Wozu noch eine gedruckte Zeitung?
Gestern Abend um 22.07 Uhr Schweizer Zeit trat Donald Trump vor die Zuschauer. Um 22.28 Uhr präsentierte er die Liste mit den Zöllen, welche die USA erheben wollen. Auf Importe aus der Schweiz werden es 31 Prozent sein. Und was bringen die Schweizer Zeitungen darüber?
Einige Zeitungen wie die «Neue Zürcher Zeitung», der «Blick», die «Aargauer Zeitung», das «St. Galler Tagblatt» oder die «Luzerner Zeitung» berichten in ihren Ausgaben von heute ausführlich darüber – bereits auf der Titelseite. Auch kleinere Zeitungen wie der «Rheintaler», die «Thurgauer Zeitung», die «Zuger Zeitung», die «Schaffhauser Nachrichten» oder die «Liberté» informieren ihre Leser.
Bei anderen Zeitungen sieht es schlecht aus. Infosperber berichtete schon im September darüber, dass der Tamedia-Verlag gerade daran sei, die gedruckte Zeitung zu beerdigen. Denn die Tamedia-Zeitungen teilten damals mit, dass sie fortan keine Eishockey-Matchberichte mehr abdrucken würden. Kurz darauf begannen die Tamedia-Zeitungen auch den Skisport und den Fussball zu vernachlässigen. Alles halb so schlimm – könnte man sagen. Es ist ja nur der Sport.
Aber so ist es längst nicht mehr, wie die gestrige Rede von Trump zeigt. Im «Tages-Anzeiger»? Kein Wort darüber. In der «Basler Zeitung»? Auch nicht. Im «Bund» und in der «Berner Zeitung»? Nichts. Auch in den Zeitungen aus dem Somedia-Verlag, welche die Südostschweiz abdecken, steht nichts über Trumps Rede und die Zollsätze.
Und dies, obwohl Trumps Rede angekündigt war und sich vielleicht mit ein bisschen Planung durchaus noch ein Artikel in der Zeitung hätte unterbringen lassen. Aber Tamedia und Somedia schaufeln den gedruckten Zeitungen das Grab, indem sie ihre Abonnenten geradezu auf die Online-Portale drängen.
Infosperber wollte von Tamedia und Somedia wissen, warum sie in ihren gedruckten Zeitungen heute nicht über Trumps Rede berichten. Der Somedia-Verlag antwortete, der Schwerpunkt der Berichterstattung liege auf den Kantonen Graubünden, Glarus und St. Gallen. Für die Seiten «Inland/Ausland» existiere nur eine kleine Redaktion. Und: «Die gedruckte Ausgabe ist längst nicht mehr das aktuelle Medium. Jeder halbwegs Interessierte weiss seit gestern Abend aus Radio, TV und dem Netz, dass Trump die Zölle tatsächlich verabschiedet hat.»
Der Tamedia-Verlag seinerseits rühmt sich seiner Online-Leistungen: «Die Titel von Tamedia haben die US-Zollpolitik seit der Ankündigung am gestrigen Abend engmaschig auf den digitalen Kanälen begleitet.» In der gedruckten Zeitung liege der «Fokus auf Einordnung und Hintergrund».

Und worüber berichten denn die Zeitungen, die ihren Lesern die Rede von Trump vorenthalten, auf ihren Titelseiten? Die Basler Zeitung macht Wirbel, weil «der neue ‹Globus› die Martinskirche» verdecken wird. Der «Bund» fragt, «wie sexueller Konsens geht». Die «Südostschweiz» kündigt einen Podcast im Hinblick auf das Eidgenössische Schwingfest in fünf Monaten an. Und der «Tages-Anzeiger» präsentiert uns einen Knüller über «Infantile Amnesie» unter dem Titel: «Kleinkinder können sich noch an nichts erinnern.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Wunderbar, lieber Herr Diener, dass Sie sich in Ihrem Onlinemedium mit so viel Leidenschaft um Printlesende kümmern. Bleiben Sie bitte am Ball!
Sie werden in der «Südostschweiz» auf der Frontseite übrigens so gut wie nie einen überregionalen Aufmacher finden (weil wir eine Regionalzeitung sind). Wäre das nicht auch mal ein Thema für Sie?
P.S.: Bei der «Südostschweiz» gibt es keine reinen Zeitungs-Abos. Jeder Abonnent hat auch Zugang zum E-Paper und zur (stets aktuellen) Webseite.
Ich fragte längst die Somedia, ob sie ganzjährig Sommerloch habe. Ich empfinde die Berichterstattung teils altersmässig unter Schülerzeitung. Und öfters ganz viele Bildli (die wohl den Platz füllen der leeren Sprechblasen). Mir persönlich sagen gute alte Bilderbücher aber mehr.
Südostschweiz berichtete am 1. April (GR und GL) etwa Dutzende Fake-Artikel (welch Vergeudung journalistischer Investigativressourcen in unserer behandlungsbedürftigen Welt).
Und heute so weltbewegende Artikel wie:
«Die Verfolgungsjagd des Bahnwagens beginnt
Ein 20-Tonnen-RhB-Bahnwagen wird heute um 13 Uhr durch Ilanz transportiert – mitten durchs Stadtzentrum. Ein spektakuläres Manöver, das du nicht verpassen solltest. Wir sind vor Ort – sei live dabei!»
Sogar ein Quiz spendiert dazu die Zeitung:
Wisst ihr wie viele Pneus so ein Schwertransporter hat?
Zehn?
Zwölf?
Acht?
Kinderkram? Mich hätte das nicht mal als Kind interessiert.
Dafür lohnen die Zeitungs-Abo-Gebühren (oder Kauf am Kiosk) doch allemal, oder?
Lieber Herr Reuss, in diesem Beitrag geht es um die Zeitung, nicht um die Nachrichten-Webseite suedostschweiz.ch. Der von Ihnen kritisierte Liveticker zur Überführung eines RhB-Bahnwagens stand online (und war dort gestern meistgelesen), in die Zeitung Südostschweiz fand er keinen Eingang. Dies nur zur Richtigstellung. Und Sie, Herr Reuss, können das natürlich nicht wissen, weil Sie kein Zeitungsabonnent sind. Gleiches gilt übrigens auch für die von Ihnen kritisierten Aprilscherze.
Ja, Herr Kropp, das genau ist unser Ansatz: Hintergrund-Informationen und Einordnungen statt nicht mehr aktuelle Nachrichten.
Ich war etliche Jahre Abonnent auch der Bündner (Papier-) Zeitung, «um die es in diesem Beitrag geht» bzw. darum, was diese potenziell falsch machen. Warum kündigte ich, und warum nicht auch die Online-Version? Weil ich sonst «mundtot» gemacht wäre wählte ich die billigste Abo-Variante.
Zumindest einen Aprilsch(m)erz hat die Graubünden-Papierausgabe 2025 (Titelseite Aufmacher zuoberst plus die gesamte Seite 3) breitgetreten. Ihre Glarus-Ausgabe wohl dito.
Über die «Hintergrund-Informationen und Einordnungen» der Südostschweiz könnte ich ein augenöffnendes Liedlein singen.
Tagesanzeiger Isabel Strassheim 24.07.2020, 19:26: Trump hilft Lonza bei der Produktion für Covid-Impfstoff»
Klare Aussage im Artikel: ««Die gedruckte Ausgabe ist längst nicht mehr das aktuelle Medium. Jeder halbwegs Interessierte weiss seit gestern Abend aus Radio, TV und dem Netz, dass Trump die Zölle tatsächlich verabschiedet hat».» Könnte wohl heissen, die Print-Medien-Bosse könnten erkannt haben: Zeitungen haben nur eine Zukunft mit ausführlichen Hintergrund-Informationen. Zum Beispiel: Warum Donald Trump die Schweizer Wirtschaft dazu verdonnert hohe Zölle zu zahlen, und ob das es einen Zusammenhang mit seinem Lonza-Corona-Engagement gibt und er möglicherweise mit dem Ergebnis nicht zufrieden war und die Bosse es versäumt haben könnten den Präsidenten zu trösten. Und ob man ihm mit einem Schweizer Schoggi-Hase wieder Happy machen könnte. Die Print Medien müssen ausführlich informieren und was Möglichkeiten es gibt und nicht oberflächlich.
Gunther Kropp, Basel
Infosperber titelt:
«Wozu noch eine gedruckte Zeitung?
Zuerst vernachlässigten sie den Sport, jetzt die Politik.»
Über allem stehen natürlich die Leser. Wenn diese vernachlässigt werden, ist die Frage tatsächlich: «Wozu noch eine gedruckte Zeitung?»
Infosperber hat meinen wichtigsten Kommentar – der genau von diesem Verhältnis zwischen Medium und Leser reportiert – veröffentlicht, anschliessend aber gelöscht.
Wer hat diese Löschung verlangt und wer hat sie vollzogen? Hinweis: Bitte kommen Sie nicht wieder mit dem Universal-Gummiparagraf-Totschlagargument «gehört nicht zum Thema». Denn 1.) geht es darin um die Zielgruppe, den Protagonisten, den Leser; 2.) Könnte man «passt nicht dazu» so ziemlich über alles behaupten; und 3.) ist die Meinungsfreiheit zu essentiell, als dass man den Blickwinkel verengend zwingt (mutmasslich auch Scheuklappen genannt).
Herr Reuss, Sie verwechseln manchmal Meinungsfreiheit mit Diffamierungsfreiheit. Auch gegenüber Andersdenkenden gilt in der öffentlichen Auseinandersetzung, anständig zu sein und sie nicht unnötig herabzusetzen. Nur Politikerinnen und Politiker geniessen in ihrem Amt eine bestimmte Immunität – aber nicht die Medien.
Das Gesetz erlaubt es auch nicht, unnötig Herabsetzendes gegenüber Personen, Unternehmen oder Institutionen mit dem Verwenden fremder Zitate zu verbreiten. Falls Sie den Unterschied zwischen Meinungsfreiheit und Diffamierungsfreiheit nicht richtig finden, müssen Sie sich an die Gesetzgeber wenden und nicht an die Medien.
Eine weitere Korrespondenz über diese Rechtslage können wir hier nicht führen.