Kommentar

Die SPD sollte sich an Willy Brandts Satz erinnern

Heribert Prantl © Sven Simon

Heribert Prantl /  «Ausweglosigkeit gibt es nicht.» Das sagte der einstige deutsche Bundeskanzler Willy Brandt. Die SPD hat es vergessen.

Willy Brandt wäre jetzt der richtige SPD-Vorsitzende. Er hat noch viel grössere Katastrophen erlebt und überlebt als die desaströsen Wahlniederlagen, die die SPD aktuell kassiert. Willy Brandt steht heute, drei Meter vierzig gross, als Skulptur und Mahnung im Erdgeschoss der Parteizentrale in Berlin, die Willy-Brandt-Haus heisst. Wäre die SPD eine gläubige oder abergläubische Partei, würden dort jetzt Kerzen brennen mit der Bitte um Erleuchtung und Wegweisung. Warum? Die Sozialdemokratische Partei stellt zwar noch den Kanzler, aber ansonsten ist es finster in der SPD. Es ist so finster, dass sie es noch gar nicht richtig begriffen hat.

Deshalb flüchtet sie sich in Phrasen, beispielsweise in den Spruch «wir müssen unsere Politik besser erklären». Die Parteiführung scheint zu glauben, eigentlich das Richtige zu tun. Auf die Idee, dass die Wählerinnen und Wähler die Politik der SPD sehr wohl verstehen und die Partei genau deshalb nicht wählen – auf diese Idee kommt in der SPD-Führung niemand. Ja, womöglich braucht die Partei einen neuen Kanzlerkandidaten. Aber was hilft der, wenn sich an der Politik der Partei nichts ändert?

Die Partei braucht einen umfassenden Politikwechsel, sie braucht wieder ein sozialdemokratisches Profil. Sie braucht dieses neue Profil in der Friedenspolitik, sie braucht es in der Sozialpolitik und in der Bildungspolitik, sie braucht es in der Flüchtlings- und in der Sicherheitspolitik. Wenn eine Partei ihre bisherigen Wähler in alle Richtungen verliert, dann ist das ein Zeichen dafür, dass sie kein Profil mehr hat. Bei einem Auto wechselt man dann die Reifen. Bei einer Partei genügt das nicht.

Was die SPD wagen muss

In wenigen Wochen wird es 55 Jahre her sein, dass Willy Brandt im Bundestag seine erste Regierungserklärung hielt. Er versprach damals, es war am 28. Oktober 1969, «mehr Demokratie» zu wagen. Mehr Demokratie, das war viel mehr als die Herabsetzung des Wahlalters. Mehr Demokratie hiess vor allem mehr Sozialstaat. Mehr Bildung für Arbeiterkinder.

Eine neue SPD wird dies wagen müssen, trotz, besser gesagt: wegen der gegenwärtigen Kumulation von Krisen. Aber von Wagnis keine Spur. Stattdessen Angst vor der eigenen Courage, stattdessen Kleinmütigkeit vor der nächsten Wahl. Stattdessen die beflissen ängstliche Ankündigung der Nullrunde beim Bürgergeld, als wäre diese nicht ohnehin Gesetzeslage. Stattdessen die Betonung, es gehe nicht darum, alle Bürgergeldempfänger unter den Generalverdacht der Faulheit zu stellen. Besser als mit solchen Beteuerungen kann man eben jenes Ressentiment gegen die Schwachen nicht am Brodeln halten. «Herr Lehrer, im Keller brennt Licht. Aber ich habe es schon ausgemacht.» Muss es ausgerechnet ein SPD-Minister sein, der das Licht ausmacht?

Willy Brandt hat mit Blick auf die eigene Biografie betont: «Zur Summe meines Lebens gehört im Übrigen, dass es Ausweglosigkeit nicht gibt.» Die SPD mit trüben Wahlaussichten sollte sich an diesen Satz erinnern.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Dieser Kommentar des Kolumnisten und Autors Heribert Prantl erschien zuerst als «Prantls Blick» in der Süddeutschen Zeitung.
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4 Meinungen

  • am 10.09.2024 um 11:15 Uhr
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    Willy Brandt ist genau an jener SPD gescheitert, die er zu Höhenflügen führte. Er wurde parteiintern regelrecht fertiggemacht und durch Illoyalität schwer geschwächt (vgl. entsprechende Interviews mit Egon Bahr und anderen engen Mitarbeitern). Brandt gehörte mit Kreisky zu jenen seltenen Parteiführern der Sozialdemokratie, die nicht nur umfassend gebildet, intelligent, führungsstark und charismatisch waren, sondern auch durch Emigrations- und Kriegserfahrung echte Internationalisten wurden. Brandt konnte zu einem Breschnew eine enge, fast freundschaftliche Beziehung aufbauen und hat damit dem Frieden in Europa und der westdeutschen Wirtschaft einen unendlichen Dienst erwiesen – eine Leistung die niemals vergessen werden darf. So eine Haltung gibt es heute nicht mehr. Die heutige SPD hat denn auch mit Brandt nicht mehr das geringste zu tun.

  • am 10.09.2024 um 13:25 Uhr
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    Möglich, dass es den politischen Zeitgeist geben könnte: alles muss bürokratisch-funktionärsgerecht verwaltet werden, der Staat muss seine Bewohner unter administrativer Kontrolle haben. Die Sorge der obersten Verwaltungsgestalter könnte wohl sein, dass die Bürger zu Visionären werden könnten, die mehr Freiheit wagen möchten, die Polit-Bürokratie-Administratoren würden überflüssig. Der Souverän verwaltet seinen Staat selber. Alles würde besser funktionieren, weil sich alle mit Hingabe für den Staat engagieren und verteidigen und schützen werden und alle würden die Worte von Willy Brandt versehen: «Ausweglosigkeit gibt es nicht.»
    Gunther Kropp, Basel

  • am 10.09.2024 um 20:19 Uhr
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    Die Sozialdemokraten in Deutschland und auch in der Schweiz,machen halt einen auf Progressiv. Dabei bedienen sie sich an Ideologien,die hauptsächlich von US Unis kommen,Identitätspolitik nennt sich das,ist in Realität aber einen gewaltiger Rückschritt. Sarah Wagenknecht erklärt dies eigentlich ganz gut in ihrem Buch «Die Selbstgerechten». Schade hat sie ihre gerechtfertigte Kritik in bitterbösen, sehr provozierenden Worten geschrieben,deshalb arbeiten sie sich lieber an ihr ab, als sich der Kritik zu stellen. Dazu hat sich die deutschprachige Linke in der Pandemie vorbehaltslos hinter die Pharma, die Medien und den Staat gestellt und alle diffamiert, welche legitime Fragen stellten. Das stieß doch einige vor den Kopf. Wenn ich mir die Verantwortlichen der SPD ansehe, Scholz,Lauterbach, Faeser, Hofreiter sehe ich viel Inkompetenz und bin ziemlich sicher, dass die keine Wende zum guten bewirken können.Gerne lasse ich vom Gegenteil überraschen. Friedensgespräche mit Putin ist ein Anfang

  • am 10.09.2024 um 20:27 Uhr
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    Eine Aneinanderreihung von sehr gescheiten Sprüchen.
    Der letzte, der die Courage hatte, hieß Gerhard Schröder. Das Programm der SPD lautet immer noch verlässliche soziale Marktwirtschaft. Die Rahmenbedingungen dafür sind allerdings andernorts zerstört worden. Der von H. Prantl geforderte Mut würde bedeuten, Deutschland mehr Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein zu verschaffen. Aber selbst Macron hat in dieser Hinsicht nicht mehr als Sprüche geklopft. Das deutsche Volk wird sehen, was passiert, wenn es Sprücheklopfer wählt. Wagen kommt auch im Namen Wagenknecht vor. Prantl hätte wenigstens mal erwähnen können, dass ausgerechnet Frau Wagenknecht zunehmend an alte Werte der SPD anzuknüpfen versucht. Da wäre abzuklopfen, was davon bündnismäßig nutzbar wäre. Aber den Mut dazu hat Herr Prantl nicht.

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