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Mit einer Entschuldigung sollte man einen Schlussstrich unter eine Affäre ziehen können. © quimono

Unmöglich: auf Büssern herumtrampeln

Rainer Stadler /  Der «Tages-Anzeiger» entschuldigte sich für einen Artikel. Das genügte nicht allen.

Vor zwanzig Jahren skandalisierte der «Sonntags-Blick» den damaligen Schweizer Botschafter in Berlin, Thomas Borer, wegen einer angeblichen Affäre. Die Publikation aus dem Haus Ringier löste einen der grösseren Medienskandale aus. Verleger Michael Ringier verteidigte erst sein Blatt gegen die Kritiker. Doch am 14. Juli 2002 wich er zurück und sprach öffentlich eine Entschuldigung aus.

In den Tagen zuvor hatte der «Club» des Schweizer Fernsehens beschlossen, die Sendung dieser Medienaffäre zu widmen. Ich hatte damals zugesagt, als Vertreter der NZZ-Redaktion an der Diskussion teilzunehmen. Eingeladen war auch Michael Ringier. Nachdem ich seine Entschuldigung im «Sonntags-Blick» zur Kenntnis genommen hatte, war klar, dass die Konstellation nun völlig anders war. Ich fragte mich vor der Sendung: «Was soll ich jetzt noch sagen?» Ich konnte doch nicht meine in der Zeitung heftig formulierte Kritik wiederholen, wenn der Hauptverantwortliche eingestanden hatte, dass die Publikation ein Fehler gewesen sei. Klar, man konnte den Fall noch einbetten in einen grösseren Kontext. Aber der Druck war aus dem Medienkessel entwichen. Auf jemandem herumzutrampeln, der sich gerade entschuldigt hat, schien mir unwürdig. Entsprechend fühlte ich mich während der Sendung wie eine lahme Ente.

Daran erinnerte ich mich dieser Tage, als ein Artikel des «Tages-Anzeigers» über die Stadtratskandidatin Sonja Rueff-Frenkel heftige Proteste auslöste, weil er antisemitische Klischees bediente. Der «Tages-Anzeiger» hat sich erst zögerlich distanziert; zwei Tage später sprachen die Redaktionschefs Arthur Rutishauser und Priska Amstutz deutlich klarer. Die Kontrollinstanzen hätten nicht funktioniert, schrieben sie und titelten: «Wir entschuldigen uns.» Eigentlich kann man um eine Entschuldigung nur bitten. Das klare Mea culpa war indessen ausgesprochen, das Publikum hatte es gehört. Die Erwartungen waren erfüllt. Für alle Beteiligten war es offensichtlich, dass dieser Artikel so nicht hätte erscheinen dürfen.

War damit die Angelegenheit abgeschlossen? Nein. Die «NZZ am Sonntag» zerzauste den Text erneut. Er sei ungelenk bis schlecht geschrieben, war zu lesen. Der «Nebelspalter» wiederum rezyklierte eine Kritik aus «Tachles» und titelte: «Der Stürmer von der Werdstrasse.» Krasser geht es kaum noch: Einen einzelnen misslungenen Artikel mit einem nationalsozialistischen Hetzblatt zu vergleichen, dient kaum dazu, Antisemitismus wirksam zu bekämpfen. Und eben: Nachtreten hinterlässt einen schalen Geschmack.

Zweifellos geistern weiterhin antijüdische Vorurteile durch zahlreiche Köpfe. Europa, nicht nur Deutschland, hat die historische Pflicht, hier sensibel zu reagieren. Seit einiger Zeit ist allerdings zu beobachten, dass es einigen Kritikern des Antisemitismus weniger um die Sache geht als darum, politische oder weltanschauliche Kontrahenten zu delegitimieren. Das Wichtigste scheint, einen effizienten Knüppel schwingen zu können. Auch das hat einen schlechten Beigeschmack.

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6 Meinungen

  • am 1.02.2022 um 11:29 Uhr
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    Es ist tatsächlich eine grammatikalische Traurigkeit und semantische Unmöglichkeit – der Schreiber erwähnt es in einem Nebensatz – dass sich hierzulande alle selber entschuldigen, anstatt um Entschuldigung zu bitten. Ich entschuldige mich, diese Spitzfindigkeit erwähnt zu haben!

    Eh, ich meine, entschuldigen Sie mich bitte: verzeihen Sie meine Spitzfindigkeit, wollte ich sagen. Entschuldigung!

  • am 1.02.2022 um 12:48 Uhr
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    Danke, gefällt mir, ihre Aufmerksamkeit ist beachtenswert. Mediale Gewalt kann vernichtend sein, die Konsequenzen für die welche zu unrecht Schaden ermitten, können schlimmer sein als es von Aussen besehen den Schein macht. Hauptsache es steigert die Einnahmen. Dann sind wir wieder beim radikalen Kapitalismus. Noch immer ist der Kapitalismus nach oben nicht reguliert. Bei uns ist er nur nach unten reguliert, einige wollen ja keine Leichen oder Verhungerte vor dem Eingang zu ihrer Burg, Villa oder Residenz. Schön sauber muss es schon sein wenn die Anzugträger kommen. Eine Entschuldigung reicht nicht nur in diesem Falle nicht. Wiedergutmachung leisten, öffentlich, vielleicht sollte man das Büssergewand wieder einführen, oder endlich etwas tun, was die Menschen sensibilisiert, auf Gewalt jenseits von Notwehr zu verzichten. Dafür müsste aber unser ganzes Wertesystem überarbeitet werden.

  • am 1.02.2022 um 13:02 Uhr
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    Wieso soll eine Entschuldigung reichen und dann ist alles wieder gut? Nein, es ist eben nicht gut, wenn solche antisemitische Vorwürfe in einer grossen Tageszeitung publiziert werden können. Doch es ist zu einfach, jetzt den fehlbaren Journalisten alleine an den Pranger zu stellen. Da steckt schon eher ein System dahinter, das solche Artikel überhaupt zulässt. Ich hoffe schon, dass das intern aufgearbeitet wird.

  • am 1.02.2022 um 16:38 Uhr
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    Nun ja, sind das wirkliche «Büsser» oder inszenieren sich die nur als im Büsser ohne REUE ?

    «Wir entschuldigen uns.» Eigentlich kann man um eine Entschuldigung nur -bitten-.
    Alles andere ist nur «selbstgerecht» und die Kleingeister sind damit zufrieden.
    ( Erstmalig hat sich mit dem Kardinal Marx ein Katholischer Kirchenfürst die Missbrauchs-OPFER um Entschuldigung gebeten und nicht nur das PUBLIKUM. )
    Das Publikum, die nicht Betroffenen, haben kein Recht die Täter eines Fehlverhaltens zu entlasten.

  • am 2.02.2022 um 06:45 Uhr
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    Asche auf mein Haupt.
    Da brauchts beim Tagesanzeiger mindestens einen kompletten «Cumbre Vieja» und beim Blick zwei «Eyjafjallajökulls»

  • am 3.02.2022 um 08:50 Uhr
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    «Wir entschuldigen uns» ist ein Lippenbekenntniss und nicht Busse tun. Somit Trampel man nicht auf Büsser herum sondern kritisiert die Arroganz. Eine echte Entschuldigung besteht aus einer Schuldanerkennung, einer Bitte um Vergebung, der Frage, wie man es wieder Gut machen kann und allenfalls aus Konsequenzen.

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