinden, machten andere Kasse: Milliardäre, die den Grossteil ihres Vermögens im Nahrungsmittel- und Agrarbereich haben, konnten ihr Vermögen in den letzten zwei Jahren um 45 Prozent (383 Milliarden US-Dollar) steigern.
Für die USA schätzt der Ökonom Matt Stoller, dass ganze 60 Prozent der jüngsten Preisanstiege darauf zurückzuführen sind, dass grosse Unternehmen ihre Profite erhöht haben. Gegenüber Investor*innen und in einer Umfrage gaben Handelsketten diese Geschäftspraxis zu: Sie erhöhten ihre Preise stärker als ihre Kosten gestiegen waren. Der Lebensmittelexperte Errol Schweizer begründet dies mit der hohen Marktkonzentration bei Produzenten- und Einzelhandelsfirmen in den USA, auch für Grossbritannien liegt eine Studie dazu vor.
Sind deutsche Supermärkte Krisenprofiteure?
Zwar sind die Preiskalkulationen der Handelsketten selbst nicht einsehbar und erlauben so keine genaue Aussage, welcher Anteil der Inflation auf gestiegene Kosten zurückzuführen ist und welcher auf gestiegene Gewinne.
Auch sind die deutschen Supermarktkonzerne nicht an der Börse notiert und legen keine Finanzberichte vor. Doch die Indizien mehren sich, dass die vier grossen Ketten Aldi, Edeka, Rewe sowie die Schwarz-Gruppe aus Lidl und Kaufland, die 85 Prozent des Lebensmitteleinzelhandels beherrschen, von der Krise profitieren.
- Im Mai 2022 waren Lebensmittel allgemein um 11,1 Prozent teurer als im Vorjahresmonat. Besonders Sonnenblumenöl wurde verstärkt nachgefragt, da aus den grossen Produktionsländern Russland und Ukraine ein Einbruch der Lieferungen vorherzusehen war. Doch stieg der Weltmarktpreis seit Kriegsbeginn um etwa 60 Prozent an, während sich in deutschen Supermärkten Preissteigerungen um bis zu 270 Prozent fanden.
- Eine Analyse für die Lebensmittelzeitung kommt zu dem Schluss, dass die grossen Handelsketten zwischen Anfang März und Ende April zwar bei Markenprodukten die Preise relativ stabil hielten – also in Verhandlungen mit den Herstellern hart bleiben. Bei ihren Eigenmarken dagegen gab es deutliche Preissprünge um 10 bis 20 Prozent für einen Warenkorb. Das Eigenmarken-Mineralwasser der Supermärkte wurde sogar um durchschnittlich 32 Prozent teurer.
- Die Verbraucherzentrale Hamburg führte das Beispiel Erdbeermarmelade an, die bereits Wochen vor der hiesigen Erntesaison innerhalb kurzer Zeit um 20 Prozent teurer geworden sei. Paradox dabei: Die Erdbeerpreise fielen in Folge zu geringer Nachfrage so stark, dass Erdbeerbauern ganze Felder ungeerntet liessen.
Diese Entwicklungen sind nicht allein mit dem Ukraine-Krieg oder Verwerfungen durch die andauernde Covid-19-Pandemie zu erklären. Vielmehr deuten sie auf «Mitnahmeeffekte» hin: Die Supermärkte nutzen die Gunst der ohnehin steigenden Preise, um aus der Krise Profit zu schlagen.
Oxfam fordert daher eine Übergewinnsteuer (englisch: windfall tax) auf solche Krisengewinne, um die drastischen sozialen Folgen für Geringverdienende und wirtschaftlich benachteiligte Länder abzufedern. Während mehrere europäische Länder wie Grossbritannien, Italien und Ungarn solche Steuern für den Energie- oder Bankensektor schnell auf den Weg brachten, scheitert diese dringend notwendige Umverteilungsmassnahme bisher am Widerstand des deutschen Finanzministeriums.
Fehlender Wettbewerb
Der wichtigste Faktor für die übermässigen Preissteigerungen ist in der Marktkonzentration zu finden. Unter Wettbewerbsbedingungen müssten Unternehmen Abstriche bei ihren Gewinnen machen, wenn ihre Kosten steigen.
Dagegen können Monopolisten (marktmächtige Verkäufer) und Monopsonisten (marktmächtige Einkäufer, wie die Supermarktketten) einerseits härter gegenüber den Zulieferfirmen verhandeln und gleichzeitig ihre Preise nach oben treiben.
Das heisst, Erzeuger*innen oder Arbeiter*innen dürften von den höheren Preisen kaum profitieren. Dies geschieht weniger durch (illegale) Preisabsprachen, vielmehr orientieren sich die Unternehmen in der Preissetzung aneinander.
Deshalb ist es überfällig, dass sich die deutsche Bundesregierung mit der Einführung eines missbrauchsunabhängigen Entflechtungsinstruments beschäftigt. Damit würde das Bundeskartellamt ermächtigt, marktbeherrschende Konzerne in schwerwiegenden Fällen zu entflechten – das heisst, zu zerschlagen. Oxfam fordert bereits seit langem ein solches Instrument im Rahmen der Initiative «Konzernmacht beschränken».
Im Lebensmitteleinzelhandel hat die Konzentration in den letzten Jahrzehnten rapide zugenommen, der Markt wird vom Bundeskartellamt als «hochkonzentriert» bezeichnet. Keine der Übernahmen und Fusionen in diesem Sektor wurden verhindert, die Übernahme von Kaisers-Tengelmann durch Edeka sogar vom damaligen Wirtschaftsminister Gabriel forciert.
Gefahr für die Demokratie
Dabei sind zu hohe Preise lediglich eines von vielen Symptomen. Übermächtige Konzerne können über komplizierte Unternehmensgeflechte Steuern vermeiden und sich Regulierungen entziehen. Und: Die Machtstellung grosser Konzerne gefährdet unsere Demokratie, da die dringend notwendigen Reformen hin zu einer sozial-ökologischen Wirtschaft gegen ihren Druck immer schwerer durchsetzbar sind.
Ein «Kartellrecht mit Klauen und Zähnen», wie es der deutsche Wirtschaftsminister Habeck im Zuge der Diskussion um den Tankrabatt ankündigte, ist daher notwendig, um der Übermacht der Grosskonzerne etwas entgegenzusetzen und die Auswirkungen der Krise abzumildern.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Steffen Vogel ist Referent für globale Lieferketten und Menschenrechte im Agrarsektor bei Oxfam Deutschland.
Auch die Verwerfungen an den Börsen dürften einige Investoren dazu verleiten, sich mehr in den «commodity-Markets», inkl. Getreidebörsen «zu bedienen».
Das aktuelle Kartellrecht in den meisten westlichen Staaten ist zur reinen «Dekoration» verkommen, so dass das Risiko für Spekulanten in diesem Bereich praktisch Null ist.
Wie der Text zeigt, hat die Spekulation auf Erdbeerpreise vor allem die Erdbeerbauern stark betroffen, während die grossen Handelsketten getrost ihre Gewinne über Zeit absichern können.
Von Interesse in diesem Zusammenhang wäre wohl eine bessere Regelung der Terminmärkte.
Die Rolle von Genf als Zentrum des Erdöl- und Getreidehandels dürfte wohl auch von Interesse sein.
In einer Demokratie liegt das Problem nicht bei den Konzernen, denn die handeln gemäss den ungeschriebenen Gesetzen der Marktwirtschaft. Die Verantwortung, das zu ändern, liegt bei den Medien, den Wählern und den Politikern – in dieser Reihenfolge. InfoSperber hat das erkannt und macht den Souverän auf Missstände aufmerksam. Letzterer hat zwei einfache aber starke Waffen, um Taten folgen zu lassen: Erstens, die Läden bzw. die Produkte zu boykottieren, deren Preise beanstandet werden; zweitens, die Politiker auf diese Massnahmen aufmerksam zu machen und ihnen klarmachen, dass eine fehlende, unterstützende Reaktion ihrerseits zu ihrem Abwahl führen würde.
Schön ware es. Die Konzerne hebeln die «ungeschriebenen Gesetze der Marktwirtschaft» zu einem grossen Teil aus. Ihre Lobbys sind so stark, dass Parlamente nicht mehr in der Lage sind, ein griffiges Kartellgesetz zu verabschieden und Marktbedingungen durchzusetzen. Viele Konzerne sind heute zudem «too big to fail», so dass sie – im Gegensatz zu KMUs – hohe Risiken eingehen können. Wenn es schief läuft, können sie auf die Hilfe des Staates zählen. Neuster Fall: Die 15 Milliarden-Hilfe des deutschen Staates an den Energiekonzern Uniper. Dieser hatte seinen Abnehmern langfristige Gaslieferungen zu abgemachten Preisen vertraglich zugesagt, jedoch mit den russischen Öllieferanten nur kurzfristige Verträge abgeschlossen. Falsch spekuliert. Doch jetzt kommen eben nicht die «ungeschriebenen Gesetze des Marktes» zur Anwendung.
Die Lobbys sind ja auch Teil der ungeschriebenen Gesetze. Ungeschrieben, weil sie den Prinzipien der Demokratie widersprechen: Solange wir dem Primat der Konkurrenz über den der Kooperation huldigen, können wir nicht von Freiheit, Gleichheit und Solidarität reden. Diese drei kommen nur zur Geltung, wenn das vierte Prinzip befolgt wird: Die Verantwortung.
Mit 87 hoffe ich immer noch, dass nicht nur InfoSperber sondern alle Medien diese Zusammenhänge den Wählern erklären können. Es wäre eigentlich Aufgabe der Schulen, doch die haben es bisher leider nicht geschafft.
Den Vogel abgeschossen hat Globus Delicatessa in Zürich vor ein paar Wochen: Kirschen zu CHF 5.50 per 100 Gramm. Macht CHF 55.00 pro Kilo. Klar: niemand wird gezwungen, diese Kirschen zu kaufen. Und das Prinzip der freien Marktwirtschaft – Angebot und Nachfrage – gilt nach wie vor. Wo allerdings die Grenze zum Wucher liegt… Steff la Cheffe singt ja «ha ke Ahnig..»