Die Stadt Solothurn ist gefordert
Die deutsche Stadt Heilbronn, 40 km nördlich von Stuttgart, ist seit 36 Jahren die Partnerstadt der Schweizer Stadt Solothurn. Es ist eine der ältesten schweizerisch-deutschen Städtepartnerschaften überhaupt. Der Kontakt wird gepflegt. Gerade vor einem Jahr wieder reiste eine vielköpfige Delegation aus Solothurn unter der Leitung von Stadtpräsident Kurt Fluri nach Heilbronn, um sich die zahlreichen Erfolge und Errungenschaften der Partnerstadt zeigen zu lassen.
Und umgekehrt: Im Mai diesen Jahres radelten 35 Heilbronner die über 300km nach Solothurn und wurden dort mit viel Öufi-Freibier empfangen. Auch die klassischen Musikensembles der beiden Städte beglücken regelmässig auch die Partnerstadt.
Doch jetzt ein kleiner Schock
Friede, Freude, Eierkuchen, könnte man da sagen. Doch jetzt gibt ein ganz neues Faktum zu denken: In Heilbronn haben bei der Bundestagswahl am 24. September mehr Leute der AfD die Stimme gegeben als in jeder anderen Stadt Westdeutschlands. Jeder sechste Stimmbürger der ausgesprochen wohlhabenden Stadt wählte die AfD! Was ist da passiert?
Die deutsche Wochenzeitung Die Zeit hat dem Thema «Heilbronn und die AfD» in ihrer Ausgabe vom 5. Oktober mehr als eine Seite gewidmet. Höchst interessant und informativ! Mehr und mehr Leute haben in Heilbronn nämlich Angst, Angst vor einem möglichen sozialen Abstieg. Und, die Werbung der AfD funktioniert, schuld an einem bevorstehenden Abstieg sind natürlich die Migranten. Auch in Heilbronn gilt die Losung: Mache den Leuten Angst! Schieb die Schuld den Ausländern zu – und du hast politischen Erfolg! Das Rezept funktioniert immer und überall.
Die Reporter der Zeit schreiben:
«Eigentlich dürften Rechtspopulisten hier keine Chance haben. Heilbronn ist eine moderne, wohlhabende Idylle. Warum wählten trotzdem 16,4 Prozent der Bürger AfD?
Frau Gminder ist 72 Jahre alt und siebenfache Grossmutter. An einem Tag im Herbst 2017 beginnt in Berlin ein neues Kapitel in ihrem Leben. Für den Start in ihre späte Karriere hat sie ein pinkfarbenes Kostüm angezogen und sich eine pinkfarbene Schleife ins grau gesträhnte Haar geflochten. Franziska Gminder, die sie daheim »Sissi« nennen, legt die Hände flach auf den Tisch und blickt konzentriert nach vorn. Durch die Glastür des Saales kann man sie in den folgenden zweieinhalb Stunden beobachten. Franziska Gminder schaut aufmerksam zu den Fraktionsvorsitzenden, sie klatscht, wenn die anderen klatschen, hebt die Hand, wenn die anderen die Hand heben, blättert in Akten, schweigt meist. Ein pinkfarbener Punkt zwischen vielen grauen Anzügen.
In der Mittagspause huscht sie zum Buffet, wo die anderen zusammenstehen, sich neugierig austauschen und Interviews geben. Sie selbst zieht sich mit einer Gulaschsuppe in den Sitzungsraum zurück. Nein, sie möchte nicht über ihren Erfolg reden. Fast verschüchtert wirkt sie, erstaunt, dass sie hier ist: in der Hauptstadt, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, erster Stock. Die erste Sitzung der AfD-Fraktion.
Franziska Gminder ist jetzt tatsächlich Bundestagsabgeordnete. Ihre Partei hatte sie weit hinten auf die Landesliste gesetzt, aber dann haben sehr viele Menschen in Baden-Württemberg für die AfD gestimmt, vor allem in Gminders Heimatstadt Heilbronn.
Ausgerechnet Heilbronn. Hier erhielt die Partei 16,4 Prozent der Stimmen. Weit mehr als im Bundesdurchschnitt.
In den Tagen nach der Wahl wurden viele Geschichten über die AfD erzählt; fast immer waren es Geschichten vom Rand. Sie spielten weit im Osten, in Sachsen und Vorpommern, wo viele Menschen vom Gefühl erzählen, vergessen worden zu sein in all den Jahren seit der Wiedervereinigung. Sie spielten tief im Westen, im Ruhrgebiet, wo Städte mit den Kohlegruben und Stahlwerken auch ihren Stolz verloren. Sie spielten auch im Süden, in Niederbayern, wo sich Gemeinden alleingelassen fühlten, als jeden Tag Tausende Flüchtlinge über die Grenze kamen.
Sie spielten nicht in Heilbronn. Denn hier, im ruhigen, reichen Winkel der Bundesrepublik, sprach auf den ersten Blick wenig für einen Erfolg der AfD. Aber das täuscht.
Vier Tage nach der Bundestagswahl hat Oberbürgermeister Harry Mergel eine angenehme Aufgabe. Mergel, 61, seit 43 Jahren in der SPD, steht in der Aula des Bildungscampus von Heilbronn an einem Mikrofon und begrüsst 420 Stadtplaner, angereist aus halb Europa, um darüber zu diskutieren, was eine gute Stadt ausmacht. Einen Ort, der das Leben besonders lebenswert sein lässt. Ein renommierter Stadtplaner aus Potsdam wird eine Rede halten und Mergels Stadt überschwänglich loben: ‹Ich bin mir sicher, wenn Sie nach Hause gehen, werden Sie sagen: Macht es wie Heilbronn!› Nach dem Krieg bekam das zerbombte Heilbronn das gleiche unscheinbare Wiederaufbau-Gesicht wie so viele Orte in Westdeutschland. Dann aber geschah etwas, das sich anhört wie ein Märchen: Es kam ein reicher Mann und verschönerte die Stadt. Der Mann ist der Lidl-Gründer Dieter Schwarz, ein Milliardär, der Millionen spendete. Mehrere Hochschulen wurden gegründet, Forschungsinstitute eröffnet, ein Wissenschaftsmuseum wurde gestiftet, eine Akademie für Erzieher eingerichtet. Nicht nur, aber auch dank dieses Geldes blühte die Stadt auf. Eine hochmoderne Kunsthalle wurde gebaut, 2019 kommt die Bundesgartenschau.
Spaziert man heute durch Heilbronn, fühlt man sich mancherorts, als wandle man durch wahr gewordene Architektenträume. Klare Linien, weite Plätze mit Rasenflächen, Stadtmenschen mit Aktentaschen, wie Modellbaufiguren auf saubere Treppenstufen drapiert.
Und diese Leute haben die AfD gewählt? Am Mittag sitzt der Oberbürgermeister im Ratskeller über einer Schüssel Böckinger Feldgeschrei. So nennt sich die lokale Spezialität, ein Eintopf. Mergel schiebt den Teller zur Seite, um Platz zu schaffen für die Papiere, die er mitgebracht hat.
Tortendiagramme, Tabellen, Stichpunkte. Es sind Zahlen, die zeigen sollen, wie gut es seiner Stadt geht. Und wie viel sie hier richtig gemacht haben in den vergangenen Jahren.
Statistisch gesehen ist Heilbronn mit seinen 121 000 Einwohnern ein kleines Paradies.
Das Pro-Kopf-Einkommen: 41 000 Euro netto, so hoch wie in keiner anderen deutschen Stadt.
Die Arbeitslosenquote: 5,3 Prozent, nahe der Vollbeschäftigung.
Die Kriminalitätsrate: 4191 Straftaten pro 100000 Einwohner — im Durchschnitt sind es 5599 in Baden-Württemberg, dem sichersten deutschen Bundesland.
Begeistert erzählt der Bürgermeister, was sie sich in Heilbronn alles haben einfallen lassen: die Kindergartengebühren abgeschafft, Ganztagsgrundschulen eingeführt, die Flüchtlinge, es waren im vergangenen Jahr 1200, dezentral untergebracht.
Müsste man sich eine Stadt ausmalen, in der die AfD keine Chance hätte, man würde auf Heilbronn kommen.»
Und warum hat die AfD trotzdem überdurchschnittlich viele Stimmen erhalten? Die ganze Reportage der Zeit kann hier gelesen werden, einfach anklicken.
Und was geht das Solothurn an?
Solothurn tut gut daran, diesen Report zu lesen – und daraus Schlüsse zu ziehen. Eine AfD gibt es in Solothurn zwar nicht, aber eine rechtspopulistische Partei alleweil: Die beiden Solothurner Nationalräte Walter Wobmann und Christian Imark sind in der Bewirtschaftung der Fremdenfeindlichkeit besonders aktiv.
Allerdings: Auch im Kanton Solothurn fanden in diesem Jahr Wahlen statt, und, erstaunlicherweise, die SVP hat im Kantonsrat einen Sitz verloren, die SP aber vier Sitze gewonnen. Im hundertköpfigen Rat sitzen nun «nur» noch 18 SVP-Politiker. Die SVP ist nach FDP, SP und CVP nur viertstärkste Kraft.
Vielleicht könnte die Stadt Solothurn ihre nächste Reise in ihre deutsche Partnerstadt Heilbronn zeitlich etwas vorziehen. Und sie könnte den Heilbronnern erklären, dass Angst und Fremdenfeindlichkeit keine vernünftige Politik entstehen lassen. Gerade Kurt Fluri, Solothurns Stadtpräsident seit 24 Jahren, hat ja Erfahrung, wie man auf Xenophobie basierende Attacken aus der Rechten konsensorientiert abfedern kann.
Die AfD ist eine respektable Partei! Ihre politischen Positionen gegen die Masseneinwanderung, die Islamisierung, gegen Parallelgesellschaften und gegen die momentane Euro- und Europapolitik ist für einen Großteil der Bevölkerung wichtig, unabhängig von der persönlichen finanziellen Situation.
Ich bin gerne bereit, eine Lanze für die AfD zu brechen.
Joachim Datko – Physiker, Philosoph
@Datko: Auf Ihre «Lanze für die AfD» können wir gerne verzichten. Ein Blick in die Websites «monopole» und «freiewelt», wo Sie publizieren, genügt vollauf. Wir sind ein anderes Niveau gewohnt.
mfG, Christian Müller
Interessantes Demokratieverständnis des Autors. Solche Leute machen mir mehr Angst als Herr Wobmann!
Christian Müller: Wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein Philosoph geblieben. Mit diesem Artikel hast Du den Ruf, besondere intellektuelle Fähigkeiten zu besitzen, selbst zerstört.
Natürlich ist es einem Linken nicht zu verargen, wenn er sich über den Erfolg der AfD in der Partnerstadt von Solothurn ärgert. Deswegen aber die läppische Idee zu publizieren, die Stadt Solothurn „könnte den Heilbronnern erklären, dass Angst und Fremdenfeindlichkeit keine vernünftige Politik entstehen lassen“, tut selbst einem Nichtlinken weh. Der Chefredaktor der NZZ schreibt zu diesem Thema am 21. Oktober in seiner Zeitung: Der Erfolg der AfD bleibe mit dem Namen der CDU-Vorsitzenden verbunden. „Sie [Merkel] hat mit der unkontrollierten Einwanderung der AfD eine Adrenalinspritze verpasst, als diese ….. vor sich her dümpelte.“ „Das Odium, die Populisten stark gemacht zu haben, wird Merkel nicht mehr los.“
Vielleicht ist Ihre Frage doch richtig: Was geht das Solothurn an?
"Und Pontius Pilatus fragte: Wen wollt ihr, dass ich euch frei gebe, die AfD oder den Stadtpräsidenten von Solothurn?» Da schrien sie alle laut: «Wir wollen keinen der beiden!"
Schade, dass die «Zeit» diesen wichtigen Text nicht frei veröffentlicht. Hier gibt es auch eine PDF vom Autor.
http://ghanacalling.files.wordpress.com/2017/10/heilbronn-zeit_2017_41_00013.pdf
(Versäumen Sie trotzdem nicht, gute Medien zu abonnieren.)
Da kommt einem unwillkürlich Heinrich von Kleists «Das Käthchen von Heilbronn» in den Sinn! Die Rollen sind verteilt, wusste gar nicht, dass Kunigunde in Solothurn beheimatet war……. Wahrscheinlich ist die AfD die uneheliche Tochter der CDU.