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Die Zivilgesellschaft hat die Zukunft in der Hand

Heinz Moser /  Die «Zivilgesellschaft» wird immer mehr ein Faktor in politischen Auseinandersetzungen – dies in der Schweiz wie in Deutschland.

Ein «Durchmarsch der Zivilgesellschaft» soll die Ablehnung der Durchsetzungsinitiative gewesen sein. So titelte die «NZZ» und beschreibt so das lose organisierte Bündnis, das in den letzten Wochen vor der Abstimmung entstand – «eine Protestbewegung», so die NZZ, «die fast alle gesellschaftlichen Gruppen erfasste».

Die «Zivilgesellschaft» und die SVP

Schmerzlich war dies für die SVP, welche durch den «Aufstand der Eliten und der Classe politique» eine saftige Niederlage erlitt. Auf ihrer Website schreibt sie dazu: «Nach einem in diesem Ausmass noch nie dagewesenen, einseitig geführten Abstimmungskampf von Seiten der Medien, Richter, Professoren, staatlich subventionierten Kulturschaffenden und der Classe politique, erwartet die SVP eine Rückbesinnung auf die Stärken der direkten Demokratie und der Selbstbestimmung der Schweiz.»

Was ist denn aber diese «Zivilgesellschaft», die nach der SVP gegen die direkte Demokratie und letztlich auch gegen das «Volk» steht? Im Grunde geht es bei dieser Zivilgesellschaft um die gesellschaftlichen Organisationen jenseits der traditionellen politischen Parteien. Diese Zivilgesellschaft wird durch vielfältige Organisationsformen geprägt und vertritt dabei ihre eigenen politischen Interessen. Nicht staatliche Organisationen (NGOs) für Umweltschutz, Armutsbekämpfung, Menschenrechte etc. gehören ebenso dazu wie die vielgeschmähten Eliten und Professoren oder die Gruppe Libero, die im Kampf um die Durchsetzungsinitiative aktiv wurde.

Populistische Parteien wie die SVP haben bisher auf das «Volk» als eine unbestimmte Masse gesetzt, die es mit Schäfchen-Plakaten vor Abstimmungen aufzuwecken gilt. Doch dieses Volk ist eben keine amorphe Masse, sondern umfasst eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Gruppen und Organisationen. Dies waren bisher zersplittert und politisch wenig aktiv. Die Durchsetzungsinitiative zeigt, dass in ihr eine bedeutende politische Kraft steckt, wenn sie sich zusammenzuraufen vermag.

Mit der Zivilgesellschaft muss man in Zukunft rechnen

Waren Initiativen in der Vergangenheit meist politische Druckmittel der Politik, so könnte sich das ändern, wenn die Zivilgesellschaft sich nach der erfolgreich geführten Auseinandersetzung mit der Durchsetzungsinitiative nicht wieder zersplittert und verflüchtigt. Das politischen System der Schweiz wird sich verändern, wenn die Bürgerinnen und Bürger der Zivilgesellschaft sich für ihre eigenen Interessen offensiv zu wehren beginnen. Die Auseinandersetzung um politische Fragen kann dann nicht mehr im Arena-Stil weitergeführt werden, wo meist nach dem Link-Rechts-Schema sich das immer gleiche Personal der Parteien duelliert. Auch die Macher der Arena des SRF müssen dies übrigens bemerkt haben. So sind die aktuellen Sendungen breiter abgelegt – und beziehen häufig auch Vertreter der Zivilgesellschaft ein als Diskussionspartner ein.

Die Willkommenskultur als Ausdruck der deutschen Zivilgesellschaft

Die Frage nach dem zivilgesellschaftlichen Engagement ist jedoch keine spezifisch schweizerische Eigenart. Das belegen die Wahlen in den deutschen Bundesländern vom letzten Sonntag und der Umgang mit der Flüchtlingskrise in Deutschland. Angetreten war Angela Merkel mit ihrer Parole einer Willkommenskultur, die im letzten Sommer in der ganzen Bundesrepublik zivilgesellschaftliches Engagement vor Ort und von Ehrenamtlichen beflügelte. Die politische Rechte von verkappten Nazis bis hin zu populistischen Nationalisten skandierten dagegen «Wir sind das Volk». Hinter diesem «Volk» – in Wirklichkeit etwa 20 Prozent der deutschen Bevölkerung – verschwand in den letzten Monaten aber dann eine Zivilgesellschaft, die kein Eintopf ist, sondern ein komplexes Gebilde von Organisationen, Netzwerken Vereinen und Verbünden immer mehr. Pegida und die AfD begannen, die traditionelle Politik vor sich her zu treiben.

Erschreckend ist weniger, dass am Sonntag die AfD zu einer starken politischen Kraft geworden ist. Denn insgesamt sind die Vertreter, die in Deutschland den zivilgesellschaftlichen Appell an eine Willkommenskultur positiv aufgenommen haben, in Deutschland nach wie vor in der Mehrheit.

Schwierig, und von Nicht-Deutschen nicht immer zu nachzuvollziehen, ist vielmehr, wie sich diese Mehrheit in den politischen Fallstricken verfängt – etwa wenn Bayerns CSU lautstarke Forderungen nach «Obergrenzen» stellt und gegen Angela Merkel intrigiert. Dies im Gegensatz zum grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschman aus Baden Württemberg, der ministrantengleich jeden Tag für Angela Merkel beten will. Und die SPD versucht sich zu profilieren, indem sie nicht nur die Flüchtlinge, sondern alle Armen im Lande berücksichtigen will. Das wird jede Woche in mehreren Talkshows mit dem immer gleichen Personal Kannonendonner erzeugt, der mehr die Profilneurose der etablierten Parteien zeigt, als zur Lösung der Probleme beiträgt. Da ist es manchmal wohltuend wenn lokale Personen aus der Zivilgesellschaft auftreten und auf konkrete Fragen antworten, wo es im alltäglichen Leben der Flüchtlinge fehlt, und wie sie sich in der täglichen Arbeit mit ihnen aufreiben.

Mit der Zivilgesellschaft gegen die Illusion vom «strukturlosen» Volk

Die Schweiz hat es vorgemacht, dass gegen die alten Mythen vom Volk, das die nicht dazugehörigen schwarzen Schafe mit einem Tritt hinaus kickt, Mehrheiten zu schaffen sind. Denn das Volk ist keine amorphe Masse, die sich mit symbolträchtigen Bildern manipulieren lässt. Man kann es überzeugen, wenn glaubwürdige Vertreter der Zivilgesellschaft gegen jene zusammenstehen, die zum Beispiel Errungenschaften wie die Menschenrechte angreifen. Auch in Deutschland werden völkische Krakeeler keine Chance haben, wenn die Zivilgesellschaft ihre Macht beweist und jenseits der kleinkarierten politischen Querelen das weiter trägt, was mit Merkels Willkommenskultur als Sommermärchen begonnen hatte.


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Eine Meinung zu

  • am 21.03.2016 um 16:14 Uhr
    Permalink

    Eine Zivilgesellschaft die sich als demokratisch verbindlich einstuft und dies innerhalb privatrechtlicher sozialer netzwerke tun machen sich was vor. Nebst der Tatsache das all diese inkl. die mobilen Geräte jederzeit abgeschaltet werden können und somit Menschen aller gewohnter Kontakt- und Meinungsmöglichkeiten beraubt führen diese zu keiner staatlicher Verbindlichkeit. Diese jedoch ist nach wie vor zwingend. Kein Unternehmen, kein Investor, kein Mächtiger wird auch nur einen Franken irgendwo einsetzen ohne staatlich gesicherte einklagbare Rechte und Schutz an Eigentum.

    Für die sogenannte Zivilvesellschaft die sich der Illusion hingibt das Konsumboykotte und Unterschriftensammlungen im Internet demokratische Systeme ersetzen führt das am Ende zu nichts. Den für die gibt es keine einklagbaren Eigentumsrechte.

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