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Demonstration gegen das EU-Spardiktat © PressTV

Griechenlands Total-Ausverkauf

Ernst Wolff /  Das Ergebnis der EU-Verhandlungen kommt einem Selbstmord auf Raten gleich.

Nur wenige Tage nach der Kapitulation der Syriza-Regierung in Athen haben die Kreditgeber an diesem Wochenende alle Zurückhaltung über Bord geworfen und eine klare und unmissverständliche Botschaft ausgesandt. Sie kommt einem Total-Ausverkauf Griechenlands und einem Affront des griechischen Volkes gleich.

Wirtschaftliche Erholung? Interessiert uns nicht.

Die Forderungen gehen weit über das Kompromissangebot, das Syriza vergangene Woche vorgelegt hat, hinaus und machen vor allem eines klar: Es geht nicht um eine Erholung der griechischen Wirtschaft und auch nicht um die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit des Landes, sondern einzig und allein um seine Plünderung im Auftrag internationaler Investoren. Leidtragende werden in erster Linie wieder die schwächsten und hilfsbedürftigsten Mitglieder der Gesellschaft sein.

Entgegen dem von Politikern wie Jean-Claude Juncker oder Martin Schulz in zahlreichen Talkshows gezeigtem Mitleid mit der humanitären Katastrophe in Griechenland wird dem Land eine weitere Reform der Altersrenten zugemutet, die viele griechische Senioren endgültig in Armut und Hunger treiben wird. Selbst die unfassbare Zahl von siebentausend Selbstmorden verzweifelter und durch sechs Sparprogramme um ihre Existenz gebrachter Menschen halten die Politiker aus Brüssel, Frankfurt und Washington nicht von dieser Massnahme ab, die auch noch von einer Erhöhung der Mehrwertsteuer – die immer die Ärmsten am härtesten trifft – begleitet wird.

Privatisierung – wider alle Erfahrungswerte

Die geforderte Privatisierung des staatlichen Stromnetzbetreibers Admie wird nicht nur die Rentner, sondern alle Bezieher kleiner Einkommen in noch grössere Not bringen. Wie diverse Beispiele dieser vom IWF in zahlreichen Ländern bereits erprobten Massnahme zeigen, werden die ausländischen Konzerne, die diesen Wirtschaftsbereich übernehmen, alles daran setzen, in kürzest möglicher Zeit höchstmögliche Profite zu erwirtschaften. Ein Blick nach Nigeria, wo diese Massnahme zuletzt durchgeführt wurde, zeigt zudem, dass sich die Versorgungslage nach der Privatisierung erheblich verschlechtert.

Im übrigen dient diese Massnahme wie auch die Einrichtung des Treuhandfonds, an den griechisches Staatsvermögen im Werte von 50 Milliarden Euro übertragen werden soll, auch einer ganz bewussten Schwächung und Demütigung der durch ihren Wahlbetrug am griechischen Volk angeschlagenen Syriza-Regierung. Der Versorgungsbereich in Griechenland wird nämlich weitgehend von den Gewerkschaften beherrscht. Syrizas erzwungene Zustimmung zu seiner Privatisierung kommt einer Kapitulation in Raten Raten gleich und bereitet einen Regime-Wechsel in Athen vor. Die Troika will an Syriza ein Exempel statuieren: Auch wenn Tsipras und seine Weggefährten in der vergangenen Woche bedingungslos kapituliert haben, wird die Troika ihnen ihre fünfmonatige – wenn auch nur halbherzig und zur Täuschung griechischer Wähler geführte – Auflehnung gegen die Austeritätspolitik niemals verzeihen.

Dazu dient auch die ausdrückliche Forderung, ab sofort alle ins Parlament eingebrachten Gesetzesentwürfe Wort für Wort mit der Troika abzusprechen – eine Massnahme, die die seit 2010 nicht mehr vorhandene Souveränität des Staates Griechenland noch einmal drastisch illustriert.

Die Mittelschicht wird stranguliert

Die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer im gastronomischen Bereich ist der Todesstoss für tausende von Familienbetrieben, von denen einhundertachtzigtausend bereits mit dem Bankrott kämpfen. Sie wird die Zahl der siebzigtausend bereits in den Konkurs getriebenen Betriebe dramatisch erhöhen. Lokal gefärbte Cafes, Bistros und Restaurants werden globalen Ketten wie Starbucks, McDonalds oder Subway weichen und das Gesicht der Städte grundlegend verändern.

Die geplanten Arbeitsmarktreformen, die die Ausbeutung der ohnehin ums Überleben kämpfenden Beschäftigten noch weiter verschärfen und auch auf den ersten Blick weniger wichtige Massnahmen wie die Ausweitung der Ladungsöffnungszeiten auf den Sonntag werden vor allem kleine und mittelständische Betriebe treffen und zeigen symbolisch, wohin die Reise geht: Im Hintergrund lauern bereits hunderte große international operierende Konzerne, um alles, was sich ihnen in Griechenland an mittelständischen Betrieben bietet, zu schlucken oder nach deren Konkurs durch eigene Filialen zu ersetzen.

Aber nicht nur Investoren warten: Auch Spekulanten aus aller Welt stehen bereit, um demnächst zu Niedrigstpreisen auf Einkaufstour zu gehen und die finanzielle Not der Inländer und der griechischen Banken auszunutzen und ihnen Aktien, Immobilien und andere Vermögenswerte zu Spottpreisen abzukaufen. Währungsspekulanten rechnen bereits durch, in welcher Höhe sie sich in Griechenland verschulden sollen, um ihre Kredite nach der Einführung einer Parallelwährung, deren Wert um mindestens 50 Prozent unter dem Euro liegen wird, zurückzuzahlen und auf diese Weise Kasse zu machen.

Die endgültige Katastrophe wird nur aufgeschoben

Die Bösartigkeit, die sich hinter diesem Szenario verbirgt, ist kaum fassen, denn selbst wenn Griechenland alle Massnahmen erfüllen sollte, die ihm von den Geldgebern aufgezwungen werden, so wird das seinen Untergang nicht verhindern. Der Schuldenberg ist so riesig, dass er niemals zurückgezahlt werden kann. Und alle jetzt angeordneten Massnahmen werden dazu führen, dass die Wirtschaft weiter in die Knie gezwungen und die Einnahmen des Staates weiter verringert werden.

Das heisst: Die Finanzsituation Griechenlands wird sich weiterhin von Tag zu Tag verschlechtern und mit unerbittlicher Logik zum Crash führen. Aber selbst diesen Fall haben die Geldgeber bereits in ihren Master-Stufenplan integriert. Auf Stufe 1 lautet die Devise: Die Folgen der Krise so lange wie möglich auf das griechische Volk abwälzen, um sich selbst, so weit es irgend geht, daran zu bereichern. Stufe 2 soll gezündet werden, wenn die Katastrophe eingetreten ist. Dann wollen die Geldgeber mit prall gefüllten Portemonnaies über ein zerstörtes und am Boden liegendes Land herfallen und es «wieder aufbauen».

Zwei unberechenbare Faktoren

Es gibt in diesem Kalkül jedoch zwei unberechenbare Faktoren: Zum einen die Tatsache, dass ein jederzeit möglicher Zusammenbruch des globalen Finanzsystems alle Zukunftspläne zunichte machen könnte. Um diesen Crash zu verhindern, tun die Zentralbanken in aller Welt derzeit alles, was in ihrer Macht steht: Das Zinsniveau wird immer weiter nach unten (bis in den Minusbereich) gedrückt und es wird ohne Rücksicht auf (zukünftige) Verluste immer mehr Geld erzeugt.

Der zweite Faktor ist der Widerstand des griechischen Volkes. Den haben Tsipras und seine politischen Helfershelfer durch ihren historischen Verrat vorerst einmal schwer erschüttert. Doch wenn die Geschichte von zweitausend Jahren menschlicher Geschichte eine Lehre enthält, dann diese: Kein Volk ist auf Dauer bereit, seinen eigenen Untergang kampflos hinzunehmen. Auch Griechenland nicht. Und auch Menschen nicht, die bis vor einer Woche den Versprechen wie Tsipras und Varoufakis geglaubt haben. Deshalb wird die Durchsetzung der von den Geldgebern geforderten Massnahmen in den kommenden Tagen dazu führen, dass sich das griechische Volk nicht nur gegen sie, sondern auch gegen deren Verbündete in der Regierung in Athen erhebt.

Was dann geschieht, lässt sich derzeit nur erahnen. Brennende Ministerien und Banken, ein Eingreifen des Militärs und die Errichtung eines faschistischen Regimes in Athen sind ebenso möglich wie ein auf andere südeuropäische Länder übergreifender Flächenbrand, der sich in länderübergreifende Bürgerkriege verwandeln könnte.

Doch egal, ob globaler Crash oder soziales Chaos: Auf jeden Fall wird der Lauf der Ereignisse schon sehr bald in eine geschichtliche Phase münden, die von dem nackten Überlebenskampf verzweifelter, erniedrigter und gedemütigter Menschen gegen die an diesem Wochenende einmal mehr vor den Augen der internationalen Öffentlichkeit zur Schau gestellte eiskalte Arroganz der Herrschenden aus Wirtschaft und Politik geprägt sein wird.


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8 Meinungen

  • am 14.07.2015 um 12:05 Uhr
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    Verschiedene Kommentare und Aussagen liessen auch den Schluss zu, dass es um eine persönliche Abrechnung ging. Die Animosität Schäubles war nicht zu ignorieren und mehrere Personen gaben offen zu das ihnen unangenehme Regime in Griechenland beseitigen zu wollen. Was wohl nun auch geschehen kann. Die Bösartigkeit des Vorgehens liess sich auch zeitweilen gut an den Gesichtern Merkel und Schäuble ablesen.

  • am 14.07.2015 um 16:37 Uhr
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    Und wo ist das Mitleid mit den osteuropäischen Euro-Ländern, deren Einkommen halb so gross ist wiedas griechische?

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 14.07.2015 um 18:11 Uhr
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    In der „Debt sustainability Analysis (DAS)“ stellt der IWF gemäss Mitteilung vom 14. Juli eine abermalige „dramatische Verschlechterung der Schuldentragfähigkeit“ Griechenlands fest, die „weit über das hinausgeht was bisher zur Diskussion stand – und was vom ESM vorgeschlagen wurde.“ Das Kürzel ESM steht für den Rettungsfonds, aus dem die Griechenland-Hilfen fließen sollen.

    Nach Ansicht des IWF muss die Eurozone Griechenland entweder eine 30 Jahre währende Schonfrist auf Schulden geben und die Laufzeiten bestehender Schulden verlängern oder vorab „einen tiefen Schuldenschnitt“ akzeptieren.

    Den IWF-Berechnungen gemäss steigen die griechischen Staatsschulden in den kommenden zwei Jahren auf fast 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, also die doppelte jährliche Wirtschaftsleistung. Bislang war der IWF von 177 Prozent ausgegangen. Noch im Jahre 2022 werde der Verschuldungsgrad voraussichtlich immer noch 170 Prozent des Brutttosozialproduktes betragen. Vgl. Deutschland: 1952 dank Marshall-Hilfe nur 5% des BSP. Nach den nächsten nun primär von DE und FR ohne Volksmitbestimmung zu akzeptierenden 82 Milliarden wird man insgesamt 40 Marshallpläne in Griechenland verbrätelt haben. Das hat mit bösartigen Gesichtern (Fritsche) v. Merkel u. Schäuble nichts zu tun. Die handelnden Personen sind beliebig auswechselbar. Problem liegt in untauglichen Strukturen incl. Fehlkonstruktion Euro, worüber vernünftige Liberale u. vernünftige Linke einig sind. Der Patient ist unheilbar krank.

  • am 14.07.2015 um 18:37 Uhr
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    .. und warum hat man denn nicht auf die Vorschläge des IWF gehört, es sei denn aus Bösartigkeit und persönlichen Gründen und um ein nicht genehmes Regime ohne demokratischen «Firlefanz» los zu werden?

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 14.07.2015 um 19:17 Uhr
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    … das Zitat betr. IWF stammt von heute nachmittag, die Debatte ist noch nicht zu Ende, die Lage ändert sich nicht täglich, sondern stündlich, und der Sturz droht Tsipras selbstverständlich am ehesten aus seinen eigenen Reihen. «Tritt Dir einer auf die Flosse/Ist es sicher ein Genosse.» In der verfahrenen Situation und bei der völligen Unbrauchbarkeit der griechischen Altparteien würde jetzt ein Regierungswechsel nichts bringen, eigentlich haben sie bis jetzt nur die ganz extremen Rechten nicht ausprobiert.Der kluge belgische Griechenlandkritiker Guy Verhofstadt, seine Rede geht als Meisterwerk einer Spontanrede in die Lehrbücher ein, schloss noch letzte Woche nicht aus, dass Tsipras ein neuer Velizemos werden könnte, gemeint ein Erneuerer Griechenlands vor etwa 90 Jahren.

  • am 14.07.2015 um 19:57 Uhr
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    Wie geht es weiter? Da hat Pirmin Meier wohl recht. Die Lage ändert sich stündlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das griechische Volk das Verdikt von Brüssel einfach so hinnimmt. Mit der Analyse von Ernst Wolff gehe ich in grossen Teilen einig, nicht einig über das, was er bezüglich Tsipras schreibt. Er ist kein Verräter. Nach dem unglücklichen «Kompromiss» bin ich mehr denn je überzeugt, dass er sich wie kein zweiter bemüht, zum Wohle seines Volkes zu handeln. Sagt das Parlament Nein zu den ausgehandelten Vorschlägen mit der EU-Spitze, kann Tsipras sagen, ich habe alles versucht, in der EU zu bleiben. Aber die wollen uns nicht mehr. Es wird zu einer Parallelwährung kommen. Russland und China werden in die Bresche springen und Griechenland mit Notkrediten über Wasser halten. Nicht uneigennützig. Ein Austritt aus der NATO könnte folgen. Eine sehr heikle Phase, die, käme es zu einem Bürgerkrieg, eine Einmischung von amerikanischen, deutschen und britischen Truppen zur Folge haben könnte. Doch das muss nicht sein. Für die NATO ist Griechenland vielleicht gar nicht mehr so wichtig. Dass die Deutschen ein Grexit befürworten, wäre ein Indiz für das Letzere. Ich kann mir schwerlich vorstellen, dass ein Schäuble einen solchen Vorschlag ohne vorherige Abstimmung mit der USA macht. Denn ein Grexit käme einem wirtschaftlichen und politischen Ausscheiden aus der westlichen Staatengemeinschaft gleich. Dass danach der militärische folgt, liegt auf der Hand.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 14.07.2015 um 22:17 Uhr
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    @Beutler. Der in Gang gesetzte Denkprozess, an dem Du teilnimmst, verdient Reflexion. Vgl. die Debatte mit Herrn Hunkeler im Anhang an den Artikel «Verunglimpftes Griechenland». Hunkeler machte darauf aufmerksam, dass schon hinter dem schweizerischen Bauernkrieg von 1653 Währungsmanipulationen standen.

  • am 15.07.2015 um 10:41 Uhr
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    Keine persönlichen Motive? Bedenkenswert: Der Treuhandfond in welchen das griechische Volksvermögen zu übertragen sei, ist eine 100% Tochter der deutschen Staatsbank KfW. Der Chairman: Wolfgang Schäuble und sein StV Sigmar Gabriel. Nein! Sicherlich keine persönlichen Motive.

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