Ein Reservist entlarvt Israels Kriegswüten in Gaza
Asaf Hazani ist Anthropologe und war als Oberstleutnant und Stabsoffizier einer Kampfdivision in Gaza im Einsatz. In seinem Buch «One Way or Another the Sword Shall Devour» («So oder so wird das Schwert verschlingen») beschreibt er die israelische Kriegsmaschinerie von innen. Er bilanziert, wie die israelische Tageszeitung «Haaretz» berichtet, eine Atmosphäre des ethisch-moralischen Zerfalls in der Armee und in der israelischen Gesellschaft als Folge des Angriffs der Hamas.
Erniedrigung und Verhöhnung aus Vergeltung
Hazani beobachtete, wie ein Wachsoldat in einer zerstörten Moschee vor gefesselten Palästinensern systematisch Seiten aus einem Koran riss und zu Boden warf. Die Armee verbietet solche Akte der Entweihung. Auf die Frage nach dem Sinn seines Tuns habe der Soldat traurig geantwortet: «Ich räche mich an ihnen». Hazani schreibt: «Er hatte das Gefühl, dass Rache in dieser Phase des Kampfes definitiv eine legitime Emotion war». Auch Verhöhnung und Erniedrigung seien als legitime Reaktionen angesehen worden. Nicht selten hätten Soldaten palästinensische Wohnhäuser geplündert und danach Selfies in der Unterwäsche von vertriebenen Palästinenserinnen gepostet.
Das Motiv der Vergeltung zieht sich wie ein roter Faden durch Hazanis Beobachtungen. Er sah, wie Soldaten und Kommandeure aus reiner Rachsucht Wohnhäuser von Palästinensern niederbrannten – ohne dass dafür eine militärische Notwendigkeit vorgelegen hätte. Er berichtet, wie Infrastruktureinrichtungen zerstört wurden, nur um einen späteren Wiederaufbau zu verhindern. Immer wieder filmten Armeeangehörige ihre Vergeltungsaktionen und stellten die Aufnahmen ins Netz. All diese Zerstörung seien nicht in rasender Wut geschehen, analysiert Hazani, sondern eher in einer Mischung von «Traurigkeit und Müdigkeit».
Die Armee hat als Identitätsstifterin ausgedient
Hazani beschreibt detailliert die Verwandlung der IDF von einer vereinten Armee im Dienste Israels in eine Ansammlung von Milizen. «Nach dem 7. Oktober ist das Vertrauen in das System verschwunden. Jeder versammelt sich in seiner eigenen Gruppe und kümmert sich um sich selbst», schreibt der Anthropologe. Das habe zum Zerfall von Disziplin und Kampfkultur geführt.
Hazani begegnete hochrangigen Kommandeuren, die Freunde oder Verwandte in Kommandoposten mitbrachten, um ihre Einsamkeit zu vertreiben. Er beobachtete zwei Brüder, beide Oberstleutnants, die eigenmächtig beschlossen, gemeinsam auf Kampfmissionen zu gehen. Hazani schreibt, dass dies dem Begriff der «kämpfenden Familie» – einer historischen Bezeichnung für die israelische Rechte – eine neue Bedeutung verleihe.
Hazani sah, wie israelische Zivilisten Aufgaben des Militärs übernahmen und teils sogar bei den Kämpfen in Gaza mitmischten, ohne dass die Armeeführung eingeschritten wäre. Er konstatiert in seinem Buch einen schleichenden Zerfall des Vertrauens der Reservisten in die militärische und politische Führung. Das sei so weit gegangen, dass Reservistenverbände gegen Befehle zur Heimkehr rebellierten, weil «die Kriegsziele» (Zerstörung der Hamas und Befreiung aller Geiseln) noch nicht erreicht seien.
Die Armeeführung verletzt ihre eigenen ethischen Standards
Hazani erlebte mehrfach, wie hochrangige Kommandeure die Sicherheitsanweisungen missachteten, die sie ihren Soldaten befehlen sollten. Zum Beispiel machten Offiziere während der Kämpfe Selfies, obwohl sie gewarnt wurden, dass dies ihr Leben gefährden würde, weil der Feind ihren genauen Standort lokalisieren könnte. Wegen eines solchen Selfies eines Kommandeurs sei ein militärisches Geheimnis in die sozialen Medien durchgesickert und habe viele Soldaten in Lebensgefahr gebracht.
Das obsessive Fotografieren und Filmen mit Handys hätten nicht nur Soldaten durchgeführt, die den Befehlen nicht gehorchten. Es scheine, so Hazani, dass das Militär selbst das Verbot, private Bilder zu machen, nur als unverbindliche Empfehlung angesehen habe. Denn das Divisionshauptquartier habe die Kommandeure gebeten, Handyfotos von den Orten zu schicken, die sie erreichten.
Jeder ist sich selbst der Nächste
Der Reserveoffizier Asaf Hazani erlebte wiederholt, wie sich Soldaten und Kommandeure eigenmächtig über die Vorschriften zur Feuerfreigabe hinwegsetzten und schon beim kleinsten Gefühl von Bedrohung sofort auf verdächtige Personen schossen. Es gelte als gesichert, dass viele unbewaffnete Palästinenser – Männer, Frauen und auch Kinder – auf diese Weise getötet wurden.
Die ungehemmte Schiesswut habe nicht selten dazu geführt, dass auch eigene Kameraden unter Feuer gerieten und Verluste erlitten. Sie sei auch der Grund dafür gewesen, dass Soldaten irrtümlich drei israelische Hamas-Geiseln erschossen, die sie eigentlich hätten befreien sollen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Krieg zerstört nicht nur ein Land und seine Struktur, sondern genauso die die moralische Struktur
der Menschen – und zwar bei ALLEN Beteiligten. Es ist genau diese Tatsache um deretwillen Krieg eben KEINE Lösung ist, für niemanden. Die «weiße Fahne» des Papstes war genau die richtige Direktive (auch wenn er sie leider ziemlich schnell zurückgezogen hat). Ich kann deshab die israelischen SoldatInnen) ob der beschriebenen Handlungen nicht verdammen. Verdammen muß man die Politiker, die sie dahin gebracht haben. Ich gebe aber zu : ich bin weitab von diesem Grauen. Es hat aber in vergleichbaren Situationen auch Beteiligte gegeben, die daraus die Kraft für eine Umkehr
gewonnen haben. Ich denke an Lew Kopelew. Letzteres vielleicht überhaupt eine Ermutigung in UNSERER Zeit.
Danke, sie haben so recht, denke ich! Ein Aspekt der – mein Gott – völlig vergessen wird. Was der Krieg aus den Menschen macht – egal ob Russen oder Ukrainer. Wenn ich mir nur die Filme auf Telegramm anschaue (Russen & Ukrainer) – die sehen wir aber nicht in den Medien. Entmündigung /freundlich gesagt). Ich glaub es war Nietzsche «Wenn wir lange genug in den Abgrund schauen… «Jedenfalls war es Marc Aurel der sagte «Auf die Dauer nimmt die Seele die Farbe der Gedanken an» Gruß MMS
Es geht in dem Artikel nicht um Russland oder Ukraine weshalb der Einwurf?
Zu Marc Aurel stimme ich zu. Umso wichtiger unseren Kindern beizubringen, wie zentral eine gesunde Psychohygiene ist. Das würde viele Krankheiten verhindern.
Zu Israel kann ich leider nur anmerken dass sie nur unter der Schutzmacht USA so handeln können. Diese Form westlicher Doppelmoral ist unerträglich.
erinnert stark an den moralischen und disziplinarischen Zerfall der japanischen Armee nach dem Nanjing Massaker.
Wenn ich diesen Artikel so lese, entsteht bei mir der Eindruck, ja was soll denn das, das ist ja fast Heiligsprechung der harmlosen Taten der Israelis…… Da man ja keine Links mehr einstellen darf, so gebe ich doch mal suche hier im INFOSPERBER an >> » Gaza: Schiessen aus Langeweile » klare Missstände und Greueltaten der israelischen Armee, geduldet von der Führungselite des Landes wird man da finden !
Fürchterlich!! Gerade weil es menschlich plausibel, halbwegs nachvollziehbar ist!
Großer Dank an Infosperber, für Ihre Courage..
Welt 21.07.2019 Cornelius Pape: Neuordnung 1919 Wie der Versailler Frieden zum Nahostkonflikt führte…Die Situation im Mittleren und Nahen Osten war exemplarisch. Für dieses Gebiet, das bis zum Kriegsende formal zum Osmanischen Reich gehört hatte, existierten drei sich widersprechende Modelle der Zukunftsplanung..»
NZZ Florian Keisinger 14.08.2024, 05.30: «Ohne Versailles kein Hitler: Der Historiker Gerd Krumeich zeigt, wie die Nazis die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg»
instrumentalisierten..»
Der Versailler Vertrag verhalf Hitler und seiner Verbrecherbande an die Macht und so wurde Auschwitz möglich, danach gab man den Juden Israel. Araber wurden vertrieben. Das Resultat:
Kriege und Konflikte und kein Frieden. Wenn die Schuld der Vergangenheit verdrängt wird, kann es auch keine Versöhnung geben. Europa und seine Vergangenheit. Araber und Juden sind bis zum heutigen Tag die Opfer des Versailler Friedensvertrages.
Gunther Kropp, Basel
Könnte der Autor auf den besprochenen Artikel verlinken (auch wenn Hebräisch)? Ich finde weder das das Buch, noch den Autor, noch den Haaretz-Artikel. Danke.
Ist erledigt.
Dazu kommt die fehlende Berichterstattung unserer Leitmedien (z.B. Tages Anzeiger), die willentlich nicht von den Geschehnissen in Gaza berichteten und Lesermeinungen dazu zensurierten. Es rächt sich jetzt schon, dass die Menschenrechte nicht nur in den USA mit Füssen zerstampft worden sind… Alles wird auf uns zurückfallen.
Stimme fast vollständig zu! Nur bezgl. der USA hab ich andere Sicht – kenne kein Land mit stärkeren Bürgerrechten, oder mehr Transparenz. Ich kann die drastischen Ergebenisse der Corona-Ausschuss des Senats nachlesen, und die National Defence Strategy 2018 – die ist ein Hammer, deckt sich mit Allem was wir an Aktionen sehen! Grüße MMS
Das war einmal Herr Schön – aber seit der Immunologe Dr. Anthony Stephen Fauci (85) von Biden geschützt werden musste, um nicht in einem Trump’schen Gefängnis zu landen – gilt ihre Beobachtung immer weniger…
Am Schluss des Artikels steht folgendes; «Die ungehemmte Schiesswut habe nicht selten dazu geführt, dass auch eigene Kameraden unter Feuer gerieten und Verluste erlitten. Sie sei auch der Grund dafür gewesen, dass Soldaten irrtümlich drei israelische Hamas-Geiseln erschossen, die sie eigentlich hätten befreien sollen.» >> Dazu mein folgender Hinweis:
17 Jahre verbot das Militär über die Hannibal-Direktive zu berichten! Diese besagt:>>
Nach der „Hannibal-Direktive“ sind israelische Kommandeure und Soldaten offenbar angehalten, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um eine Gefangennahme zu verhindern, auch wenn dies den Tod des Gefangenen nach sich zieht. Der Gefangene selbst ist angeblich ebenfalls angehalten, nicht lebend in Gefangenschaft zu geraten und sich und seine Entführer im äußersten Fall mittels Handgranate zu töten!