«Voll daneben»
Red. Unter dem Titel «Ein allzu enger Blick auf die SRF-Sparmassnahmen» hat Medienspezialist Rainer Stadler kürzlich über den Protest von Professoren gegen einen Abbau des Wissenschaftsjournalismus bei SRF berichtet. Er bezeichnete den Protest als «übertrieben». Felix Schneider, ehemaliger Redaktor bei SRF 2 Kultur, ist anderer Meinung.
REPLIK VON FELIX SCHNEIDER
Rainer Stadler trifft den Kern des politischen Konflikts um die jüngsten Sparmassnahmen der SRG nicht. Er flieht in die Inhaltslosigkeit der Zahlen. Er sagt: Von 21,75 Vollzeitstellen für die Wissenschaft – bis 31. Januar waren es übrigens noch 1,6 Stellen mehr, grad eben ist da gekürzt worden, aber das sagt Stadler nicht – er sagt also: Von 21,75 SRF-Wissenschafts-Stellen werden jetzt 2 Stellen gestrichen, das heisst zehn Prozent. Was ist das schon?
Ja, quantitativ ist das wenig. Qualitativ ist das enorm. Es trifft mal wieder das Radio. Wenn beim Radio zwei von fünf Stellen wegfallen, so ist das viel. Das Fernsehen mit seinen 20 Stellen kann diesen Aderlass gelassener nehmen. Rainer Stadler nimmt die Perspektive des mächtigen Fernsehens ein. Die Tatsache, dass das Radio ewiger Konvergenzverlier ist, verschwindet im Grab der Statistik.
Dem Sparen geopfert wird das Wissenschaftsmagazin auf SRF 2 Kultur. Na und? Es gibt ja noch «Einstein» im Fernsehen und die vielen Online-Beiträge. Ja, gibt es. Aber die machen etwas anderes.
Die Unterschiede sind entscheidend
«Einstein» produziert aufwändiger und langfristiger, plant Monate voraus und ist an Themen orientiert. Spiel, Sex und Drogen im Tierreich, Detoxkuren im Frühling – das sind Themen, die in «Einstein» behandelt werden – auf höchstem Niveau übrigens.
Das Wissenschaftsmagazin auf SRF 2 aber ist anders: schneller, aktueller, kritischer, an der wissenschaftlichen Aktualität orientiert. Ein neues Krebsmedikament wird gehypt? Das Wissenschaftsmagazin kann innerhalb eines Tages klären und auf den Sender bringen, was der Stand der Wissenschaft ist bezüglich der Wirksamkeit des Medikamentes. Und das kann nur das Wissenschaftsmagazin.
Nichts gegen die Zulieferung in andere, aktuelle Sendegefässe wie Tagesschau, Echo et cetera. Aber das geht nur, wenn die Wissenschaftsredaktion einen eigenen Ort hat, an dem sie sich sammeln und Themen sichten, diskutieren, gewichten und anbieten kann. Ihr wird jetzt der einzige Ort genommen, an dem sie die Hoheit hat und Themen setzen kann, unabhängig von anderen Redaktionen.
Übrigens: Als Sparmassnahme taugt die Übung nicht. Wenn die längere Sendung gestrichen wird, wird die kürzere teurer, denn gewisse Arbeiten (Lektüre, Recherche zum Beispiel) sind so aufwändig, wie sie eben sind. Egal ob daraus dann ein langer oder ein kurzer Beitrag entsteht.
Schlimm, nicht halb so schlimm
Stadler verkennt den breiten Widerstand, den es gegen die Abschaffung des Wissenschaftsmagazins gibt. «Jeder kämpft um sein Gärtchen», sagt er. Überhaupt ist sein Ton herablassend. Aber vor allem: Es stimmt nicht, was er sagt. Die Professoren, die die Abschaffung des Wissenschaftsmagazins kritisieren, vertreten in diesem Falle kein partikulares Interesse, sondern ein allgemeines und gesellschaftliches, nämlich das Recht der Öffentlichkeit auf Einblick in einen Wissenschaftsbetrieb, den sie schliesslich zum grossen Teil auch finanziert.
Auch Stadlers Botschaft, alles sei halb so schlimm und die SRG sei schliesslich zum Sparen gezwungen, verkennt die Ereignisse. Natürlich wird die SRG von Rösti, der zuständigen Nationalratskommission und ihren rechten Genossen zum Sparen gezwungen. Natürlich steht sie auch unter dem politischen Druck der Privatisierer, die den Service public zurückfahren wollen. Aber beim Sparen setzt die SRG auch eine Programmstrategie durch, und diese lautet, verkürzt, aber nicht ganz verfälscht gesagt: Quote vor Relevanz. Und nur der von Stadler missachtete Druck der Öffentlichkeit kann vielleicht die Gewichte zugunsten der Relevanz verschieben.
Kulturradio ade
Aus dem Programm gekippt werden in der gegenwärtigen Sparrunde auch das Wirtschaftsmagazin «Trend», «Kino im Kopf» (die einzige regelmässige Filmsendung der gesamten SRG) und «Kontext», die einst einstündige Hintergrundsendung für Kultur und Gesellschaft, die als Podcast auch beim jüngeren gebildeten Publikum auf Zuspruch stösst. Für die Kultur- und Gesellschaftsredaktion gilt dasselbe wie für die Wissenschaftsredaktion: Ihr wird das «Herz herausgerissen», wie ein Redaktor sagte. Sie wird zum Zulieferbetrieb degradiert. Die SRG verfolgt eine Programmstrategie, die das eigenständige und anspruchsvolle Kulturradio beseitigt. Als «Kultur» wird jede Unterhaltung verkauft, auch «Mona mittendrin». Die kritische Kultur wird in einem populistisch, bis zur Inhaltslosigkeit erweiterten Kulturbegriff ertränkt. «Irgendwie» ist ja dann alles «Kultur».
Fragen
«Schablonenhaft» nennt Stadler die Diskussionen um den audiovisuellen Service public. Das stimmt besonders für seinen eigenen Beitrag. Er verbreitet noch immer das jahrzehntealte und veraltete Klischee vom «depressiven Generalbass der ehemaligen DRS-Radiokultur» und nennt das erfolgreiche Wissenschaftsmagazin «zuweilen» «dröge». Fehlt ihm der Sauglattismus oder hat er einfach den Sender seit langem nicht mehr gehört?
Allerdings: Wo er recht hat, hat er recht. Mit Recht vermisst Stadler die öffentliche Auseinandersetzung darüber, was audiovisueller Service public sein soll. Ob aus Unfähigkeit oder Unwillen sei dahingestellt, jedenfalls vermeidet die Führung von SRG und SRF in der Öffentlichkeit jede konzeptionelle Äusserung zum Radio, seinen heutigen Aufgaben und seiner angemessenen Form. Sie unterlässt es, die Kanäle SRF 1, 2, 3, 4 und Online inhaltlich zu definieren und gegeneinander abzugrenzen.
Auch die Medienwissenschaftler und Medienjournalisten haben die Radio-Konzeptdebatte nicht vorangetrieben, und sie versagen auch jetzt, wo sie den Widerstand gegen den Kahlschlag unterstützen und ihm eine Perspektive geben sollten. Dass die Direktion in einem Anfall von Vernunft ihre Sparentscheidungen zurücknimmt, ist ja unwahrscheinlich.
Andere Konfliktlösungen sind also gefragt. Wäre es zum Beispiel denkbar, dass die Wissenschaftsredaktion einen Platz fände, wenn die Schweizer Redaktion von «Nano» auf 3sat erweitert würde und auch die Audio-Kanäle beliefern würde? Könnte auf Radio SRF 4 Raum – viel Raum! – für Gesellschaft und Kunst geschaffen werden? Ein Art Zusammenlegung von SRF 2 und 4? Ich frage.
DUPLIK VON RAINER STADLER
Schweizer Radio und Fernsehen SRF hat im Redaktionsbereich Wissenschaft auf Ende Januar 2025 1,6 Stellen abgebaut, wie Felix Schneider richtig erwähnt. Das hätte – mein Manko – auch in meinem Text stehen sollen. Nun will der Sender weitere zwei Stellen streichen. Daraufhin starteten Professoren eine Online-Petition. Sie kritisieren, SRF spare am falschen Ort, und sie fordern den öffentlichen Sender dazu auf, «eine vertiefte Berichterstattung über Wissenschaft, Forschung und Technologie» nicht preiszugeben.
Ich weise in meinem Artikel darauf hin, dass SRF auch nach der jüngsten beschlossenen Sparmassnahme weiterhin 20 Vollzeitstellen für Wissenschaftsjournalismus finanziert. Hinzu kommen 3,6 Vollzeitstellen im Fachbereich IT/Digital/Technologie. Für Wissenschaft und Technik stehen also bei SRF mehr als 23 Stellen (Vollzeit) zur Verfügung. Über den Abbau freut sich wohl niemand. Mit der verbleibenden Kapazität lässt sich aber meines Erachtens weiterhin eine vertiefte Berichterstattung sicherstellen, wie dies die Wissenschaftler fordern. Keiner anderen Schweizer Redaktion stehen so viele Stellen für die Berichterstattung über Wissenschaft und Technik zur Verfügung.
Gewiss wäre es fragwürdig, wenn SRF hier scheibchenweise Stellen abbauen würde. Der Sender geriete dann in den Konflikt mit dem Konzessionsauftrag. Für ein grossenteils öffentlich finanziertes Medienhaus ist es unerlässlich, dass es auch Journalistinnen und Journalisten mit spezifischen Fachkenntnissen beschäftigt, damit es das Publikum kompetent zu informieren vermag. Ohne Fachjournalismus wäre die Qualität des Angebots gefährdet.
Ob es dafür ein fachspezifisches Magazin wie das «Wissenschaftsmagazin» braucht, scheint mir eine sekundäre Frage. Im innerredaktionellen Wettbewerb um Sendeplätze mag es angenehm sein, wenn ein Fachbereich über eine «Heimbasis» verfügt, wo er nach eigenem Ermessen entscheiden kann. Auch mag man damit einen Publikumskreis erreichen, der ein ausgeprägteres Interesse am jeweiligen Themenbereich hat. Die Digitalisierung der Medien hat allerdings Möglichkeiten geschaffen, um dieses Publikum auf neuen Wegen zu erreichen. Das nutzt SRF mit entsprechenden digitalen Angeboten, deren Sichtbarkeit da und dort verbessert werden könnte. SRF muss aber ebenso mit Wissenschaftsthemen das breitere Publikum zu erreichen versuchen und entsprechende Beiträge in den aktuellen Sendungen unterbringen.
Schneider dreht in seiner Kritik das Thema in einen Verteilkampf zwischen Radio und Fernsehen. Davon war in der Petition der Wissenschaftler nicht die Rede. Schneider sieht das Radio auf der Verliererseite. Zwei von fünf Stellen gingen verloren. Stehen dem Radio künftig nur noch drei Stellen zur Verfügung? SRF sagte auf Anfrage, das stehe noch nicht fest. Konflikte zwischen Radio und Fernsehen um Geldzuteilungen prägen die Entwicklung der SRG seit Jahrzehnten. Sie dünken mich inzwischen etwas antiquiert. Die SRG hat mit gutem Grund auf die Digitalisierung der Kommunikation reagiert und kanalübergreifende, multimediale Redaktionen geschaffen. 30 Jahre nach dem Beginn der Internet-Ära sollte es möglich sein, alte Grabenkämpfe hinter sich zu lassen.
Schneider weist zu Recht darauf hin, dass der Radio-Kulturkanal von den Umbauten stark betroffen ist, zumal SRF weitere Spezialmagazine abschafft. Er fragt, ob eine Art Zusammenlegung von SRF 2 und SRF 4 zu bedenken wäre. Eine gute Frage. Auch bei SRF 4 haben die Sparmassnahmen Spuren hinterlassen. SRF 4 – eine sinnvolle Spätgründung der SRG – gab dem Radiobetrieb neue Impulse. In der Diskussion um den Service public kann der Sender gar die Rolle eines thematisch unbestrittenen bildungsbürgerlichen Musterknaben spielen: Er verbreitet nur Information, ohne unterhaltenden Schnickschnack. Allerdings gewinnt man dafür nur die Aufmerksamkeit einer Minderheit. Aber einer Minderheit, welche die Weiterentwicklung eines reinen Wortangebots – auch mit Hintergrundinformationen über Wissenschaft und Technik – interessieren dürfte.
Petitionsübergabe in Basel
22’000 Menschen haben eine Petition gegen die Abschaffung des SRF-Wissenschaftsmagazins und der Kultursendung Kontext unterschrieben. Die Initianten übergeben die Petition heute, 22. Februar, um 14.00 Uhr auf dem Meret-Oppenheim-Platz in Basel.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Felix Schneider war Redaktor bei SRF 2 Kultur.
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