Giftpfeile aus Warschau und Gegengift aus Breslau
Immer häufiger fliegen polnische Giftpfeile aus Warschau Richtung Deutschland, seit im November 2015 die nationalistische Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) wieder an der Regierung ist. In Wroclaw (Breslau) dagegen, der Kulturhauptstadt Europas 2016, wird ganz bewusst auch das deutsche Kulturerbe gepflegt. Ein Blick auf zwei polnische Befindlichkeiten: jene der provinziell-nationalistischen Verengung mit ihren immer gleichen Feindbildern von gestern, und jene der Weltoffenheit, die kulturelle Diversität erfolgreich als Selbstverständlichkeit lebt.
Deutschland als Fürsprecher Polens
Die deutsch-polnischen Beziehungen waren nie einfach. Dass auch 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs das Trauma noch nicht überwunden ist, ist angesichts des Ausmasses und der Monstrosität der deutschen Verbrechen in Polen völlig klar. Allerdings hat sich seit der Wende und seit dem EU-Betritt Polens viel getan in Sachen Vertrauensbildung auf allen Ebenen, von der hohen Politik bis hinunter zu Städtepartnerschaften und zu zivilgesellschaftlichen Kontakten. Es war vor allem Deutschland, das sich im Rahmen der Versöhnungspolitik immer wieder und sehr früh für die Integration Polens in die Europäische Union stark gemacht hat. Auch nach dem EU-Beitritt Polens hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel für polnische Anliegen eingesetzt. In Sachen Vergangenheitsbewältigung kann man zudem Deutschland wenig vorwerfen.
Antideutsch wegen Innenpolitik
Auffallend ist jedoch, dass die polnisch-deutschen Beziehungen immer dann besonderen Belastungen ausgesetzt sind, wenn die PiS an der Macht ist, so zwischen 2005 und 2007 und wieder seit dem Herbst 2015. Was die Vorgängerregierung der Partei Bürgerplattform (PO) in den polnisch-deutschen Beziehungen während acht Jahren aufgebaut hat, wird in Frage gestellt. Krzysztof Lisek, Abgeordneter der damals oppositionellen PO und Mitglied der aussenpolitischen Kommission des polnischen Parlaments, erklärte dem Autor dieses Beitrags schon 2007, dass Jaroslaw Kaczynski, heute Parteichef der PiS, «aus rein innenpolitischen Gründen sehr stark mit antideutschen Gefühlen arbeitet».
Unappetitliche Medienkampagne
Das ist heute nicht anders, seit die PiS wieder das Sagen im Land hat. Pauschale Vorwürfe gegenüber Deutschland werden wieder hoffähig, verschiedene Medien heizen die Ressentiments gegenüber dem westlichen Nachbarn kräftig an. Das Nachrichtenmagazin «Wprost» etwa zeigte Angela Merkel schon 2007 mit Nazi-Uniform auf dem Titelblatt, und auch dieses Jahr wartete das Blatt mit der Bundeskanzlerin in typischer Hitler-Pose auf. «In den Nachrichtensendungen des Staatssenders TVP laufen nach einer Gleichschaltung der Öffentlich-Rechtlichen nun ausschliesslich Beiträge mit kritischem Unterton über das Nachbarland, oft mit Verweisen auf die Geschichte. Schliesslich wurden in den Staatsmedien dutzendweise Journalisten von Rechtspostillen übernommen und liberaler Gesinnte gefeuert», schreibt die deutsche Online-Plattform «Telepolis» in einem Beitrag über die Deutschland-Berichterstattung polnischer Medien.
«Destruktive Historisierung»
Auch die in ihren Analysen nüchtern-zurückhaltende Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, die auch die deutsche Regierung berät, spricht von einem «offenkundig starken Misstrauen gegenüber Deutschland». Der Blick der Regierungspartei PiS auf Deutschland «ist geprägt von abgrundtiefer Skepsis». Die SWP befürchtet, «dass die PiS ihren von Antagonismus und Polarisierung geprägten innenpolitischen Stil auch auf die deutsch-polnischen Beziehungen überträgt». Damit «könnte die Tür zu einer destruktiven Rehistorisierung der deutsch-polnischen Beziehungen aufgestossen» und «eine veritable Spirale des Argwohns» aufgebaut werden.
Mitteleuropäischer Mikrokosmos
Doch es gibt Hoffnung. Die Kräfte des Ausgleichs, der Verständigung und der Weltoffenheit sind auch in Polen vorhanden. Ein besonders symbolträchtiges Beispiel ist Wroclaw. Die Hauptstadt der Woiwodschaft Niederschlesien ist das Paradebeispiel einer mitteleuropäischen Stadt, die im Lauf der Jahrhunderte unterschiedlichste politische Zugehörigkeiten und kulturelle Einflüsse erlebte. Ursprünglich war die Stadt slawisch, wurde im Mittelalter von Deutschen besiedelt, dann von böhmischen Königen, den Habsburgern und schliesslich von Preussen und dem Deutschen Reich regiert, bis es nach dem Zweiten Weltkrieg wieder polnisch wurde. Wroclaw, dieser bunte mitteleuropäische Mikrokosmos, pflegt sein vielfältiges Erbe.
Ein visionärer Stadtpräsident
Personifiziert wird diese im besten Sinn liberale, weltoffene, pro-europäische Haltung von Stadtpräsident Rafal Dutkiewicz, im Amt seit 2002. Der parteiunabhängige Politiker, der auch schon als polnischer Staatspräsident gehandelt wurde, setzt sich seit Jahren vehement für eine starke deutsch-polnische Zusammenarbeit ein. Dem Autor dieses Beitrags erklärte er bereits 2007, dass ihm innerhalb der EU ein deutsch-polnisches Führungstandem vorschwebe: «Wir müssen zusammen mit Deutschland ein starkes regionales Kraftfeld schaffen». Wroclaw, das intensiv mit deutschen Städten zusammenarbeitet, könne im Dialog mit Deutschland eine Schlüsselrolle übernehmen, denn «Breslau ist kulturell eine alte deutsche Stadt».
Druck der Nationalisten steigt
Dutkiewicz’ Haltung passt nicht allen. Manchmal tauchen in Wroclaws Stadtzentrum Rechtsextreme auf, um Fotos des Stadtpräsidenten zu verbrennen, dem sie zu viel «Deutschennähe» vorwerfen. Der Wind hat seit der erneuten Regierungsübernahme durch die PiS eben gedreht. Das beobachtet am Beispiel Wroclaw auch der deutsche Schriftsteller Marko Martin, der noch bis Mitte September als «Stadtschreiber»-Stipendiat in der diesjährigen europäischen Kulturhauptstadt weilt. In der NZZ bezeichnet er Wroclaw als «Insel der Liberalität» und schreibt: «Zwar ist es trotz Polens zentralstaatlicher Verfasstheit der rechtskonservativen Warschauer Regierung noch nicht gelungen, die liberale Stadt an der Oder auf Linie zu bringen, doch steigt der Druck der Nationalisten».
Pflege des deutschen Kulturerbes
Das deutsche Kulturerbe wird gepflegt statt verdrängt. Auch die einst starke jüdische Tradition wird bewusst wiederaufgenommen und weitergeführt, der jüdische Friedhof und die Synagoge wurden restauriert. «Eine Stadt, die sich weder von den Nazis noch von den Kommunisten hat kleinkriegen lassen und nun als schmuckes Kleinod eine Menge Gäste anzieht – gediegene Breslau-Nostalgie-Reisende aus Berlin und Tel Aviv ebenso wie Erasmus-Studenten vom ganzen Kontinent, die hier ein paar Gastsemester verbringen, angefixt vom Geist einer Stadt, die ihr heterogenes Erbe nicht verschweigt, sondern geradezu ostentativ vorzeigt», schreibt Marko Martin.
Die bemerkenswerte politische Kultur von Wroclaw/Breslau demonstriert, wie attraktiv kulturelle Diversität sein kann, notabene ganz ohne aufdringliche politische Didaktik, sondern ganz einfach durch gelebte, entspannte und gleichzeitig spannende Vielfalt. Etwas, das sich übrigens auch wirtschaftlich auszahlt: Die Stadt ist ein überregionales Wirtschaftszentrum im Dreiländereck Polen, Deutschland und Tschechien und entwickelt sich Richtung Hochtechnologiezentrum, vor allem in den Bereichen Informations- und Biotechnologie sowie Pharma. Ohne zahlreiche ausländische Spezialistinnen und Spezialisten, die ein weltoffenes Klima schätzen, ginge das nicht. Auch in Polen nicht.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Die polnischen «Bobos» – diese internationale Mixtur von Großbourgeoisie und Boheme – sind vom polnischen Volk abgewählt worden und schmeißen sich jetzt verstärkt an Deutschland ran. Aber uns Deutschen muss es darum gehen, gute Kontakte zum polnischen Volk zu schaffen, nicht speziell zu den Bobos, und schon gar nicht uns in polnische politische Kämpfe einzumischen..