Bangladesch siedelt Rohingya auf entlegene Insel um
«Es gibt keinen Lärm hier», schreibt ein anonymer Geflohener, der seine Eindrücke für den «Guardian» festgehalten hat. Nur wenn Kinder spielten, kehre etwas Leben ein.
Der anonyme Schreiber ist einer der ersten Rohingya, die von den Flüchtlingslagern bei Cox’s Basar in Bangladesch auf die Insel Bhasan Char transportiert wurden.
Die einstöckigen Gebäude sähen alle gleich aus. Es gebe einige höhere Häuser, deren obere Stockwerke Flüchtlinge nicht betreten dürften, ausser bei einem Sturm. «Vielleicht denken sie, wir würden uns umbringen?», schreibt der Autor oder die Autorin.
Ein ebenfalls anonymer Fotograf hat den Brief mit tristen Schwarzweiss-Bildern illustriert, die lange Gebäudereihen und leere Strassen zeigen. Andere Medien zeigen das Gleiche in Farbe. Das klingt nicht gerade ermutigend und viel Information ist es nicht.
Öffentlichkeit ist unerwünscht
Bald dürfte es lebhafter werden. Bangladesch hat Anfang Dezember 2020 angefangen, Rohingya aus den Flüchtlingslagern an der burmesischen Grenze auf die abgelegene Insel Bhasan Char umzusiedeln. Zwischen 1500 und 2000 Rohingya wurden bereits auf das flache Eiland im Golf von Bengalen gebracht, 100’000 sollen insgesamt umsiedeln.
Die Geheimniskrämerei ist kein Zufall. Öffentlichkeit ist nicht erwünscht. Das zeigt das Beispiel des Fotografen Abdul Karam, der die Busse fotografierte, die Umsiedler aus den Flüchtlingslagern bei Cox’s Basar in die Hafenstadt Chittagong bringen sollten, wo die Boote nach Bhasan Char ablegen. Er wurde festgenommen und mindestens eine Woche festgehalten.
Die Umsiedlung ist umstritten. Er sei freiwillig auf der Insel, schreibt «Anonymous». Bei einigen anderen ist das nicht so sicher. Menschenrechtsorganisationen wie «Human Rights Watch» berichten, dass zumindest einige der neuen Bewohner nicht freiwillig auf die 40 Quadratkilometer grosse Insel gegangen sind. Andere berichteten von grossem Druck, der auf sie ausgeübt werde. Die Vereinten Nationen, die Flüchtlinge in Cox’s Basar betreuen, haben sich lange gegen die seit 2015 geplante Umsiedelung gewehrt, nun begann die Umsiedlung ohne die Zustimmung der UN.
Ab auf die Insel im Überflutungsgebiet
Die Vertreter der Vereinten Nationen haben dabei vor allem Sicherheitsbedenken. Bhasan Char entstand erst vor rund 20 Jahren aus Sedimenten, die der Fluss Meghna in den Golf trug.
Die 60 Kilometer vom Festland entfernte Insel liegt in einem Gebiet, in dem immer wieder Zyklone auftreten, die aller Wahrscheinlichkeit nach in Zukunft an Heftigkeit und Häufigkeit zunehmen werden.
An der dauerhaften Bewohnbarkeit der Insel gibt es erhebliche Zweifel. In Notfällen und bei schlechtem Wetter ist der Weg zum Festland zu weit. Dazu ist unklar, ob die umgesiedelten Flüchtlinge die Insel verlassen können, wenn sie wollen.
Kaum Informationen von Bhasan Char
100’000 Rohingya werden möglichst bald auf Bhasan Char leben, bei einem Ausbau wäre Platz für mehr, sagt der Architekt der Anlage. Die Regierung in Dhaka hat 350 Millionen Dollar auf Bhasan Char investiert, darunter auch für den Bau eines drei Meter hohen Deichs. Ob dieser bei einem Hochwasser ausreicht, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Wie es auf der abgelegenen Insel aussieht, konnten ausser Polizei, Armee und den neuen Bewohnern bisher nur wenige sehen. Für die Medien ist der Zutritt eingeschränkt, es gibt nur wenige Bilder. Reporter der «BBC» beispielsweise machten einen begleiteten Rundgang über die Insel, lauschten Power-Point-Vorträgen, fotografierten einen Leuchtturm und einen kleinen Garten, die roten Dächer der noch leeren Gebäude von oben.
AI: Korruption und Menschenrechtsverletzungen
Auch sonst gibt es nur wenige Informationen. Die ersten 300 Einwohner Bhasan Chars waren Bootsflüchtlinge, die vergeblich versuchten, aus Cox’s Basar nach Malaysia zu gelangen. Sie wurden im Mai 2020 auf die Insel gebracht, zunächst angeblich für eine 14-tägige Quarantäne. Sie würde die Insel lieber heute als morgen verlassen, sagte eine Frau, mit der «Amnesty International» gesprochen hat. Andere berichteten über Korruption, Menschenrechtsverletzungen und schlechte medizinische Versorgung.
Nachrichten, die auch nach Cox’s Basar vorgedrungen sind. Dort hat sich das ursprüngliche Flüchtlingslager mittlerweile auch auf umliegende Wälder und Obstplantagen ausgedehnt. Auf Bhasan Char gibt es zwar Häuser statt Zelte und Bambushütten sowie Strom und Kanalisation, in einem Insel-Gefängnis wollen die Geflohenen aber nicht leben. Viele wollen an der Grenze zu Myanmar bleiben, weil sie hoffen, eines Tages zurückkehren zu können.
Hilfsorganisationen haben nur begrenzt Zugang zum «Paradies»
Die Vereinten Nationen haben Zweifel, ob Bhasan Char 100’000 Menschen sicher beherbergen kann. Zutritt zur Insel, um eine Einschätzung abgeben zu können, haben ihre Vertreter nicht bekommen. Menschenrechtsorganisationen fordern, die Umsiedlung sofort zu stoppen. Das Betreten der Insel sei für Hilfsorganisationen nur mit vorheriger Erlaubnis möglich, so könne keine unabhängige Beobachtung stattfinden.
Regierungsvertreter betonen regelmässig die Annehmlichkeiten der neuen Flüchtlingsinsel und bezeichnten sie unter anderem als «Paradies». Sie weisen oft darauf hin, dass niemand gezwungen werde, dorthin zu gehen. Vor anderthalb Jahren klang das noch anders, eine Zwangsumsiedlung ohne Zustimmung der UN halte er für möglich, sagte Bangladeschs Aussenminister Abdul Momen zur «Deutschen Welle».
Für Bangladesch ist es eine Flucht nach vorn
Für Bangladesch ist die Umsiedlung eine Lösung für ein immer dringender werdendes Problem. Fast vier Jahre ist es her, dass hunderttausende Rohingya aus der Provinz Rakhine in Myanmar vor politischer und religiöser Verfolgung nach Bangladesch flohen. Bangladesch nahm sie anfangs freundlich auf, der Flüchtlingsstrom riss seither kaum ab.
Unterdessen sind schätzungsweise eine Million Angehörige der muslimischen Minderheit aus Myanmar geflohen, vorwiegend über die Staatsgrenze nach Bangladesch, wo aus einer länger zurückliegenden Flüchtlingswelle bereits 200‘000 Rohingya lebten. Die meisten Rohingya werden weder von Bangladesch noch von Myanmar als Staatsangehörige anerkannt.
Im weltweit grössten Flüchtlingslager Kutupalong im Distrikt Cox’s Basar an der Grenze zu Myanmar sowie diversen Ablegern leben derzeit etwa 750‘000 Menschen. Die hygienischen Zustände und die Sicherheitslage sind prekär. Kriminalität, Menschen- und Drogenhandel nehmen zu. Bangladesch reagierte mit Einschränkungen, so können Geflohene keine SIM-Karten mehr kaufen und dürfen das Lager zeitweise nicht verlassen.
Eine Lösung in Myanmar ist nicht in Sicht
Ein Problem, das in Myanmar entstanden sei, müsse auch in Myanmar gelöst werden, sagen viele internationale Stimmen. Danach sieht es jedoch derzeit nicht aus. Eine Rückkehr ist den Rohingya kaum möglich. Sie werden in Myanmar noch immer verfolgt und hatten in den letzten Wahlen praktisch kein Wahlrecht. Rückführungsversuche seitens Bangladesch wurden boykottiert. Zu gross war die Angst vor erneuten Gewalttaten.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Wenn man die Insel auf Google Maps sucht, kann man dort eine grössere Zahl Bilder finden.