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Das US-Medienunternehmen streicht mindestens 115 Stellen: Gebäude der Los Angeles Times. © cc-by-nc Kevin Pedronan

«Wir müssen den Journalismus ohne Milliardäre retten»

Rodney Benson und Victor Pickard /  Bezahlschranken funktionieren nur für die grössten Medien – und verwehren vielen den Zugang zu wichtigen Informationen.

psi. Dies ist ein Gastbeitrag. Rodney Benson ist Professor für Medien, Kultur und Kommunikation an der New York University. Victor Pickard ist Professor für Medienpolitik und Politische Ökonomie an der University of Pennsylvania. Der Artikel erschien zuerst bei The Conversation. Infosperber übernimmt ihn im Rahmen der Creative-Commons-Lizenz. Er wurde auch mit Hilfe von DeepL übersetzt.

Für den Journalismus in den Vereinigten Staaten begann das Jahr 2024 brutal. Am aufsehenerregendsten ist: Die Los Angeles Times entliess vor kurzem mehr als 20 Prozent ihrer Redaktionsmitglieder.

Obwohl sich die Probleme schon lange anbahnten, waren die Entlassungen besonders entmutigend. Viele Angestellte und LeserInnen hatten gehofft, dass der milliardenschwere Eigentümer der Times, Patrick Soon-Shiong, in guten wie in schlechten Zeiten den Kurs beibehalten würde. Kurz: dass er ein Verwalter sein würde, der weniger daran interessiert ist, Gewinne zu erzielen, als vielmehr dafür zu sorgen, dass das traditionsreiche Blatt der Öffentlichkeit dienen kann.

Der LA Times zufolge erklärte Soon-Shiong, dass die Kürzungen notwendig seien, weil die Zeitung «nicht länger 30 bis 40 Millionen Dollar pro Jahr verlieren könne».

Wie ein X-Benutzer anmerkte, könnte Soon-Shiong jahrzehntelang 40 Millionen US-Dollar an jährlichen Verlusten verkraften und trotzdem Milliardär bleiben. Das Gleiche könnte man von einem anderen milliardenschweren Eigentümer sagen. Jeff Bezos von der Washington Post strich 2023 Hunderte von Arbeitsplätzen, nachdem er über einen langen Zeitraum hinweg kontinuierlich Investitionen getätigt hatte.

Natürlich ist es hilfreich, wenn der Eigentümer über tiefe Taschen verfügt und sich mit einem ausgeglichenen Ergebnis oder bescheidenen Gewinnen begnügt. Denn das ist weit entfernt von der Brandrodung und Gewinnabschöpfung der beiden grössten Zeitungseigentümer in den USA: dem Hedgefonds Alden Global Capital und dem börsennotierten Gannett.

Doch wie wir schon früher argumentiert haben, ist das Vertrauen auf das Wohlwollen von Milliardären keine tragfähige langfristige Lösung für die Krise des Journalismus. Was wir das «Oligarchie-Medienmodell» nennen, birgt nämlich oft deutliche Gefahren für die Demokratie.

Systematisches Marktversagen

Das jüngste Gemetzel ist Teil einer längeren Geschichte: Laufende Untersuchungen über sogenannte «Nachrichtenwüsten» zeigen, dass die USA seit 2005 fast ein Drittel ihrer Zeitungen und fast zwei Drittel ihrer Zeitungsjournalisten verloren haben.

Es ist klar geworden, dass dieser Abschwung nicht vorübergehend ist. Vielmehr handelt es sich um ein systemisches Marktversagen, bei dem es keine Anzeichen für eine Umkehr gibt.

Während die Printwerbung weiter zurückgeht, hat die Dominanz von Meta und Google über die digitale Werbung die Zeitungsverlage einer wichtigen Online-Einnahmequelle beraubt. Das auf Werbung basierende Geschäftsmodell für Nachrichten ist zusammengebrochen und wird, sofern es überhaupt jemals existiert hat, den für die Demokratie erforderlichen öffentlich-rechtlichen Journalismus nicht mehr angemessen unterstützen.

Was ist mit digitalen Abonnements als Einnahmequelle?

Jahrelang wurden Bezahlschranken als Alternative zur Werbung angepriesen. Einige Nachrichtenorganisationen haben zwar in letzter Zeit keine Abonnements mehr verlangt oder ein gestaffeltes Preissystem eingeführt, aber wie hat sich dieser Ansatz insgesamt bewährt?

Nun, es war ein fantastischer finanzieller Erfolg für die New York Times und eigentlich für fast niemanden sonst – während Millionen von Bürgern der Zugang zu wichtigen Nachrichten verwehrt wurde.

Das Modell der Bezahlschranke hat sich auch für das Wall Street Journal mit seiner sicheren Zielgruppe von Wirtschaftsfachleuten bewährt, obwohl sich das Management gezwungen sah, am 1. Februar 2024 tiefe Einschnitte in seinem Büro in Washington, D.C., vorzunehmen. Und bei der Washington Post reichten selbst 2,5 Millionen digitale Abonnements nicht aus, um die Gewinnzone zu erreichen.

Fairerweise muss man sagen, dass diejenigen Milliardäre, denen der Boston Globe und die Minneapolis Star Tribune gehören, auf fruchtbaren Boden gesät haben; die Zeitungen scheinen bescheidene Gewinne zu machen, und es gibt keine Nachrichten über drohende Entlassungen.

Aber sie sind Ausnahmen; letztlich können Milliardärseigentümer diese unwirtliche Marktdynamik nicht ändern. Und da sie ihr Geld in anderen Branchen verdient haben, schaffen die Eigentümer oft Interessenkonflikte, welche die Journalisten ihrer Zeitungen stets mit Vorsicht geniessen müssen.

Mögliche Wege

Während sich die Marktdynamik für Nachrichtenmedien immer weiter verschlechtert, ist das Bedürfnis der Bürger nach einem qualitativ hochwertigen und zugänglichen öffentlich-rechtlichen Journalismus grösser denn je.

Wenn der Qualitätsjournalismus verschwindet, verschärft dies eine Reihe von Problemen – von zunehmender Korruption über abnehmendes bürgerliches Engagement bis hin zu grösserer Polarisierung – welche die Vitalität der US-Demokratie bedrohen.

Deshalb glauben wir, dass es dringend notwendig ist, die Zahl der Medien zu erhöhen, die in der Lage sind, sich unabhängig gegen destruktive Marktkräfte zu wehren.

Milliardäre, die bereit sind, ihren Medienbesitz freizugeben, könnten dazu beitragen, diesen Prozess zu erleichtern. Einige von ihnen haben dies bereits getan.

Im Jahr 2016 übertrug der Milliardär Gerry Lenfest sein alleiniges Eigentum am Philadelphia Inquirer zusammen mit einer 20-Millionen-Dollar-Stiftung an ein nach ihm benanntes gemeinnütziges Institut, dessen Statuten verhindern, dass Profitinteressen Vorrang vor seiner zivilgesellschaftlichen Mission haben. Das gemeinnützige Eigentumsmodell hat es dem Inquirer ermöglicht, in einer Zeit in Nachrichten zu investieren, in der viele andere bis auf die Knochen gekürzt haben.

Im Jahr 2019 hat der wohlhabende Geschäftsmann Paul Huntsman seine Anteile an der Salt Lake Tribune an eine gemeinnützige Organisation abgetreten, um die Steuerlast zu senken und die Zeitung für philanthropische Spenden zu öffnen. Anfang Februar kündigte er seinen endgültigen Rücktritt an, nachdem er weiterhin Vorsitzender des Verwaltungsrats gewesen war.

Und im September 2023 bestätigten die milliardenschweren Anteilseigner der französischen Zeitung Le Monde unter der Leitung des Tech-Unternehmers Xavier Niel offiziell den Plan, ihr Kapital in einen Stiftungsfonds zu überführen, der effektiv von Journalisten und anderen Angestellten der Le-Monde-Gruppe kontrolliert wird.

In einem kleineren und weitaus prekäreren Rahmen haben US-Journalisten in den letzten zehn Jahren landesweit Hunderte von kleinen, gemeinnützigen Organisationen gegründet, um die wichtige Berichterstattung über öffentliche Angelegenheiten zu gewährleisten. Die meisten von ihnen haben jedoch grosse Mühe, genügend Einnahmen zu erzielen, um sich selbst und einigen wenigen Reportern ein existenzsicherndes Gehalt zu zahlen.

Spenden können immer noch wichtig sein

Der entscheidende nächste Schritt besteht darin, dafür zu sorgen, dass diese zivilgesellschaftlichen, auftragsorientierten Eigentumsformen über die notwendigen Mittel verfügen, um zu überleben und zu gedeihen.

Ein Teil dieses Ansatzes kann die philanthropische Finanzierung sein.

In einem Bericht von 2023 Media Impact Funders wird darauf hingewiesen, dass sich Stiftungsförderer früher in erster Linie darauf konzentrierten, eine Brücke zu einem schwer fassbaren neuen Geschäftsmodell zu schlagen. Die Überlegung war, dass sie Startkapital bereitstellen könnten, bis der Betrieb läuft, und dann ihre Investitionen anderweitig einsetzen.

Da das immense Ausmass des Marktversagens nun aber deutlich geworden ist, fordern die Journalisten zunehmend eine langfristige, nachhaltige Unterstützung. Eine vielversprechende Entwicklung ist, dass die Initiative Press Forward vor kurzem 500 Millionen Dollar über einen Zeitraum von fünf Jahren für den Lokaljournalismus zugesagt hat. Und zwar sowohl für gewinnorientierte als auch für gemeinnützige und öffentliche Redaktionen.

Auch karitative Spenden können den Zugang zu Nachrichten erleichtern. Wenn Spender die Rechnungen bezahlen – wie es beim britischen The Guardian der Fall ist –, werden Paywalls, die Inhalte auf Abonnenten beschränken, die unverhältnismässig wohlhabend und weiss sind, möglicherweise überflüssig.

Die Grenzen des Privatkapitals

Dennoch bleibt die philanthropische Unterstützung für den Journalismus weit hinter dem zurück, was benötigt wird.

Die Gesamteinnahmen der US-Zeitungen sind von einem historischen Höchststand von 49,4 Milliarden Dollar im Jahr 2005 auf 9,8 Milliarden Dollar im Jahr 2022 gesunken.

Die Philanthropie könnte dazu beitragen, einen Teil dieses Defizits auszugleichen, aber selbst mit dem jüngsten Anstieg der Spenden bei weitem nicht alles. Unserer Ansicht nach sollte sie das auch nicht. Zu oft sind Spenden mit Bedingungen und potenziellen Interessenkonflikten verbunden.

Dieselbe Umfrage von Media Impact Funders aus dem Jahr 2023 ergab, dass 57 Prozent der US-Stiftungen, die Nachrichtenorganisationen finanzieren, Zuschüsse für die Berichterstattung über Themen gewährten, zu denen sie eine politische Haltung einnehmen.

Letztlich kann sich die Philanthropie dem oligarchischen Einfluss nicht völlig entziehen.

Öffentliche Töpfe für Lokaljournalismus

Ein starkes, zugängliches Mediensystem, das dem öffentlichen Interesse dient, erfordert letztlich erhebliche öffentliche Mittel.

Zusammen mit Bibliotheken, Schulen und Forschungsuniversitäten ist der Journalismus ein wesentlicher Bestandteil der kritischen Informationsinfrastruktur einer Demokratie. In den Demokratien West- und Nordeuropas werden Steuern oder spezielle Gebühren nicht nur für das traditionelle Fernsehen und den Rundfunk, sondern auch für Zeitungen und digitale Medien erhoben. Und sie stellen sicher, dass zwischen der Regierung und den Nachrichtenagenturen stets eine distanzierte Beziehung besteht, damit ihre journalistische Unabhängigkeit gewährleistet ist. Erwähnenswert ist, dass in den USA die Investitionen in die öffentlichen Medien einen geringeren Prozentsatz des BIP ausmachen als in praktisch allen anderen grossen Demokratien der Welt.

Experimente auf bundesstaatlicher Ebene in New Jersey, Washington, D.C., Kalifornien und Wisconsin zeigen, dass die öffentliche Finanzierung von Zeitungen und reinen Online-Medien auch in den USA funktionieren kann.

Es ist an der Zeit, diese Projekte drastisch auszuweiten, von Millionen auf Milliarden von Dollar, sei es durch «Mediengutscheine», die es den Wählern ermöglichen, Mittel zuzuweisen, oder durch andere ehrgeizige Vorschläge zur Schaffung Zehntausender neuer Arbeitsplätze im Journalismus im ganzen Land.

Ist es das wert?

Wir sind der Ansicht, dass eine Krise, die die amerikanische Demokratie bedroht, nicht weniger als eine mutige und umfassende zivilgesellschaftliche Antwort erfordert.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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