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Lastwagen mit Hilfsgütern für Berg-Karabach: Weil Aserbeidschan die Grenze sperrt, bleiben sie stecken. © SRF

Armenien und Aserbaidschan einigen sich auf einen Frieden

Amalia van Gent /  Ein Abkommen zwischen Armenien und Aserbaidschan steht zur Unterzeichnung bereit – Versprechen auf Frieden oder nur Illusion?

Plötzlich schien der Frieden auch im krisengeschüttelten Südkaukasus in greifbare Nähe gerückt zu sein: Am 13. März verkündete das aserbaidschanische Aussenministerium, Armenien und Aserbaidschan hätten ihre Verhandlungen zu einem Friedensabkommen abgeschlossen. Der Vertragstext, der den hochtrabenden Titel «Abkommen über Frieden und zwischenstaatliche Beziehungen zwischen Aserbaidschan und Armenien» trägt, sei zur Unterzeichnung bereit.

Freilich habe Armenien vor der Unterzeichnung zwei Vorbedingungen Aserbaidschans zu erfüllen – namentlich die armenische Verfassung zu ändern und der formellen Auflösung der Minsker Gruppe der OSZE zuzustimmen, fügte der aserbaidschanische Aussenminister Jeyhum Bayramow in einem Ton hinzu, wie ihn nur Siegermächte im Kriegsfall an den Tag legen können.

Frieden in greifbarer Nähe?

Kurz darauf teilte das Aussenministerium in der armenischen Hauptstadt Jerewan mit, dass Armenien Aserbaidschans Vorbedingungen akzeptiert habe. Armenien wolle mit Aserbaidschan beraten, wo und wann das Abkommen unterzeichnet werden könne.

Die Akteure, die im Südkaukasus einflussreich sind oder sein wollen, reagierten auf die Verkündung mit Begeisterung: «Zeit für Frieden zwischen Armenien und Aserbaidschan», schrieb in einer Presseerklärung US-Aussenminister Marco Rubio. Er bezeichnete den Moment als «eine Gelegenheit für beide Länder, die Seite ihres jahrzehntealten Konflikts im Einklang mit Präsident Trumps Vision für eine friedlichere Welt umzuschlagen».

Von «einem notwendigen und wichtigen Schritt» zu einem dauerhaften Frieden in der Region des Südkaukasus sprach Teheran, während Moskau die Nachrichten wohlwollend kommentierte: Aserbaidschan und Armenien könnten «immer auf Russlands Unterstützung in jeglicher Form zählen, um ihre Ziele zu erreichen», hiess es aus dem Kreml. Georgien bezeichnete die Entwicklung in seiner Region als von «historischer Bedeutung».

Die EU meldete sich ebenso zu Wort: Die deutsche Noch-Aussenministerin Annalena Baerbock sah einen «dauerhaften Frieden jetzt in Reichweite», während der französische Präsident Emmanuel Macron in einem Beitrag auf X erklärte, dass es «nun keine Hindernisse mehr für die Unterzeichnung eines Friedensvertrags zwischen Armenien und Aserbaidschan gibt».

Ein Befreiungsakt für Armenien?

Stehen die Zeichen über dem Südkaukasus tatsächlich auf Frieden?

Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan jedenfalls erhofft sich vom Abkommen einen Befreiungsschlag für sein Land: Er will Frieden mit Aserbaidschan schliessen und die bilateralen Beziehungen zur Türkei normalisieren. Und er will einen Schlussstrich unter den 34-jährigen Konflikt um Berg-Karabach ziehen.

Im Streit um das mehrheitlich von Armeniern bewohnte Berg-Karabach hatten sich Armenien und Aserbaidschan 1991 in einen Krieg gestürzt, der in seiner hemmungslosen Gewalt in der ehemaligen Sowjetunion beispiellos war: Als 1994 ein brüchiger Waffenstillstand erreicht wurde, hatten mehr als 30’000 Menschen ihr Leben verloren. Zudem waren bis zu 1,2 Millionen Menschen aus ihrer angestammten Heimat in Aserbaidschan respektive Armenien vertrieben worden.

Berg-Karabach kam damals unter die Kontrolle Armeniens. Aserbaidschan, das Berg-Karabach nach wie vor als Teil seines Territoriums betrachtete, sperrte aus diesem Grund seine Grenzen zur Republik Armenien – und hat die Grenzen Armeniens bis heute nie anerkannt.

Die Türkei hatte zwar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Unabhängigkeit Armeniens anerkannt. Doch aus Solidarität zum «Bruderstaat Aserbaidschan» nahm Ankara nie diplomatische Beziehungen zu Jerewan auf. Wie Aserbaidschan riegelte die Türkei die türkisch-armenischen Grenzen seit 1993 hermetisch ab. Die jahrzehntelange völkerrechtswidrige Blockade Aserbaidschans und der Türkei zwang Armeniens Wirtschaft in die Knie.

Im Krieg von 2023 erlangte Aserbaidschan die Kontrolle über Berg-Karabach zurück. Die gesamte Bevölkerung – rund 120’000 Menschen – wurde in einem Akt ethnischer Säuberung vertrieben. Kann die neue Situation tatsächlich den Beginn einer neuen Ära im Südkaukasus markieren?

Öffnung der Grenze als Wendepunkt

Die armenische Regierung hat vergangene Woche Journalisten türkischer Medien nach Jerewan eingeladen. Die Öffnung des Grenzübergangs Margara-Alican wäre ein Wendepunkt und würde Frieden und Stabilität im Südkaukasus fördern, sagten hochrangige armenische Beamte. Die Öffnung dieses Grenzübergangs, welche die Einreise von Drittstaatsangehörigen über die gemeinsame Grenze ermöglichen würde, war in einem Abkommen zwischen der Türkei und Armenien von 2022 vorgesehen. Ankara hat dieses Abkommen jedoch nie umgesetzt.

Seit Anfang der 2020er Jahre hängt Nikol Paschinjan der Vision eines regionalen Projekts nach, das die Bewegungsfreiheit von Menschen und Waren zwischen Armenien, Aserbaidschan, Georgien und der Türkei sicherstellen soll. Das Projekt, das er «Kreuzungen des Friedens» nennt, umfasst die Einrichtung von Grenzübergängen zwischen diesen Ländern und die Instandsetzung bestehender Land- und Eisenbahnverbindungen, einschliesslich der Kars-Gyumri-Eisenbahn. Sollte dies umgesetzt werden, wäre Armenien zum ersten Mal nach 34 Jahren aus seiner geographischen Isolation befreit. Doch werden Aserbaidschan und die Türkei mitmachen?

Opposition geschlossen gegen das Abkommen

Die armenische Opposition ist geschlossen gegen das angekündigte Friedensabkommen: «Es ist kein Frieden, der durch Dialog und Versöhnung erreicht wurde, sondern ein Frieden, der durch Zwang, Ungleichgewicht und ein strategisches Vakuum erzwungen wurde», kommentiert Vartan Oskanian. Oskanian, Aussenminister des Landes zwischen 1998 und 2008, nannte das präsentierte Papier einen «Akt der Selbsterniedrigung».

Von einem «Zwangsfrieden» sprach auch der TV-Journalist Eric Hacopian und erinnerte seine Zuhörer in einem Interview mit dem oppositionellen TV-Sender Civilnet ans Ende der Weimarer Republik. Dass Armenien auf seine Klagen vor internationalen Gerichten wie dem Internationalen Gerichtshof verzichten müsse, sei «eine besonders bittere, eine toxische Pille». Dieser Verzicht bedeute nämlich nichts weniger als den Ablass für alle Kriegsverbrechen, die Aserbaidschan in Berg-Karabach begangen habe.

Kühlere Köpfe wie Tigran Grigoryan vom «Regionalen Zentrum für Demokratie und Sicherheit» halten eine baldige Unterzeichnung des Friedensabkommens für reine Illusion. Es würden Jahre vergehen, bis Aserbaidschans dringlichste Vorbedingung nach einer Änderung der armenischen Verfassung umgesetzt werden könnte, kommentierte er.

Demonstration vor der Schweizer Botschaft in Jerewan

Die Tatsache, dass die Öffentlichkeit Details des neuen Friedensvertrags mit Aserbaidschan nicht kennt, im bekannten Teil des Textes aber Berg-Karabach, der «Kernkonflikt» zwischen beiden Nachbarländern, nicht einmal erwähnt wird, hat die Menschen in Armenien verunsichert. Das Vertrauen in die Regierung schwindet.

Manche Armenier erwarten daher Hilfe von aussen. Bezeichnenderweise fanden sich am 13. März bei einer emotionalen Versammlung vor der Schweizer Botschaft in Jerewan zahlreiche Familien zusammen, die seit ihrer gewaltsamen Vertreibung im September 2023 in Armenien Zuflucht gefunden haben. Sie hielten Plakate mit Botschaften des Dankes an die Schweiz hoch, weil der Nationalrat sich in einer Motion für das Recht der Vertriebenen auf eine Rückkehr in ihre Heimat ausgesprochen hat.

«Die Menschen von Berg-Karabach suchen keinen Konflikt», sagte der amtierende Präsident der Nationalversammlung von Berg-Karabach, Gagik Baghunts. «Wir wollen nur die Möglichkeit, in unsere Heimat zurückzukehren, und zwar unter Bedingungen, die unsere Sicherheit gewährleisten, unsere Rechte schützen und unsere Würde bewahren.» Die Teilnehmer appellierten eindringlich an den Ständerat, die Motion ebenfalls zu unterstützen.

Die Motion schlägt die Einberufung einer internationalen Konferenz vor, um den Dialog zwischen Vertretern Aserbaidschans und Berg-Karabachs über die sichere Rückkehr der rund 120’000 Vertrieben zu erleichtern. Die entscheidende Abstimmung im Ständerat ist für den 18. März angesetzt.


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