Die Kreuzfahrt-Flotte der DDR
Aus heutiger Sicht ist es ein Widerspruch: Ausgerechnet die sozialistische DDR betrieb drei Jahrzehnte lang das kapitalistische Reisevergnügen par excellence: Kreuzfahrten. Der Arbeiter- und Bauernstaat war eigentlich geprägt von Mangelwirtschaft und Abschottung, dennoch bot er seinen Bürgern Fernreisen, Vergnügen und Luxus. Wie das zusammenpasst, dokumentiert Alexander Hogh im Arte-Film «Traumschiffe der DDR« (Ausstrahlung am 1. September 2023 um 10.30 Uhr).
Zuckerbrot und Peitsche: Kreuzfahrten als Belohnung
Die Idee zu einer Kreuzfahrtflotte in der Deutschen Demokratischen Republik entstand aus der Not heraus. Das hat der Historiker Andreas Stirn in einem Berliner Archiv entdeckt — in einem Besprechungsmemo der SED-Parteiführung. Kurz nach der gewaltsamen Niederschlagung des Volksaufstands vom 17. Juni 1953, bei dem über 30 Menschen starben, berieten Parteichef Walter Ulbricht und Herbert Warnke, Boss der staatlichen Gewerkschaftsorganisation, darüber, wie der Unmut der Arbeiterschaft zu besänftigen wäre.
Die Protestierenden hatten sich gegen die Erhöhung der Arbeitsnormen gestemmt und gerechtere Löhne und freie Wahlen gefordert. Darauf konnte die SED nicht eingehen. Doch Herbert Warnke hatte eine Idee, wie man die Bevölkerung von der Misere ablenken und gleichzeitig einen Ansporn zu höherer Arbeitsleistung bieten könnte: mit Ferienschiffen.
Kreuzfahrten sollten als Belohnung für jene Arbeiter angeboten werden, welche die staatlichen Normen nicht nur erfüllten, sondern sogar übertrafen. Ulbricht fand Gefallen an Warnkes Plan. Im Arte-Film sagt Historiker Andreas Stirn: «Dieses Urlauberschiff soll wie ein Vorbote der guten, sozialistischen oder sogar kommunistischen Gesellschaft sein. Und das Urlauberschiff ist ein konkretes Objekt. Da kann man halt wirklich auch Träume darauf projizieren.»
Das Kreuzfahrtschiff als Modell des sozialistischen Staates
1960 lief die «Fritz Heckert» vom Stapel, der modernste Passagierdampfer seiner Zeit, benannt nach einem Gründungsmitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands. Die Unterbringung der Passagiere brach mit alten Traditionen. Jede Kabine sah gleich aus. Das Schiff war das perfekte Modell der sozialistischen Idealvorstellung von einer klassenlosen Gesellschaft. Es sollte keine Privilegien geben. Das Urlaubsschiff «gehörte» den Werktätigen. Sie hätten es durch Spenden und freiwillige Überstunden finanziert, zitiert der Film die offizielle Doktrin. Doch der Historiker Andreas Stirn hat recherchiert, dass dies ein propagandistischer Mythos war. In Wahrheit belastete das Kreuzfahrt-Programm der DDR deren Staatskasse über alle Massen.
Die Jungfernfahrt der «Fritz Heckert» mit 350 Passagieren, die vom DDR-Geheimdienst nach «politischer Zuverlässigkeit» ausgewählt wurden, führte nach Helsinki, St. Petersburg, und Riga. Ein Plädoyer für die Verbundenheit der DDR mit der Sowjetunion. Der Arte-Film berichtet von der Speisekarte mit Schweineröllchen, Krebsfleischsalat und Känguruhschwanzsuppe. «Wir sind doch hier nicht auf der Fritz Heckert!», sei in der DDR bald zu einem gängigen Sprichwort geworden. Denn eine Kreuzfahrt habe manches geboten, was es in der DDR sonst nicht gegeben habe.
Im Jahr 1960 nahm die DDR ein zweites Kreuzfahrtschiff in Dienst, die «Völkerfreundschaft». Das war kein teurer Eigenbau, sondern eine günstige Unfall-Occasion. Es hatte ursprünglich «Stockholm» geheissen und war im Juli 1956 in dichtem Nebel mit der «Andrea Doria» kollidiert. Während der italienische Luxusliner sank, konnte sich die «Stockholm» nach New York retten, wo der schwere Schaden repariert werden konnte. Für die DDR war es ein höchst willkommenes Schnäppchen.
Pate stand das Nazi-Programm «Kraft durch Freude»
Die Idee der staatlich subventionierten Vergnügungsreise war nicht neu. Kreuzfahrten als Anreiz für das Volk gab es bereits in der NS-Diktatur. Das erste Schiff war 1937 die «Wilhelm Gustloff». Sie fuhr ins Mittelmeer, über den Atlantik und nach Skandinavien. Als «klassenloses Schiff», wie schon die Nazis prahlten. Andreas Stirn beschreibt im Film die Gemeinsamkeiten: «In beiden Systemen waren die Schiffe als sogenannte Arbeiterschiffe in der Öffentlichkeit präsent. Sie sollten also möglichst den Volksgenossen oder eben den Werktätigen zur Verfügung stehen. Und in beiden Staaten oder in beiden Diktaturen waren es Propagandaschiffe. Das waren Staatschiffe, die einen bestimmten politischen Auftrag hatten und auch so in der Öffentlichkeit präsentiert wurden.»
Zum NS-Kreuzfahrtkonzept gehörte auch das Ostseebad Prora auf Rügen. Der gewaltige Baukomplex war für 20’000 Menschen konzipiert, die hier gleichzeitig Urlaub machen sollten. «KdF» – «Kraft durch Freude» hiess das gigantische Freizeitprogramm der Nazis, das zur «Stärkung der Volksgemeinschaft» diente, wie die Propaganda tönte. Doch Stirn stellt klar, dass solche Urlaubsreisen «in beiden Systemen letzten Endes nur ein Tropfen auf den heissen Stein» waren, denn «die statistische Wahrscheinlichkeit, eine Kreuzfahrt machen zu können, war in beiden Staaten oder Diktaturen sehr, sehr, sehr gering.»
Die Mauer stoppte die Reisefreiheit, nicht aber die Kreuzfahrtschiffe
Als sich die DDR mit dem Bau der Berliner Mauer und der Schliessung der West-Grenze abschottete, endete die Reisefreiheit der DDR-Bürger. Die Idee der Kreuzfahrten pervertierte, sagt Andreas Stirn: «Das ist ja eigentlich die Ironie der Geschichte schlechthin. Die ‹Fritz Heckert› wurde im Mai 1961 in Dienst gestellt, ist dann irgendwie noch zwei, drei Monate nach Plan gefahren, auch ganz bewusst in die skandinavischen Staaten. Und dann kam der Mauerbau und im Grunde haben sich die Umstände komplett geändert. Weil was wollte man in einem Land, das keine Reisefreiheit hatte, mit Kreuzfahrtschiffen, in denen die Menschen ja genau in die grosse weite Welt fahren sollten? Also genau das passte dann nicht mehr zusammen».
Die Mittelmeerhäfen waren plötzlich tabu für die beiden Urlaubsschiffe. Doch die Parteibonzen hielten am Programm fest. Die «Völkerfreundschaft» konnte – anders als die kleinere «Fritz Heckert» — weite Reisen über den Atlantik unternehmen, um das neue Traumziel für DDR-Bürger anzulaufen: Kuba. Nach der Revolution unter Fidel Castro suchte die DDR den Kontakt mit der sozialistischen Karibikinsel.
Doch im Oktober 1962 geriet die «Völkerfreundschaft» mitten in den Brennpunkt des Kalten Krieges — in die US-Seeblockade rund um Kuba. Während die Welt am Rand des Atomkrieges stand, steuerte die Crew das Urlaubsschiff ahnungslos auf seinen Zielhafen Havanna zu. US-Kriegsschiffe stoppten es. Zeitzeugen berichten im Film von panikartigen Reaktionen an Bord. Erst nach längerem Bangen und viel diplomatischem Hin und Her gab Präsident Kennedy grünes Licht zur Weiterfahrt. Damit handelte sich die «Völkerfreundschaft» den Ruf der Blockadebrecherin ein. Sie blieb das einzige Schiff, das die USA in diesen Tagen nach Kuba passieren liessen.
Weiteres Aufsehen errang die «Völkerfreundschaft» 1965, als sie Walter Ulbricht und die Crème de la crème des SED-Regimes nach Ägypten brachte. Es sei ein «Ereignis von Weltbedeutung», jubelte die Propaganda, doch es blieb die einzige Staatsreise per Kreuzfahrtschiff. Was auch an den Kosten gelegen haben dürfte, vermutet die Arte-Dokumentation. Allein dieser Einsatz der «Völkerfreundschaft» habe der finanzgeplagten DDR ein Loch von 1,2 Millionen Ost-Mark in die Staatskasse gerissen.
Kreuzfahrten ermöglichten manchem die Republikflucht
Wer aus der DDR fliehen wollte, für den gab es kaum eine bessere Gelegenheit als eine Kreuzfahrt. Manchmal half die westdeutsche Bundesmarine mit und fischte Republik-Flüchtlinge aus dem Wasser. Laut Arte-Film berichtete die West-Presse über insgesamt 233 geglückte Fluchten von Kreuzfahrtschiffen. Eine erstaunliche Zahl, angesichts des riesigen Kontrollaufwands, den die Stasi betrieb, um die Staatstreue von Passagieren und Crew zu garantieren.
Die Kreuzfahrt bescherte der DDR gewaltige Kosten
Im März 1970 musste die «Fritz Heckert» stillgelegt werden. Die nächsten 20 Jahre lag das «Schiff der Werktätigen» im Hafen von Stralsund – als Wohn- und Hotelschiff. «Das Hauptproblem waren einfach die riesigen Kosten, dass der Betrieb unheimlich stark subventioniert werden musste», weiss Andreas Stirn. Das ganze Kreuzfahrtprogramm habe zu diesem Zeitpunkt auf der Kippe gestanden.
1971 übernahm Erich Honecker das Diktat in der SED. Ihm war klar, dass man «die materiellen Bedürfnisse der Bevölkerung befriedigen» musste. Mit neuen Wohnungen und verbessertem Lebensstandard. Die BRD unter Willy Brandt bot finanzielle Unterstützung über einen Grundlagenvertrag zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den Staaten. Für begehrte Devisen vercharterte die DDR ihre Kreuzfahrtschiffe nun auch in den Westen. Das Besatzungsmitglied Utta Vogelsänger erinnert sich im Film: «Wenn wir jetzt mit Schweden oder mit Westdeutschen fuhren, dann wurde das etwas anders. Wir mussten uns ja immer mit Genosse ansprechen. Auf den Reisen wurde daraus wieder Herr und Frau, also Herr Kapitän. Das war ein grosser Unterschied.»
Für die Passagiere aus der Bundesrepublik war die Kreuzfahrt mit dem «Urlauberschiff» ein Schnäppchen, und den Crews winkten West-Trinkgelder vom «Klassenfeind». Nur die Partei fürchtete, die Besatzung könnte durch zu engen Kontakt mit den westlichen Gästen «korrumpiert» werden. Für die SED eine Zwickmühle.
Die Parteikader machten sich immer breiter an Deck
Zugleich wurde die «Völkerfreundschaft» immer öfter für privilegierte Parteigenossen reserviert. Die begehrten Kreuzfahrten sollten als Belohnung für verdiente Veteranen dienen und die Loyalität der Führungskräfte sichern. Vieles an Bord geschah nach einem festen Ablauf. So bereits das Wecken – jeden Morgen um sieben mit dem immer gleichen Lied: Die deutsche Version von «Morning has broken»: «Schön ist der Morgen», gesungen von Nana Mouskouri. Die Leute mussten wie Werktätige um sieben aufstehen und um acht gab’s Frühstück im Kollektiv, erinnert sich eine Zeitzeugin.
Wie das ZDF-Traumschiff sozialistisch wurde
Anfang der 1980er drohte der DDR der Staatsbankrott. Die Bundesrepublik sprang mit einem Milliardenkredit ein. Gemäss Honeckers Weisung, dass die DDR eine «Kreuzfahrtnation» zu bleiben habe, wurde damit ein weiteres Kreuzfahrtschiff angeschafft. Kein gewöhnliches, sondern das «Traumschiff» aus der beliebten ZDF-Serie. Nur «das Beste für unser Land und die Arbeiterklasse» hatte die Partei gefordert. Die «Arkona», wie das Schiff neu hiess, war grösser, schneller, moderner und vor allem: viel luxuriöser als ihre Vorgänger.
Keine Kreuzfahrt ohne Bord-Spione
Offizielle Politkader der SED waren immer mit von der Partie, dazu kamen geheime Stasi-Offiziere und «inoffizielle Mitarbeiter». Allein auf der «Arkona» sollen jeweils bis zu 34 dieser berüchtigten IMs tätig gewesen sein, berichtet die Arte-Dokumentation. Darunter auch der Funker. Er hatte die Aufgabe, die Funkgespräche von Crew und Passagieren nach verdächtigen Aussagen abzuhören und alles dem Stasi-Führungsoffizier zu berichten. Spitzel und Denunzianten waren allgegenwärtig. Wer schon nur unter Verdacht geriet, unsozialistisch zu denken oder zu handeln oder gar die Republikflucht zu planen, der musste mit harten Verhören, mit Untersuchungshaft oder willkürlichen Gefängnisstrafen rechnen.
Die Traumreise der «Arkona» in eine umgekrempelte Welt
Im Herbst 1989 zerbröckelte der Machtapparat der SED. In der ganzen DDR gingen unzufriedene Bürger auf die Strasse und protestierten gegen die Staatsführung. Sie wollten die jahrzehntelange Bevormundung und Überwachung durch die Partei nicht länger akzeptieren. Doch der Stolz der DDR-Passagierflotte, die «Arkona», war immer noch auf Kreuzfahrt.
Der Entertainer und DJ Jörg Hinz, engagiert für die Unterhaltung an Bord, erinnert sich: «Wir haben, soweit ich mich daran entsinnen kann, immer sehr auf die abendlichen Nachrichten gewartet, die dann über Lautsprecher eingespielt wurden, um zu hören, was zu Hause los ist.» Wie auf jeder Reise üblich, trafen sich die Partei-Genossen zu einer Vollversammlung an Bord. Von den 240 Frauen und Männern der Besatzung waren knapp 90 in der SED. Die politische Führung war durch die revolutionäre Situation an Land und die Krise der Partei verunsichert. Die Angst vor einem Bürgerkrieg ging um.
Im zypriotischen Hafen von Limassol fand ein Passagierwechsel statt. Die neuen Gäste aus der DDR-Heimat sangen «Wir sind das Volk». Die Nachricht vom Mauerfall verbreitete sich wie ein Lauffeuer an Bord. Auf der «Arkona» versammelten sich die SED-Mitglieder zur Krisensitzung. Der Arte-Film berichtet, dass viele Genossen noch auf dem Schiff spontan aus der Partei ausgetreten seien. Der Politoffizier sei abgesetzt worden und hätte seine komfortable Kabine räumen müssen.
Am 19. Dezember 1989 kehrte die «Arkona» in eine völlig veränderte Heimat zurück. Zum ersten Mal herrschte in Ostdeutschland faktisch die Reisefreiheit, von der die Bürger bislang nur immer hatten träumen dürfen. Am 3. Oktober 1990 wurde das Ende der DDR offiziell besiegelt und die «Arkona» im Hafen Rostock offiziell in den Dienst der Bundesrepublik gestellt. Die «Urlaubsschiffe der Werktätigen» waren Geschichte. Sie seien eine «idealisierte DDR im Kleinformat» gewesen, erinnert sich eine Zeitzeugin im Film, «gefüllt mit loyalen, gut arbeitenden, für das System funktionierenden Menschen. Also wirklich so eine Art Muster-DDR, so wie man sie, wie sie sich Honecker und Co. gewünscht hätten.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Informativer, aber reisserischer Artikel, der leider den üblichen abwertenden Jargon und Klischees gegenüber der DDR verwendet. Ein bißchen mehr neutrale Sachlichkeit hätte gut getan. Noch einige Hintergründe: Die kleine DDR hatte in den 70iger Jahren eine der weltweit größten Fischfangflotten, die überall aktiv war und einen Großteil des Fangs gleich für Devisen weiterverkaufte. Die Schiffe hierfür stammten aus eigenen leistungsfähigen Werften. Anfang der 80iger drohte der DDR kein Staatsbankrott – Bankrott bedeutet Zahlungsunfähigkeit – die DDR hat alle Schulden immer pünktlich bedient. Das wurde nur nach der Reduzierung der günstigen sowj. Erdölmengen, die die DDR gegen Devisen weiterverarbeitete, immer schwieriger. Da half die BRD aus. Bis Ende der 80iger konnte die DDR ihre Schuldenlast deutlich reduzieren, allerdings um den Preis fehlender Investitionen in viele notwendige Bereiche und einer versteckten Inflation durch immer größeren Konsumgütermangel; auch Gründe für die Wende.