Die furchtbaren Juristen eines deutschen Verlages
Hans Filbinger war ein «furchtbarer Jurist». So jedenfalls bezeichnete der Dramatiker Rolf Hochhuth den damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Filbinger habe als «Hitlers Marinerichter» noch nach Kriegsende «einen deutschen Matrosen mit Nazi-Gesetzen verfolgt». Der CDU-Politiker wehrte sich gegen den Vorwurf. Doch im Laufe der Auseinandersetzungen wurde bekannt, dass er noch 1945 Todesurteile gegen Deserteure gefällt hatte. 1978 musste Filbinger zurücktreten und verlor alle politischen Ämter. Er war nicht der Einzige, der von einer juristischen Funktion im Dritten Reich nahtlos in politische Ämter oder ins Justizsystem Nachkriegsdeutschlands hinüberwechseln konnte. Es gab viele «furchtbare Juristen». Einige Namen zieren noch heute juristische Standardwerke der Bundesrepublik Deutschland. Das wird sich nun ändern – reichlich spät allerdings.
Ein Duden der Jurisprudenz
Otto Palandt lautet einer dieser Namen. Der «Palandt» – so der Titel dieses Buches – ist der meistverkaufte und bekannteste Zivilrechtskommentar Deutschlands. Für Studierende der Rechtswissenschaften ist er ebenso unverzichtbar wie für deutsche Anwaltskanzleien und Gerichte; eine Art Duden der Jurisprudenz also. Sein Renommee ist in der Fachwelt untadelig. Das unschöne Problem dabei ist nur: Jedes Mal, wenn man aus dem «Palandt» zitiert, erweist man ein klein bisschen einem prominenten NS-Juristen die Ehre, Otto Palandt eben.
Chef der Nazi-Juristenausbildung
Denn Otto Palandt war nicht irgendein Justizbeamter. Er trieb als Präsident des Reichsjustizprüfungsamtes die «Arisierung» des Rechtswesens voran und war Leiter der Ausbildungsabteilung im Reichsjustizministerium. «Historisch betrachtet war er als Hauptverantwortlicher für die Juristenausbildung im NS-Deutschland gewiss eine Stütze des Regimes», schreibt die Welt. «Er war massgeblich daran beteiligt, Frauen aus dem Studium der Rechtswissenschaften zu drängen, und forderte, junge Juristen müssten lernen ‹Volksschädlinge zu bekämpfen› und ‹die Verbindung von Blut und Boden, von Rasse und Volkstum› zu begreifen», heisst es auf der Homepage der Juristen-Initiative «Palandt umbenennen». Eigene rechtliche Kommentare hat Palandt nie publiziert, seine Mitarbeit beschränkte sich auf das Verfassen von Vorworten, welche den Nationalsozialismus glorifizierten.
Unaufgearbeitete Vergangenheit
1939 erschien die erste Ausgabe dieses Werkes, von Beginn weg und bis heute bei C.H. Beck, dem führenden deutschen Verlag für rechtswissenschaftliche Literatur. Palandts Werk war fester Bestandteil des nationalsozialistischen Unrechtsstaates. Nach dem Sieg der Alliierten lebte Otto Palandt unbehelligt weiter bis zu seinem Tod 1951, er musste weder hinter Gitter noch verschwand das Werk. 1948 wurde Palandt im Rahmen eines Entnazifizierungsverfahrens «als in jeder Hinsicht entlastet» eingestuft; eine rückblickend schwer verständliche Entscheidung. Eine Entschuldigung des Verlags gab es nicht, wie Studierende der Berliner Humboldt-Universität 2015 in einem Reader mit dem Titel «Das rechte (Un)Recht» schreiben. «Der Kommentar erscheint ab 1949 um die zu sehr vor nationalsozialistischem Eifer triefenden Stellen gekürzt und ohne die nunmehr abgeschafften Gesetze, aber ansonsten unverändert», halten die Autorinnen und Autoren fest. Das Werk stehe für «ungebrochene Traditionen und unaufgearbeitete Vergangenheit in der deutschen Rechtswissenschaft».
Der Kotau des Verlags vor dem NS-Regime
Der Verlag sieht die Sache etwas anders. 1949 seien «sämtliche nationalsozialistisch beeinflussten Texte und Gedanken aus dem Werk entfernt» worden. Der Verlag sei sich seiner Verantwortung zu Geschichte und Titel des Werks sehr bewusst. Er habe sich deshalb immer wieder intensiv und kritisch mit Otto Palandt auseinandergesetzt. Die Begründung, weshalb der Name beibehalten worden ist, wirkt etwas eigenartig. Nach dem Ausscheiden Palandts sei das Werk ohne Herausgeber von einem Autorenkollegium fortgeführt worden, «das Werk konnte deshalb nicht nach einer anderen Herausgeberpersönlichkeit benannt werden». Auch aufgrund der in der Rechtsliteratur «aussergewöhnlichen Konzeption und der daraus resultierenden Bekanntheit des Werks löste sich der Name ‹Palandt› von der Person Otto Palandt», heisst es auf der Homepage des Verlags. Der Name sei eine Marke geworden. Zudem: «Geschichte – problematische zumal – wird durch Verschweigen nicht ungeschehen, sondern gerät in Vergessenheit. Auch deswegen – und nicht etwa als posthume Anerkennung der Person Otto Palandt – halten wir am Titel des Werks ‹Palandt› fest.»
Falsch. Faktisch ist es eben doch eine posthume Ehrung. Die Süddeutsche Zeitung schreibt, der Grund für das Festhalten sei «einzig und allein eine Ehrung. Der Verlag wollte 1938 einen Kotau vor dem NS-Regime machen. Dem Nazi wurde deshalb die Namenspatenschaft angetragen. Er musste dazu nichts beitragen. Das ist nicht Aufklärung, sondern Verklärung.»
Justizminister intervenieren
Der Druck auf den Verlag wurde allmählich zu gross. 2018 forderten auch die Justizminister mehrerer deutscher Bundesländer eine Umbenennung. Gemäss Süddeutscher Zeitung stammt der entscheidende Anstoss vom bayerischen CSU-Landesjustizminister Georg Eisenreich. Im Mai dieses Jahres hatte er eine unabhängige historische Studie in Auftrag gegeben. «Gleichzeitig riet er dem Verleger Hans Dieter Beck in einer Reihe von persönlichen Gesprächen, sich lieber nicht zu lange treiben zu lassen, sondern reinen Tisch zu machen.»
Am 27. Juli 2021 hat der Verlag dann die Kurve endlich erwischt. In einer Medienmitteilung heisst es, man habe sich entschlossen, die Werke des Verlagsprogramms umzubenennen, auf denen als Herausgeber oder Autoren noch Namen von Juristen genannt sind, die während der NS-Diktatur eine aktive Rolle gespielt hätten. Neben Palandt führt der Verlag nämlich noch einige weitere Werke mit Nazi-Juristen auf dem Buchdeckel. Für seine Kehrtwendung bringt der Verleger Hans Dieter Beck eine reichlich konstruiert wirkende Begründung vor: «In Zeiten zunehmenden Antisemitismus ist es mir ein Anliegen, durch unsere Massnahmen ein Zeichen zu setzen.» Ob es allein der «zunehmende Antisemitismus» war oder nicht doch ein klein wenig auch der öffentliche Druck, bleibe dahingestellt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
‹Der C.H. Beck Verlag publiziert noch immer juristische Werke, auf denen Namen von Nazi-Juristen prangen.›
Dagegen ist nichts einzuwenden. Jede Zeit hat ihre Werte. Wer nachträglich aus heutiger Sicht Geschichte klittert ist ein Tugendterrorist. Auch die römischen Kaiser waren keine Guten, waren Massenmörder.
@Ralf Schrader ……
Ja, so ähnlich wie es in Ihrem Kommentar steht, würde ich es auch formulieren. ……
Ich weiss nicht, ob es gut, schlecht oder etwas anderes ist, dass man das buch nun umbenennt. Ich bin allerdings der meinung, dass sie einen wichtigen aspekt der sache ausser acht lassen. Naemlich, dass juristerei ein weitestgehend privates geschaeft ist und daher reiche oder maechtige immer leicht sog. Mitarbeiter finden, die fuer ein gutes gehalt das machen, was ihr chef von ihnen erwartet. Eben das machen, was sich auszahlt.
Wenn der namensgeber des buchs nicht an direkten verbrechen im hitler-faschismus beteiligt war, dann ist diese kaeuflichkeit, die in gelehrter form daherkommt und den reichen in der gesellschaft die ampeln auf vorfahrt stellt, vielleicht die schlimmere seiner verfehlungen. Vielleicht sollte man gelegentlich auch derartige aspekte in artikel einbringen.
Wenn es NUR der Name eines Autors wäre. Keiner der Juristen des 3. Reichs, wurde zur Verantwortung gezogen. Sie wurden ALLE nach 1945 wieder im Justizbereich eingesetzt und haben in den Schulen die kommende Generation der Juristen «gebildet und erzogen».
Immerhin hatte das 1. Kabinett Adenauers mehr NSDAP-Mitglieder als das 1. Kabinett Hitlers – natürlich ganz im Sinne des Potsdamer Abkommens, also internationelen Rechts. Und dieser Staat nennt sich seit dieser Zeit RECHTS-Staat – weil er jegliches Rechts mißachtet hat.
So wurde ein Kohl von zwei Faschisten protegiert, von einem ehemaligen Wehrwirtschaftsführer und einem ehemaligen Chemiefabrikanten aus Leipzig, der seine Produktion, da in Deutschland die Arbeitskräfte rar wurden nach Polen verlegte. Dort fand er in Auschwitz genügend Arbeiter. Nachlesbar in dem Buch «Schwarzbuch Helmut Kohl» von E.A. Rauter – sehr zu empfehlen !