Jan Birk (links) vor dem Gericht in Cochem an der Mosel am 26. Mai 2021. (pd)

Atomwaffen: «Ich fuhr mit einem Bolzenschneider nach Büchel»

Helmut Scheben /  In Deutschland stand erneut ein Friedensaktivist vor Gericht, weil er am Atombombenlager in der Eifel demonstriert hatte.

Jan Birk hat Hausfriedensbruch begangen. Das Haus, in dem der 63-jährige Mann den Hausfrieden gebrochen hat, ist das Atombomben-Depot in Büchel in der Eifel. Auf dem Flugplatz liegen 20 taktische Atombomben, wahrscheinlich von Typ B-61.  Dass sie da sind, ist erwiesen, Genaueres weiss man nicht, denn die deutsche Regierung gibt keine exakten Auskünfte über die Nato-Nuklearwaffen, die in unterirdischen Silos auf dem Stützpunkt lagern.

Aufs Militärgelände vorgedrungen

Jan Birk ist am 30. April 2019 zusammen mit 16 weiteren Friedensaktivisten auf das Militärgelände vorgedrungen. Sie haben Absperrungen durchtrennt und Transparente gezeigt, auf denen die Regierung aufgefordert wird, Deutschland frei von Atomwaffen zu machen und abzurüsten. Sie störten somit den Betrieb des Luftwaffengeschwaders 33 der Bundeswehr. Dieses hat im sogenannten Ernstfall den Auftrag, die Atombomben dort abzuwerfen, wo die Nato-Führung den Feind treffen will. Nach aktuellen Drehbüchern also zum Beispiel in Moskau. Die Verpflichtung Deutschlands, an einem Atomkrieg teilzunehmen, wird im Nato-Wording «nukleare Teilhabe» genannt. Das diesem Ausdruck zugrunde liegende PR-Narrativ wurde oft kritisiert.

Am 26. Mai steht Jan Birk am Ende der Verhandlung auf und sagt dem Richter: «Ich komme aus Schleswig Holstein, geboren wurde ich in Oldenburg, was die deutsche Übersetzung des ursprünglich slawischen Namens Starigrad ist.» Dann resümiert er seinen Lebenslauf: Schulbesuche in verschiedenen deutschen Bundesländern und an der deutschen Schule in Paris, Landwirtschaftsstudium an der Universität Kiel, Auslandsemester in Japan, Zivildienst in der Altenpflege, zwei Jahre Entwicklungsarbeit mit dem ökumenischen Friedensdienst Eirene in Niger und schliesslich seit 1989 Arbeit im Umweltamt der Stadt Preetz in Schleswig Holstein und zahlreiche Ehrenämter in Gewerkschaft und Landwirtschaft.

Verantwortung fürs Gemeinwesen

Und weiter zum Richter: «Warum erzähle ich Ihnen das? Zum einen möchte ich Ihnen deutlich machen, welche Vita mich zu der Überzeugung gebracht hat, dass ein friedliches Zusammenleben der Völker möglich ist. Zum andern möchte ich Ihnen deutlich machen, dass ich überzeugt bin, dass jeder Mensch – und so auch ich – eine persönliche Verantwortung für unser Gemeinwesen und für die Zukunft trägt. Und dass ich diese Verantwortung annehme.»

In Deutschland ergeben alle Umfragen seit Jahren, dass eine grosse Mehrheit der Menschen keine Nuklearwaffen im Land haben will. In der Schweiz wäre dieser politische Wille mit dem Mittel der Volksbefragung wohl durchsetzbar, aber Deutschland kennt keine direkte Demokratie auf Bundesebene. Hinzu kommt, dass Deutschland in Bezug auf Krieg und Militär nicht souverän ist. Die Atomwaffen und ihr Einsatz unterstehen im sogenannten Ernstfall dem Nato-Kommando. Die deutsche Regierung ignoriert seit Jahrzehnten alle politischen Bestrebungen, die Atomwaffen zu entfernen. Auch alle Vorstösse der Legislative, Deutschland atomwaffenfrei zu machen – zuletzt 2010 mit der Zustimmung aller Parteien – sind offensichtlich am Veto der USA gescheitert.

Verpackungskünstler in der Regierung

Das geht so seit dem Zweiten Weltkrieg, das heisst, seit dem Besatzungsstatut von 1949, dem Truppenstatut von 1951 und dem Aufenthaltsabkommen von 1954. Jeder Versuch, Klarheit über die beschränkte deutsche Souveränität zu schaffen oder diese wiederherzustellen, wird abgeblockt oder endet an sicherheitsrelevanter Geheimhaltung. Mit der Anstrengung, diese Tatsache mit juristischem Kauderwelsch zu verhüllen, haben sich deutsche Regierungen von Bonn bis Berlin als wahre Verpackungskünstler erwiesen.

Die Strassenproteste gegen die deutsche Aufrüstung haben Tradition seit den achtziger Jahren, als sich die Friedensbewegung gegen die Stationierung von US-Raketen wehrte, die Atomsprengköpfe trugen. Die Kampagne «Büchel ist überall! atomwaffenfrei jetzt» wurde 2019 mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet. Aber es sind nur wenige Mutige, die nach Büchel fahren, um gegen die Militärübungen zu protestieren, die sie «Vorbereitung eines Atomkriegs» nennen. Jan Birk ist einer dieser wenigen.

Berufung aufs Grundgesetz

Er sagte dem Richter, mit den Atombomben in Büchel verstosse die Regierung gegen das deutsche Grundgesetz und gegen den Vertrag über Nichtverbreitung von Atomwaffen. Deshalb fühle er sich aus Gewissengründen zum zivilen Ungehorsam verpflichtet:

«Ich habe einen Bolzenschneider gekauft und bin nach Büchel gefahren. Meine Absicht war, das Treiben der Bundeswehr so wirksam wie möglich zu stören, wobei jede Aktion ausschied, die einem anderen Menschen körperlichen Schaden zufügen würde.» Den Soldaten auf dem Militärflugplatz habe er gesagt: «Wir wollen nicht um jeden Preis – also um den Preis der eigenen Vernichtung und um den Preis der Unbewohnbarkeit von Teilen dieser Erde – verteidigt werden.» Es müsse doch allen klar sein, dass es nach dem Einsatz von Nuklearwaffen nichts mehr zu verteidigen gebe.

Eine Billion Dollar für die Nachrüstung

Die Kampagne für die Ächtung von Atomwaffen (ICAN), hinter der weltweit 500 Organisationen stehen, bekam 2017 den Friedensnobelpreis, und am 22. Januar 2021 trat der Vertrag über das Verbot von Atomwaffen in Kraft. Aber er hat nur Symbolkraft, denn die Atommächte und die Nato-Staaten haben diesen Vertrag nicht unterschrieben. Und nach dem Beschluss der USA, das «updating» ihres Nuklear-Arsenals in den nächsten drei Jahrzehnten mit einer Billion Dollar (engl. 1 trillion $) zu budgetieren, geht die atomare Aufrüstung in die nächste Phase der Eskalation.

Insgesamt 16 Leute nahmen mit Jan Birk an der Aktion im April 2019 teil. Kennzeichnend für alle ist, dass sie auf Recht und Gesetz vertrauen. Irgendwann auf dem Weg durch die Instanzen, so hoffen sie, werde wohl ein deutsches Gericht die Legitimität des Widerstands gegen Atomkrieg anerkennen müssen. Jan Birk hat einen Kurs in gewaltfreier Kommunikation absolviert. Am Telefon sagt er mir: «Ich habe mich bemüht, soweit es irgend möglich ist, auf den Richter zuzugehen.» Die Atmosphäre im Gerichtssaal schildert er als erstaunlich freundlich. Der Richter sei zugewandt gewesen, und selbst der Staatsanwalt habe Birk «hehre Ziele» zugestanden.

Das Urteil

Am Ende seines Plädoyers zitiert der Angeklagte Immanuel Kant: «Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.» Und er schliesst mit Luthers «Ich stehe hier und kann nicht anders.» Der Richter verurteilt den Mann wegen Hausfriedensbruchs zu 30 Tagesätzen à 30 Euro. Jan Birk wird Widerspruch einlegen.

«Ich bin zwischen Bücherregalen gross geworden», sagt er mir später am Telefon. Seine Kindheit war ein wenig Nomadentum. Der Vater arbeitete bei IBM und musste oft den Arbeitsort wechseln. Eine Familie, in deren Vergangenheit im 20. Jahrhundert von links bis rechts alle Lebensläufe zu finden waren. Birks Bruder hat Sinologie in China studiert und eine jüdische Rabbinerin geheiratet. In Büchel hat ihn vor allem eines beeindruckt: «Dass Menschen aus ganz Deutschland, von denen ich die meisten vorher nicht kannte, dort zusammenkommen, um gegen den Atomkrieg zu protestieren.»

Als ich ihn frage, welche historischen Figuren Vorbilder gewesen seien, nennt er als ersten Lew Tolstoi. Was nicht erstaunlich ist. Der grosse russische Schriftsteller und christliche Prediger gegen den Krieg wäre heutzutage wohl einer von denen, die mit einem Bolzenschneider nach Büchel fahren.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Zum Infosperber-Dossier:

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Weltweit werden sichere Lagerstätten gesucht. Künftige Generationen sollen damit nichts zu tun haben.

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5 Meinungen

  • am 3.06.2021 um 11:56 Uhr
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    Herzlichen Dank Herrn Scheben und dem Infosperber. Solche Artikel müssten jeden Tag in den Printmedien stehen und auf allen Kanälen zu hören sein. Es ist einfach nicht zu fassen, wie sich die USA mit der NATO, Geheimarmeen, Geheimdiensten seit Jahrzehnten über die Welt hermachen, dabei Europa, vor allem Deutschland, als Abschussrampe benutzen und ihnen die vollkommen ersichtlichen und abschätzbaren Folgen völlig gleichgültig sind. Es ist leider wahr, dass ihnen nur atomar gerüstete Staaten wie Russland und China Einalt gebieten können, was sebstverständlich auch dem Iran und Nordkorea bewusst ist, weswegen die Ächtung und der Vertrag über Atomwaffenverbot zwar eine sehr gute Sache für die gesamte friedliche Menschheit ist, aber nur sinnvoll, wenn die Macht, die diese Waffe erfunden hat und der Welt schon zweimal in ihrer verheerenden Wirkung vorgeführt hat, ohne Hintergedanken mitmacht, woran erhebliche Zweifel nach allen Erfahrungen seit dem 2. Weltkrieg mehr als berechtigt sind.

  • am 4.06.2021 um 00:37 Uhr
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    Könnte es sein, das noch schlimmer als der Atomwaffen und Gewaltwahn, die «Schweigende Mehrheit» ist? Ist es nicht das, was Korruption, Kriege, Waffenindustrie, Missbrauch des Tauschmittels Kapital bis hin zum Raubtierkapitalismus, möglich macht? Die schweigende Mehrheit, welche ihre Sicherheit nicht riskieren möchte, welche der Existenzangst nachgibt wider besseren Wissens? Die nächste Bombe welche explodiert wird der immer noch unregulierte Raubtierkapitalismus sein, denn dieser wird die ganze Wirtschaft samt dem sinnvollen Kapitalmechanismus an die Wand fahren. Wenn ca. 7% nahezu über 92% des Weltkapitales in den Händen halten und zum grossen Teil nicht mal Steuern zahlen, diese als Nationalisten Ressourcen beherrschen welche bekriegt werden könnten, und diese ihre Bürger als Humankapital bezeichnen, dann wissen wir, was die Triebfeder aller nationalen Gewalt ist. Das Begehren nach Macht und ihren Insignien, nach Ansehen, es ist wie eine Droge, es braucht immer mehr davon, bis der Untergang kommt, die toxische Grenze erreicht ist. Denn alles was man mit Gewalt erreicht hat, kann man nur mit Gewalt behalten, bis das System zusammen bricht, wenn nicht rechtzeitig die Umkehr kommt. Der Grosskapitalismus hat einen faschistischen Zug. Das Buch von Klaus Schwab, welcher die Covit Krise für eine bessere Welt nach seiner Sichtweise nutzen möchte, erinnert mich schockierend daran, das aus seinen Ideen schnell ein neuer Faschismus erwachsen könnte.

  • am 4.06.2021 um 09:13 Uhr
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    Die Logik eines atomaren Wettrüstens erschliesst sich keinem normal denkenden Menschen.
    Atomwaffen sind ein Herrschaftsinstrument gegen die eigene Bevölkerung und sie sind zutiefst menschenverachtend und auch undemokratisch.
    Der gesamten Menschheit seit Jahrzehnten mit totaler Vernichtung zu drohen – ohne primär immer den ehrlichen Dialog zu suchen – ist einfach nur Wahnsinn. Aber dieser Wahnsinn ist Programm.

    Nur ein globales Verbot kann diesen Irrsinn beenden.

    Es ist Irrsinn, dass durch die Billionen-Aufrüstung Unsummen von Geld und damit Macht an die verantwortlichen Macht-Eliten transferiert wird und um dies zu einem konstanten Prozess zu machen, in allen Leidmedien konstant Feindbilder konstruiert und befeuert werden.

    https://www.friedenskraft.ch/documents/grundlagenpapier.pdf
    https://friedenskraft.ch/home

  • am 4.06.2021 um 19:51 Uhr
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    Jan Birk protestierte gegen die irre «nukleare Teilhabe» Deutschlands. Im Ernstfall soll die Bundeswehr nämlich Atomwaffen abwerfen. ICAN, die Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, informierte auch, dass 2019 Finanzinstitute Deutschlands, ein Land mit 84,3 Millionen Einwohnern 2019 auch 11,759 Milliarden US-Dollar in die Atomwaffenindustrie platzierte. – Normale Investitionen wie andere? – Die Schweizerische Nationalbank hat vom Januar 2017 bis Januar 2019 1’314,2 Mio. US-Dollar in Firmen der Kernwaffenindustrie angelegt. Die Credit Suisse hat vom Januar 2017 bis Januar 2019 1’312,9 Mio. US-Dollar auch in solche Betriebe gesteckt. Die UBS investierte in der gleichen Periode sogar 6‘315 Mio. US-Dollar in Unternehmen, die an der Herstellung von nuklearen Sprengkörpern beteiligt sind. (Zahlen ICAN Friedensnobelpreisträger 2017) Die Schweiz hat 8,6 Millionen Einwohner. Pro Kopf der Bevölkerung investierte die Schweiz also 2019 1046 USD in Atomwaffenkonzerne und Deutschland 141 USD.
    ICAN schreibt: «Das Schweizer Banken Geld in die Weiterentwicklung von Massenvernichtungswaffen investieren, ist umso erstaunlicher als dies in der Schweiz verboten ist. Seit der Revision des Kriegsmaterialgesetzes (KMG) vom 1. Januar 2013 gibt es ein gesetzliches Finanzierungsverbot von verbotenen Waffen. Darunter fallen auch die Atomwaffen. Siehe auch:
    http://ifor-mir.ch/ist-frieden-machbar-heute-milliarden-fuer-militaer-und-ruestung-und-millionen-menschen-hungern/

  • am 7.06.2021 um 16:44 Uhr
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    @ Heinrich Frei: Zum Stichwort «in der Schweiz verboten»: In Wikipedia findet sich:
    «Die Schweiz hatte (…) dem Atomwaffenverbotsvertrag zugestimmt. Im Sommer 2018 entschied der Bundesrat, den Vertrag dennoch nicht zu unterschreiben. Als Hauptgrund wurden sicherheitspolitische Risiken genannt.»
    Es ist einfach, wilde Forderungen zu formulieren, einen Herrn Birk aufs Podest zu heben – und zuzulassen, dass unser Schweizer Bundesrat wie oben dargestellt vorgeht! Offenbar geistert noch immer die Idee in den Köpfen herum, die Schweiz müsse «erstschlagfähig» sein – wie mitten im Kalten Krieg. Anders lässt sich die Typenauswahl bei der anstehenden Militärflugzeugbeschaffung nicht verstehen. (Das sage ich als Physiker und Fliegerabwehroffizier im Rang eines Hauptmanns.)

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