Kommentar
«Die derzeitige Richtung des Krieges führt in die Katastrophe»
Schon wieder eine Zeitenwende. Dieselben Zeitungen, die noch vor kurzem erklärten, dass die Ukraine bis zum Sieg über Russland kämpfen werde, überraschen nun mit neuen Sprachregelungen von der Sorte «Unsichere Entwicklung» und «Pattsituation». Noch im September schrieb die «Neue Zürcher Zeitung» im Leitartikel «Putin ist nicht unbezwingbar» und Kiew habe «Chancen den Durchbruch in Richtung Meer in diesem Jahr zu schaffen». Dasselbe Blatt schreibt am 18. November, die Ukrainer müssten sich «mit der Möglichkeit einer Niederlage auseinandersetzen».
«Der Westen hat seine Chance vertan» titelt am 29. November der Zürcher «Tagesanzeiger» und zitiert eine US-Historikerin, die «nicht mehr daran glaubt, dass die Ukraine den Krieg gewinnen und die verlorenen Gebiete zurückerobern» könne. Nun ist also plötzlich alles anders, und die fast täglich aufgebotenen Generäle und Strategie-Experten, die wussten «Putin kann diesen Krieg nicht gewinnen» («Tagesanzeiger»), werden über Nacht ausgewechselt.
Erstaunlich sind die neuen Töne in Deutschland. Die Ampelkoalition unter dem Sozialdemokraten Olaf Scholz gilt nach wie vor als treuester Verbündeter der USA und der Nato im Ukraine-Krieg. Aussenministerin Annalena Baerbock sagte bei ihrem 4. Besuch in Kiew im September, Deutschland sei «mit 22 Milliarden Euro der weltweit zweitgrösste Unterstützer der Ukraine». Deutschland werde an der Seite der Ukraine stehen, «no matter how long it takes».
Nun publizierte Anfang Dezember das IPG-Journal von der Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD in prominenter Aufmachung eine Analyse zum Ukraine-Krieg, welche die bisherige Politik über den Haufen wirft. Unter dem Titel «Wettlauf mit der Zeit» kommt Anatol Lieven, Russland-Forscher am renommierten «Quincy Institute for Responsible Statecraft» in Washington zu dem Schluss: «Die derzeitige Richtung des Krieges führt in die Katastrophe.»
Das IPG-Journal schreibt zwar, die Beiträge würden die Auffassung des Autors wiedergeben und nicht die der Friedrich-Ebert-Stiftung. Doch dass das SPD-nahe Journal diesen Gastbeitrag überhaupt publizierte, hat Signalwirkung.
Wenn die USA nicht bald einen Waffenstillstand und eine Verhandlungslösung herbeiführten, würden sie den Zusammenbruch der Ukraine riskieren. Die Zeit sei ein Feind für die Ukraine: «Russland hat etwa das Vierfache der Bevölkerung der Ukraine und das Vierzehnfache ihres Bruttoinlandproduktes (…) Der Westen kann gegebenenfalls mehr Waffen liefern, aber er kann keine zusätzlichen ukrainischen Soldaten schaffen.»
Die US-Regierung habe, so Lieven, der ukrainischen Regierung insgeheim bereits geraten, Gespräche mit Russland aufzunehmen, doch «ultranationalistische Gruppen in der Ukraine setzen sich mit aller Macht gegen jeden Kompromiss ein».
Lieven fügt an, dass auch die russische Regierung derzeit nicht an einem Kriegsende interessiert sei, weil sie glaube, die Zeit spiele für sie. Allerdings willigte Russland in der Vergangenheit schon zweimal in Verhandlungen ein, doch hatte die NATO ersthafte Verhandlungen und ein Abkommen blockiert (siehe hier oder hier).
Lieven argumentiert: «Wenn Moskau an den Verhandlungstisch gebracht werden soll, während sich die militärische Situation doch gerade zu seinen Gunsten entwickelt, muss versichert werden, dass Washington bereit ist, ernsthaft über eine endgültige Regelung zu diskutieren, die die Neutralität der Ukraine (natürlich einschliesslich internationaler Sicherheitsgarantien) gegenseitige Truppenbegrenzungen in Europa, die Aufhebung von Sanktionen und eine Form von umfassender europäischer Sicherheitsgarantien beinhaltet.»
Erstaunliche Sätze. Wer es vor ein paar Monaten gewagt hätte, sie zu schreiben, der wäre in Deutschland als Putin-Troll und Sprachrohr des Kreml diffamiert worden. Nun liest man sie beim Thinktank der deutschen Sozialdemokraten. Aber wie gesagt: An rasche Zeitenwenden muss man sich gewöhnen. Die Zeiten werden offensichtlich in immer schnellerem Takt gewendet.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Die Überlegung zum ungleichen Kräfteverhältnis Russland- Ukraine hätten sich westlichen Politiker von Anfang an machen können. Aber Gier und Hoffnung waren grösser. Sie haben ihre Staaten überschuldet, ihre Währungen geschwächt und muten dem Bürger hohe Inflation zu. Menschenrechte und Werte wurden zu Worthülsen. Russland und seine Kultur wurden zum neuen Feindbild für die Medien und damit der westlichen Welt. Und die Ukraine zahlt dafür einen hohen Preis, ohne einen Gegenwert zu erhalten.
Das Eine ist der Krieg. Das Andere ist die Berichterstattung und Meinungsbildung in den Medien. Bei Beidem ist es manchmal zum Verzweifeln.
1. Der Krieg hätte verhindert werden können. 2. Russlands Streitkräfte sind im ersten Sechtstel ihrer Ziele stecken geblieben. 3. Die Milliarden die in diesen Krieg gepumpt werden fliessen von den Produzierenden zu den Oligarchien. 4. Für letztere läuft es derzeit prima, aber sie sind frei sich gegebenenfalls auch andere Profitquellen zuzuwenden.
Das dies letztendlich so enden würde, war von Anfang klar. Man kann der Ukraine noch so viele Waffen liefern, wenn keine Soldaten mehr da sind, welche sie bedienen können, nützt es nichts. Der Schaden, welcher den Bürgern enstanden ist, ist enorm. Die, welche direkt im Konflikt involviert sind, haben sicherlich den höchsten Preis bezahlt, gefolgt von den europäischen Länder und viele andere, welche durch die Sanktionen getroffen wurden.
Ich komme immer wieder auf die Bücher von Jacques Baud zurück. Er hat von Anfang an aufgezeigt, dass die Ukraine trotz der wunderbaren Versprechungen der USA und Europa nicht gewinnen kann, ohne die Nato auf dem Kampffeld zu mobilisieren. Wer die USA und ihre skrupellosen Machenschaften in der Welt bis jetzt beobachtet und studiert hat, weiss, dass ihre Strategien nie aufgehen und dass man sich nicht auf sie verlassen kann. Sie zerstören und töten und lassen dann ein riesiges Chaos zurück (Afghanistan, Irak, Syrien, Libanon, Yemen, Ukraine). Für den Wiederaufbau und die Flüchtlinge kann dann Europa aufkommen. Und so wird es auch mit Palästina gehen, ein unerhörtes Massaker und Zerstörung! Das Ende Palästinas ist absehbar, bis zum letzten Palästinenser, dann wird es aber wohl mit dem Libanon weiter gehen…
Putin ist ein Aggressor und Massenmörder mit Grössenwahn und Allmachtsfantasien. Er versprach beim Überfall der Ukraine «Entnazifizierung» und Auslöschung der Ukraine. Mit solch einem will und kann das Opfer kein Mitleid haben und keine Friedensverhandlungen führen, weil die latente Gefahr sonst besteht, erneut aus dem Hinterhalt angegriffen zu werden. Ein Krieg endet nur einigermassen sicher, wenn der Aggressor vernichtet wird oder verliert und um Frieden bittet.
Die Journalisten sind kriegsberichtsmüde. Keine Breaking News mehr, der Alltagstrott aus dem Kriegsgebiet zermürbt. Deshalb wäre es den Journis lieber, das Thema wäre abgehakt. Da gibt’s keinen Blumenstrauss mehr zu gewinnen.
Die westlichen Politiker eiern wie üblich herum in der Abschätzung, ob sich Kriegshilfe an die Ukraine lohnt und auszahlt oder ob man das Geld lieber innenpolitisch verschwenden sollte.
Was sicher ist: Wenn Putin nicht gestoppt wird, wird’s erst recht im Westen ungemütlich.
Wir wissen, der Krieg hätte verhindert werden können. Und wahrscheinlich wären beide Kontrahenten gestärkt aus Verhandlungen hervorgegangen, weil sie Dialogfähigkeit im Sinne einer Lösung bewiesen hätten.
Nun ist es anders. Machtstreben und Profitgier hat vielen Menschen Leid gebracht und steht nun vor einem Scherbenhaufen, für den, wie gewöhnlich, niemand die Verantwortung übernimmt. Schlimm, wirklich schlimm ist dabei die Diffamierung klar denkender Menschen durch mittelmäßige Politiker und Medien, die zu dümmlichen, devoten Propagandawerkzeugen wurden und noch sind.
Wer soll da noch Glaubwürdigkeit sehen?
Selbstverständlich dürfen Zeitungen ihre Artikel den Geschehnissen anpassen ohne dass «Kollegen» ihnen Sprachregelungen vorwerfen. Soll verwerflich sein, die Situation im Dezember anders zu beurteilen als im September ? Kann nun, weil offensichtlich der Krieg nicht aus der Ukraine vertrieben werden kann, triumphiert werden? So à la, wir haben es schon immer gewusst ?
Vielleicht geht es eher darum, entweder das sich wehren dürfen gutzuheissen und sich einzugestehen zu wenig geholfen zu haben oder immerwieder unabbringbar den Angriffskrieg zu legitimieren.