UKW: «Noch lange die wichtigste Technik»
Nun bin ich also „konservativ“, wirft mir Rainer Stadler vor („UKW-Abschaltung: Wenn Pioniere konservativ werden.“) Altmodisch, rückwärtsgewandt, aus der Zeit gefallen eben. Stadler führt dies in einem länglichen, mäandernden Text aus, der neben vielen Fehleinschätzungen auch konkrete Widersprüche und grobe Auslassungen aufweist. Auf diese möchte ich nun eingehen.
- Mit keinem einzigen Wort erwähnt Stadler, dass die Schweiz das einzige Land in Mitteleuropa ist, das in näherer Zukunft alle UKW-Sender einmotten will. Damit würde der Sonderfall Schweiz eine weitere Dimension erhalten, die die ausländische Konkurrenz auf den bald freigeräumten Frequenzen ausgiebig nutzen wird. Damit würde die jahrzehntelange Schweizer Medienpolitik, mit der man den inländischen Radiokonsum stärkte, massiv torpediert.
Keine Nutzerdaten
- Als wichtigsten Vorteil von DAB erwähnt Stadler, dass die „Vielfalt wächst“, weil nun auch „Lokalradios aus anderen Regionen zur Verfügung stehen“ würden. Doch Daten, ob dieses Angebot auch in messbaren Dimensionen genutzt wird – «wann haben Sie letzte Mal Radio Jura Bernois eingeschaltet?» – liegen keine vor. Radiohörer beschränken sich nach wie vor auf einige wenige Stationen, in denen sie das von ihnen gewünschte Angebot finden.
- Stadler erwähnt die vom Bund aufgebrachten Subventionen von 66,3 Mio., mit denen man private Veranstalter auf DAB gelockt hat. Doch dies ist nur ein Teil der realen Aufwendungen. Die Kosten für die Erstellung der terrestrischen DAB-Infrastruktur dürften sich auf über 100 Mio. belaufen. Hinzu kommen noch 10 Mio. für DAB-Werbekampagnen, die das Bakom seit Jahren mit sehr überschaubarem Erfolg finanziert. Wenn man also gegen 200 Mio. Franken in eine Lösung investiert hat, die sich im Nachhinein als eine blosse Zwischentechnologie erweist, weil man bei der Einführung von DAB nicht mit der rasanten Entwicklung des Internets bis hin zu 5G gerechnet hat, fällt es den Promotoren beim Bakom und der SRG psychologisch extrem schwer, diese jahrelangen Fehleinschätzungen einzugestehen. Deshalb will man jetzt mit der Brechstange – mit der zwangsmässigen Abschaffung von UKW – doch noch irgendwie recht erhalten, und doppelt mit einem noch viel folgenreicheren Akt der Verzweiflung nach.
Mehr Kosten wegen DAB
- Stadler irrt auch, wenn er schreibt: „Immerhin können die Radios dank DAB auch die Verbreitungskosten senken.“ Nein, wegen DAB sind sie gestiegen, und zwar massiv, trotz allen finanziellen Krücken aus Biel und Bern. Und die Kosten der UKW-Verbreitung sind heute deshalb so tief, weil alle Anlagen bereits vollständig abgeschrieben sind, wie sogar UKW-Abschaltungsbefürworter Florian Wanner von CH-Media in einem «Persönlich»-Interview erklärte.
- Stadler liegt auch falsch, wenn er UKW als eine Technik der Vergangenheit beschreibt. Das ist grundfalsch. UKW ist in 196 Ländern der Welt die am meisten verbreitete Radiotechnik – und wird es noch lange bleiben. In den USA, dem Mutterland des Radios, gibt es kein DAB, dafür neben vielen UKW-Sendern sogar noch Mittelwelle-Radios mit grosser Verbreitung. Nicht alles was analog ist, ist eben antiquiert, wie oberflächliche Beobachter der Szene reflexartig annehmen.
Autoradios: eine Herausforderung oder eine Katastrophe?
- Stadler weist auch auf die aktuellen Nutzungszahlen hin, welche Digimig, die PR-Organisation der Digi-Freaks – finanziert wie fast alles natürlich vom Bakom – verbreiten. Doch diese sind weitgehend irreführend. Tatsache ist, DAB hat sich nicht so durchgesetzt, wie es sich die Promotoren erhofft haben. Vor allem im Auto, wo 58% kein DAB-Empfangsgerät haben, ist dies besonders deutlich. Iso Rechsteiner von Digimig bezeichnet die Autosituation als „Herausforderung“. Nein, das ist keine Herausforderung, das ist eine Katastrophe. Wer der Mehrheit der Schweizer AutofahrerInnen den Empfang einheimischer Sender verunmöglicht, handelt in höchstem Mass unverantwortlich.
- Es heisst, die „Branche“ habe sich auf die UKW-Abschaltung geeinigt. Das ist richtig. Aber Radio wird nicht für die „Branche“ gemacht, sondern für die Konsumenten. Radio ist „Service public“ und wird deshalb auch staatlich unterstützt. Zwar können Sender gewisse Kosten sparen, deren Höhe sie in der aktuellen Debatte aber allesamt nicht vorlegen. Bei uns, bei Radio 1, liegen die UKW-Verbreitungskosten bei etwa 1% des Budgets. Das ist beinahe vernachlässigbar. Anders sieht es bei den Konsumenten aus. Gemäss Schätzungen gibt es in der Schweiz 10 Millionen UKW-Radios in Haushalten und Geschäften. Hinzu kommen noch 2 Millionen in Autos. Wenn nur die Hälfte, also 6 Millionen, durch DAB-Radios ersetzt werden, für die wir einen Durchschnittspreis von 100 Franken annehmen, führt dies zu Kosten in der Höhe von 600 Millionen (!) für die Radiohörer, ohne dass diese dadurch einen grösseren Nutzen erzielen. Dies allein ist skandalös. Hinzu kommt der Elektroschrott, der durch die 12 Millionen nicht mehr nutzbaren Radiogeräte entsteht. Gemäss Schätzungen würde er einer vollgepackten Lastwagenkolonne von 1,5 Kilometer entsprechen. Der ökologische Unsinn, Millionen von problemlos funktionierenden Radiogeräten durch staatlichen Zwang entsorgen zu müssen, übersteigt jede Vorstellung.
Wie es weitergehen soll
- Damit komme ich zu meinem Vorschlag: DAB ist zwar aus heutiger Sicht die falsche Technologie, aber sie ist da und sollte weiter genutzt werden. Der Bund soll die Sender weiterhin finanziell für die DAB-Nutzung unterstützen, so wie er seit kurzem auch andere Medien für ihre Verbreitungskosten vermehrt subventioniert, inklusive die ganz grossen Medienhäuser. Die Abschaltung von UKW soll wie in Grossbritannien auf 2032 verschoben werden. Bis dann wird sich weisen, ob diese Technologie noch in grösserem Mass genutzt wird oder nicht. Dann kann man über eine Abschaltung entscheiden.
- Bei einem TED von Telezüri nach einem kürzlichen kontradiktorischen Gespräch zu diesem Thema gab es folgendes Resultat: 4% sprachen sich für die UKW-Abschaltung aus – und 96% dagegen. Und in einer Umfrage von Tages-Anzeiger Online erklärte eine deutliche Mehrheit von mehr als 50%, dass sie Radio mehrheitlich über UKW nutzen würden. Nicht einmal halb so viele sprachen sich für DAB aus. Solche Meinungsäusserungen sollten weder das Bakom, noch Bundesrätin Sommaruga oder die „Branche“ leichthin abtun. Es verbleibt noch genügend Zeit, den wohl grössten Flop der Schweizer Mediengeschichte zu verhindern, auch wenn dazu gewisse Leute über ihre Schatten springen müssen. Auch ein sonst so seriöser Medienjournalist wie Rainer Stadler.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Roger Schawinksi ist Besitzer des Zürcher Lokalradios Radio1
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Danke Roger Schawinksi, mit diesem Effort hast du ein grosses Lob verdient! Du wirst als Radipionier in die Geschichte eingehen. Da verzeiht man dir gerne einige «Nettigkeiten».
Danke Roger Schawinski für die Bemühungen.
UKW muss bleiben, wer es nutzen will (sender- und emfängerseitig), soll es weiterhin tun dürfen. Die Zwangsverweigerung des Bundes, UKW-Lizenzen zu verlängern, ist ein Skandal. Wenn die DAB-Subventionen versiegen, bleiben vielleicht viele Sender gerne beim günstigeren UKW.
DAB ist für mich keine Option, fast alles ist schlechter als bei UKW, und auf die angegbliche Programm»vielfalt» kann ich also getrost verzichten.
Die Politik betet munter die Bakom-Floskeln nach, anstatt endlich die Notbremse zu ziehen!
Notfalls hilft halt nur eine Volksinitiative; bessser sofort mit Sammeln beginnen, bevor alles zerstört wird.
UKW forever – save-FM.ch
In einem bin ich mit Schawinski nicht einverstanden, er schreibt: «Der Bund soll die Sender weiterhin finanziell für die DAB-Nutzung unterstützen…». Die Sender haben sich verzockt und an den Konsumenten vorbei geplant, warum sollen da wieder die SteuerzahlerInnen den Karren aus dem Dreck ziehen. Wenn die Stationen nicht Werbeeinnahmen verlieren wollen sollen sie weiterhin auch auf UKW senden, die Kosten, ca 1% oder etwas mehr, sind für die Sender tragbar.
Es ist ein übles Spiel das sich in der Medienwelt abspielt, alle wollen an die Honigtöpfe der SteuerzahlerInnen, zutiefst undemokratisch und planwirtschaftlich. Leider haben die Medien (die sogenannte 4. Gewalt, mittlerweile eher ein schlechter Scherz) eine starke Lobby in Bern, vor allem aus dem linken Spektrum, die wollen alles unterstützen und den Markt, Innovation und Kundenfokus ausschalten!
Bezeichnend auch dass Digimig, Protagonisten von DAB, sich auch satt füttert an den Honigtöpfen der SteuerzahlerInnen!
Ist dies nun staatlicher Populismus, Opportunismus oder wieder eine putineske Verschwörungsthoerie?
Da wird vor Greta Thunberg und ihren Freitagshüpfern der Kotau gemacht und
gleichzeitig im DDR-Stil Elektroschrott produziert.
Nur weil der berühmte Herr Schawinski durch die längst geplante kluge Massnahme einige ausländische Transitreisende als Hörer verlieren würde, sollten wir die geplante Modernisierung nicht absagen.
Schliesslich haben wir als forschrittlichste Hinterwäldler Euopas auch schon das terrestrische Fernsehen erfolgreich abgeschaftt, den Internetanbietern sei Dank… :p
@Brunner: Mein Downvote haben Sie wegen des «linken Spektrum». Es ist hier keine parteipolitische Frage, sondern die wachstumsgetriebene Schweiz, die immer alles schneller einführen will als alle anderen, koste es, was es wolle. Z.B. auch beim Format des Satellitenradios braucht es einzig zum Empfang der schweizerischen Sender moderne Empfänger, während fast alle anderen Sender im alten Standardformat senden (n.b. schon lange digital, analoges Satellitenradio war noch früher vorbei).
Liebe(r) K. Blume (leider kann ich nicht antworten, sondern muss einen neuen Kommentar verfassen):
Vermutlich versteht man ihren Sarkasmus nicht, schreiben Sie doch klar, was Sie denken.
Welche «kluge Massnahme» meinen Sie genau?
– Ich finde es ok, das die PFLICHT entfällt, UKW (oder DAB) als Verbreitungskanal zu nutzen.
– Aber ich finde es falsch, allen zu VERBIETEN, auch weiterhin UKW (sogar ausschliesslich) zu nutzen, wenn sie das wollen.