Kommentar
Angriffskrieg: Warum schweigen Tagesschau von SRF und ZDF?*
Der Krieg in der Ukraine lässt alle täglich erfahren, welch menschliches und materielles Elend ein Krieg verursacht. Jeder Krieg. Umso sensibler sollten wir Journalistinnen und Journalisten gegenüber allen Kriegen geworden sein und die Öffentlichkeit bei neuen Konflikten ohne Zurückhaltung informieren, damit sie reagieren kann.
Den Lackmustest haben unsere Medien nicht bestanden. Am frühen Morgen des 18. April hat die Türkei einen Angriffskrieg gegen Gebiete im Irak losgetreten, welche von Kurden bewohnt sind. Es überrascht nicht gross, dass die meisten privaten TV-Sender und grossen Print-Zeitungen bisher nicht darüber informierten. Denn der türkische Angriff ist schlecht dazu geeignet, Einschaltquoten und Leserzahlen zu erhöhen.
Erstaunlicher ist schon, dass auch die öffentlich-rechtlichen TV-Sender SRF und ZDF in ihren Tagesschau-Hauptausgaben bisher kein Wort über den erneuten Angriffskrieg der Türkei verloren. Bei ihnen sollte die Relevanz von Ereignissen im Vordergrund stehen.
Es ist nicht der erste völkerrechtswidrige Angriff der Türkei gegen die Nachbarländer Irak und Syrien, bei denen auch viele Zivilisten getötet, verletzt und vertrieben wurden. An der langen Grenze mit Syrien machte die Türkei sogar einen Anspruch auf eine Sicherheitszone geltend, besetzte weite syrische Landstriche militärisch, vertrieb die dort lebenden Kurden und annektierte das syrische Grenzgebiet, indem eine türkische Verwaltung eingerichtet wurde.
Die westliche «Wertegemeinschaft» kritisiert den türkischen Angriff auf den Norden Iraks nicht einmal. Schon gar nicht ist die Rede von selbst minimalen Sanktionen gegen die Erdogan-Clique.
Entsprechend zurückhaltend informieren die wenigen Medien, welche den neuen Militärschlag des Nato-Landes Türkei wenigstens kurz meldeten:
Das ZDF brachte am Montag im «ZDF express» und ZDF-online eine Kurzmeldung unter dem Titel «Neue Offensive» gegen die türkische Arbeiterpartei. Das Wort «Offensive» ist wie «offensiv» ein meist positiv konnotierter Begriff.
Die ARD meldete den türkischen Angriffskrieg in einer 15-Sekunden-Meldungonline, die Türkei habe «eine neue Offensive» gestartet.*
Die Schweizerische Depeschenagentur SDA verbreitete eine kurze Meldung unter dem Titel «Neuer Militäreinsatz» gegen die PKK im Nordirak. Das Wort «Militäreinsatz» ist schon nahe am russischen Wording «Sonder-Militäroperation» für den Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Das Online-Portal Watson übernahm den Begrff «Militäreinsatz». Zentralplus verwendete den Begriff «Offensive».
Ich meine: Völkerrechswidrige Angriffskriege sollten die Medien als solche benennen, von wem auch immer sie angezettelt werden.
Ist das von den Medien zu viel verlangt?
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➜ Lesen Sie den aktuellen Bericht dazu von Amalia van Gent:
Türkische Grossoffensive: Beklemmendes Schweigen des Westens
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Ursprünglich hiess es hier fälschlicherweise, die ARD habe nur online über den Krieg der Türkei gegen den Nordirak berichtet.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Die Frage an die anderen Medien, die sogar im Titel gestellt wird, finde ich wichtig und berechtigt.
Aber ich verstehe nicht, warum sie nicht den genannten Unternehmen gestellt und deren Antwort hier aufgeführt wird.
Danke, Herr Gasche, Sie haben völlig Recht. Aber überrascht es?
Ergänzend möchte ich allerdings erwähnen, dass die «junge Welt» am Osterwochenende in einem Online-Leitartikel (https://www.jungewelt.de/artikel/424766.kurdischer-freiheitskampf-nato-armee-greift-an.html?sstr=pkk) über diese mutmaßlich völkerrechtswidrige Großoffensive der Türkischen NATO-Armee (und auch über die auf irakischer Seite ebenfalls bereitstehenden, bisher offenbar noch nicht in diese Angriffe involvierten, auch von Deutschland bewaffneten und ausgebildeten Peschmerga-Einheiten) berichtet hatte – außerdem über eine Intensivierung der türkischen Angriffe in den Syrischen Autonomiegebieten über Ostern, wo auch christlich-assyrische Dörfer beschossen worden sind.
Ein autozentriertes westliches Weltbild, Tunnelblick, Scheinheiligkeit, Ohnmacht und Angst lassen uns Ereignisse mit verschiedenen Ellen messen und die Wertefrage zu Worthülsen verkommen. Wir bemerken nicht einmal, dass unsere Demokratien ausgehöhlt werden. Unsere Medien lassen uns dabei im Stich. Es geht m Blindflug und ohne Instrumente in die Zukunft.
Danke für den Artikel. Ja, es scheint von den MSM zu viel verlangt nach Relevanz zu berichten. Es wird nicht mehr informiert sondern Politik gemacht. Infosperber ist zum Glück eine Ausnahme. Danke
Daumen hoch
« …vertrieb die dort lebenden Kurden und annektierte das syrische Grenzgebiet» nennt sich ethnische Säuberung durch den befreundeten NATO-Staat Türkei und die USA «annektierte» die syrischen Ölquellen.
Wir sollten auch amerikanische Produkte wie Frackinggas, Weizen, Soja und Erdgas aus türkischen Pipelines boykottieren.
Vorsicht mit solchen Forderungen!
Wo sollen dann der Weizen und das Soja und das Gas noch herkommen?
Wenn eine «Export-Weltmacht» wie Deutschland Energie und Rohstoffe nur noch aus friedlichen Ländern und «lupenreinen Demokratien», fair und ökologisch und nachhaltig gefördert, beziehen könnte, wäre es bei der derzeitigen Art des Wirtschaftens schnell vorbei mit der Weltmachtstellung – was natürlich notwendige und betrübliche Rückschlüsse zulässt auf die Basis dieser Macht
… und auf Gründe für die verbreitete Inkonsequenz und Doppelzüngigkeit.
Ausbeutung in der einen oder anderen Form scheint eine nicht unbedeutende Grundlage unseres «Erfolgs» zu sein.
@Langhammer
…. war ironisch gemeint
@ Peter Herzog: ja von mir doch auch … oder eher schon sarkastisch – aber nicht gegen Sie gerichtet, sondern dieses lebensfeindliche, unaufrichtige System betreffend, in das sich auch Deutschland schön «integriert»
Diese Frage beantworte ich mit einem klaren NEIN: das ist nicht zu viel verlangt. Grad der Angriff von der Türkei auf die kurdische Bevölkerung Iraks sollte im grösseren Zusammenhang analysiert und ebenso scharf verurteilt werden wie derjenige der Russen auf die Ukraine. Ich bin entsetzt.
Sie haben völlig Recht, es grenzt an der Schande!
Giovanni Coda
Das sind halt die sog. «Qualitätsmedien», für die die Steuerzahler Subventionen und Zwangsabgaben (d.h. indirekte Steuergelder) zahlen müssen!
S. No-Billag Abstimmung und Referendum zum Presseförderungsgesetz.
Staatliche Gelder und Subventionen bedeuten entgegen den Vorbringen in den Abstimmungskämpfen noch lange keine Qualität.
Sehr treffend und mehr als notwendig!
…weil Zensur nicht nur in Russland stattfindet…