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Die Zeitungsverleger erheben Anspruch auf die fetten Einnahmen der US-Technokonzerne. © Clker-Free-Vector-Images

Wenn Verleger wie die Jusos denken

Rainer Stadler /  Noch vor der Volksabstimmung über das Mediengesetz läuft bereits eine weitere Hilfsaktion an. Ein fragwürdiges Projekt.

Jungsozialisten sind im bürgerlichen Lager nicht beliebt, da sie gerne Reichtum umverteilen wollen. Doch nun liebäugeln die Verleger, gewiss keine Juso-Anhänger, mit ähnlichen Ideen. Im Visier haben sie die grossen US-Technokonzerne. Diese Neureichen sollen die Kassen der vom Strukturwandel durchgeschüttelten Zeitungen wieder füllen.

Das ist eine etwas polemische Kurzfassung eines medienpolitischen Anliegens, das bisher fast nur unter Spezialisten diskutiert wurde. Auf der politischen Agenda steht es zwar schon seit mehr als einem Jahrzehnt. Doch der Themenkomplex ist reichlich abstrakt und darum wenig geeignet für die grossen Arenen. Dank beharrlichem Lobbying der Zeitungsverlage ist das Projekt nun aber so weit vorangetrieben worden, dass es kaum noch scheitern kann. Die Rede ist vom sogenannten Leistungsschutzrecht, einem Teilbereich des Urheberrechts.

Die Schweiz als Trittbrettfahrerin

Dieser Tage hat der Bundesrat ein entsprechendes Dokument publiziert. Er vertritt die Meinung, dass die Informationsvermittler in dieser Sache Unterstützung verdienen. Die Landesregierung bewegt sich hier im Windschatten der Europäischen Union, die vor zwei Jahren mit einer Richtlinie bereits Pflöcke eingeschlagen hat. Die EU-Mitgliedstaaten sind nun daran, die Vorgaben in nationales Recht umzusetzen; die Schweiz macht mit als Trittbrettfahrerin.

Die Verwertungsgesellschaften, die im Namen von Urhebern bzw. Medienhäusern Geld eintreiben, sind ihrerseits in den Startlöchern und haben schon konkrete Vorstellungen davon, wie viel digitale Plattformen – insbesondere Google und Facebook – den Presseverlagen zahlen sollen. Corint Media, die 200 Medien vertritt, fordert von Google allein für den deutschen Markt eine Lizenzgebühr von 420 Millionen Euro fürs Jahr 2022 – das sind etwa fünf Prozent des Umsatzes (9 Milliarden Euro), welchen die Google-Suchmaschine in Deutschland laut Schätzungen von Corint erwirtschaftet.

Wer profitiert von Google News?

Genau um diese Suchmaschine dreht sich im Wesentlichen die derzeitige Diskussion. Google verlinkt über seine Suchmaske auch Online-Artikel der Informationsvermittler. Zudem betreibt der US-Konzern mit «Google News» ein Spezialangebot für Personen, die an Aktualitäten interessiert sind. Da Google durch Werbeeinnahmen im Umfeld der Suchfunktionen reichlich Geld verdient, wollen die Verleger daran teilhaben. Dies mit dem Argument, dass Google nur darum gut wirtschaften kann, weil die Medienhäuser attraktive Informationsangebote zur Verfügung stellten.

Schwer verständlich: Für solche Schlagzeilen wollen die Verleger Geld von Google (Screenshot)

Diese Sichtweise leuchtet auf den ersten Blick ein. Indessen geht es hier gar nicht um das Kernthema des Urheberrechts, gemäss dem ein kommerzieller Akteur Geld bezahlen muss, wenn er vollständige Texte von Zeitungsredaktionen verwendet. Die Legitimität dieser rechtlichen Verpflichtung ist unbestritten. Google verbreitet jedoch nur kurze Textausschnitte, die per Link zur Website des jeweiligen Medienanbieters führen.

Ein Tauschgeschäft

Im Kern handelt es sich um ein für Online-Märkte typisches Tauschgeschäft: Für Google sind Verweise auf aktuelle Informationen ein attraktiver Teil des Suchdienstes; insofern profitiert der Konzern von den Leistungen der Medienhäuser. Google wiederum verschafft den Medienanbietern zusätzliche Reichweite; die Verlage können damit ihre Werbeplätze besser vermarkten und mehr potenzielle Abonnenten erreichen. Die Redaktionen bereiten darum ihre Artikel so auf, dass deren Chancen steigen, möglichst weit oben auf der Google-Trefferliste zu erscheinen – was dokumentiert, wie hilfreich die Medienhäuser diese Funktion einschätzen.

Darum scheint es schwer verständlich, warum Google für das Aggregieren von Schlagzeilen zahlen soll. Zumal die Verlage die Links und Textausschnitte freiwillig der Suchmaschine zur Verfügung stellen. Überdies schaltet Google – sicher auch angesichts dieses medienpolitischen Konflikts – im Umfeld der News-Suchmaske keine Werbung. Direkte Einnahmen aus der Weiterverbreitung von Online-Textanrissen, die für die Verlage eine Werbefunktion erfüllen, erzielt der Konzern also nicht.

Spitzfindige Verleger

Die Medienhäuser haben jedoch eine spitzfindige Argumentation entwickelt. Sie sagen, diverse Nutzer seien mit den Google-Übersichten über die jeweiligen News-Häppchen bereits zufrieden und würden gar keine Artikel mehr anklicken, weshalb ihnen potenzielle Einnahmen entgingen. Wenn Suchmaschinen-Nutzer mit der Kenntnisnahme von Artikelanrissen, die oft wenig aussagen und meist gleichlautend sind, zufrieden sind, muss man allerdings den Schluss ziehen, dass diese Konsumenten ein höchst oberflächliches Interesse an Aktualitäten haben oder dass die Medienangebote zu wenig verlockend sind. Anders gesagt: Der Marktwert der ausgestellten Ware ist tief und darum schlecht zu kommerzialisieren. Dieses Problem müssen die Anbieter lösen. Warum sie dafür via Leistungsschutzrecht entschädigt werden sollten, bleibt schwer zu rechtfertigen.

Unbestritten ist allerdings, dass die Internet-Konzerne die grossen Gewinner des Strukturwandels auf dem Kommunikationsmarkt sind. Mit ihren Dienstleistungen vermochten sie insbesondere einen happigen Anteil der Werbegelder auf sich umzulenken. Sie machen damit Umsätze und Gewinne in Milliardenhöhe, während die Informationsanbieter riesige Einnahmenverluste verzeichnen und seit der Jahrtausendwende zu harten Restrukturierungen gezwungen sind. Die Einbussen der Medienhäuser sind dramatisch. Eine relativ starke Position haben nur noch jene wenigen inne, denen es gelungen ist, die lukrativen Rubrikenmärkte (Stellen, Immobilien, Autos) zurückzuerobern. Beispielsweise die TX Group (Tamedia), Ringier und Axel Springer.

Umverteilung von den Gewinnern zu den Verlierern

In der politischen Diskussion hat sich darum die Überzeugung durchgesetzt, eine Umverteilung von den Gewinnern zu den Verlierern der digitalen Revolution sei notwendig. Dazu soll das Leistungsschutzrecht dienen – auch wenn ihm eine sachliche Logik fehlt. Auf der politischen Bühne scheint es so, als ob die Verleger ihres Naturrechts auf Werbeeinnahmen beraubt worden wären, was nun kompensiert werden müsse. Zweifellos können die schnell gewachsenen Internet-Konzerne dank ihrer technologischen Überlegenheit ihre Marktmacht ausspielen und den Wettbewerb beeinträchtigen. Dieser Aspekt verdient eine genaue Beobachtung, hat aber nichts mit dem Leistungsschutzrecht zu tun.

Doch unabhängig von der Sachfrage geniessen die Medienhäuser die Protektion der EU – und der politischen Elite. Deutschland hat schon vor Jahren versucht, ein Leistungsschutzrecht durchzusetzen, ist damit aber am Widerstand von Google gescheitert. Seither hat die Politik den Druck auf die US-Konzerne erhöht. Davon zeugt auch die erwähnte EU-Richtlinie vom April 2019. Google wird gezwungen, mit den Verlegern über eine Vergütung von Artikel-Anrissen zu verhandeln. In Frankreich verhängten die Wettbewerbshüter im vergangenen Juli eine Strafe von 500 Millionen Euro gegen Google, weil der Konzern mit den Verlegern nicht redlich über eine angemessene Vergütung verhandelt habe.

Googles Scheckbuchdiplomatie

Google versuchte in den vergangenen Jahren, mit mehreren Initiativen dem staatlichen Druck auszuweichen – es entstand eine Art Scheckbuchdiplomatie. So schuf der Konzern 2015 einen 300 Millionen Dollar schweren Innovationsfonds («Digital News Initiative»), der die Medienhäuser bei der Digitalisierung ihrer Geschäfte unterstützen sollte. Entsprechende Unterstützungsgelder bezogen auch hiesige Verlage – insgesamt über 3 Millionen Franken. Als Reaktion auf die Corona-Pandemie startete Google auch ein Nothilfeprogramm; der Konzern zahlte kleineren Schweizer Medien insgesamt 195’000 Dollar aus, wie die «Republik» schreibt.

Ferner entwickelte Google in einigen Ländern einen sogenannten News Showcase. Unter diesem Titel stellen die Verlage gegen Geld vollständige Artikel zur Verfügung. Für entsprechende Partnerschaften will Google 1 Milliarde Dollar ausgeben. Entsprechende Verträge kamen zuerst in Australien zustande, insbesondere mit Rupert Murdochs Mediengruppe. Die Vereinbarungen sind geheim, so dass es nur Spekulationen gibt zu den Summen, die Google bezahlt.

In den USA wurde der Start von Showcase verschoben. Gemäss einer Recherche des britischen Fachorgans «PressGazette» herrscht unter US-Verlegern Unzufriedenheit über die Vertragsbedingungen. Man bezweifelt zudem den Nutzen des Angebots fürs eigene Geschäft. Zudem hoffen einige Verlage auf bessere rechtliche Rahmenbedingungen – eben in Form eines Leistungsschutzrechts. In diesem Sinn üben auch die hiesigen Verleger Zurückhaltung in der Erwartung, dass sie mit der Einführung eines Leistungsschutzrechts besser wegkommen werden. Falls das Volk im Februar überdies dem neuen Mediengesetz bzw. dem staatlichen Hilfspaket zustimmen würde, hätten die Medienhäuser doppelt gewonnen.

Was ist eine Presseveröffentlichung?

Wenn das Leistungsschutzrecht europäische Realität wird, sind weitere Fragen zu klären. Wer wäre berechtigt, an den Vergütungen teilzuhaben? Gemäss der EU-Richtlinie sollen «Presseveröffentlichungen» profitieren. Die Presseverlage sind klar im Fokus des Gesetzesvorhabens. Den miserabel formulierten Ausführungen unter Punkt 56 ist zu entnehmen, dass darunter auch Angebote von Agenturen und News-Websites fallen, aber keine Blogs. Hier wird es im Detail noch Präzisierungen brauchen, damit es keine Benachteiligung von reinen Online-Anbietern gibt. Interessieren würde ferner die Frage, ob Artikel auf den besten Plätzen der Suchergebnisse höher entschädigt werden, was wiederum die grossen Redaktionen bevorteilen würde. Was die Schweiz betrifft: Hier hält der Bundesrat in seinem Bericht fest, dass auch «kleinere Medienverlage sowie die Medienschaffenden profitieren sollen».

Die Umverteilungsmaschine kommt bald ins Rollen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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3 Meinungen

  • am 23.12.2021 um 13:03 Uhr
    Permalink

    Interessante Argumentation. Ich muss zugeben, dass ich die meisten Medien in der Tat nicht brauche, da sie alle dasselbe behaupten, was Google sehr schön entlarvt. Ausnahmen sind dann Infosperber mit kritischen Meinungen, sowie RT und Global Times mit den Sichtweisen aus Russland und China. Würde auch nur ein westliches Medium letztere gut darstellen, so würde ich ihre Website auch besuchen.

  • am 23.12.2021 um 14:16 Uhr
    Permalink

    Den Bezug im Titel zur Juso finde ich extrem abschätzig. Schliesslich nennt der Autor am Schluss des Berichtes dann doch, was er zuoberst der Juso unterstellt: Umverteilungsmaschine. Unwürdig!

  • am 23.12.2021 um 15:58 Uhr
    Permalink

    „There ain’t no such thing as a free lunch“
    Mehr und mehr werden unsere grösseren Medien so zu reinen «Content Farmen», die durch Suchmaschinenoptimierung möglichst viele Seitenaufrufe (Klicks) anziehen sollen. Dann kann man aber folglich nicht mehr von Journalismus reden, sondern muss das Ganze korrekterweise gleich «Content Marketing» nennen. Das «Suchmaschinenranking» wird wichtiger werden als der eigentliche Inhalt. Eine «MacDonaldisierung» dessen wird unausweichlich folgen und lauter faktengecheckter, boulvardesker Schmonzes wird zur Regel werden. Aber das ist offenbar der Lauf der Zeit.

    Journalismus alter Schule verkauft leider keine Werbung. Aber die Werbung bringt das Geld. Und das Geld liegt bei den grossen Tech-Giganten. „There ain’t no such thing as a free lunch“

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