Kommentar

Durchzogenes Börsenwetter

Ein Themenmorgen zu «Ethik und Ästhetik der Börse» von Radio SRF vermittelt überraschende An- und Einsichten. Und wirft Fragen auf. ©

Hans Steiger /  Ein Themenmorgen zu «Ethik und Ästhetik der Börse» von Radio SRF vermittelt überraschende An- und Einsichten. Und wirft Fragen auf.

Dienstagmorgen. Halb wach. Da tun schlechte Nachrichten nicht gut. Oder waren es gute? In den Schwellen- und Entwicklungsländern gehe es dank Wirtschaftswachstum mit dem Mittelstand voran. Und der Chef der Welthandelsorganisation zeige sich nach Gesprächen in Bern optimistisch, beim blockierten globalen Freihandel eine Runde weiter zu kommen. «Nun zu Börse und Wetter.»

Eher mieses Wetter und ein Trailer für den Themenmorgen liessen mich bei SRF 2 Kultur verweilen. «Ethik und Ästhetik der Börse». Der zeitgeistige Titel kam von Sven Grzebeta, deutscher Bankmann und Philosoph, beziehungsweise seiner Dissertation. Von ihr ging Raphael Zehnder als Redaktor offensichtlich aus. In einem Gespräch betonte der Autor das Gemeinschaftliche dieser Marktinstitution, die ja meist als «Anstalt des öffentlichen Rechts» funktioniere. Den durch sie produzierten «Wohlfahrtsüberschuss» gelte es künftig gerechter zu verteilen. Wie das? Über neue Steuern? Der bessere Weg wäre eine «breite Beteiligung der Bürger an der Börse». Darum sollten sie über deren Nutzen aufgeklärt, bestehende Vorurteile abgebaut werden.

Was spürbar das Hauptanliegen des Vormittags war. Nachdem ihn die ganz Grossen nicht als Zaungast im Haus haben wollten, konnte sich unser Radiomann im Handelsraum von Raiffeisen in Zürich ein Bild davon machen, «wie die Börse heute aussieht». Nichts vom Geschrei und Gefuchtel, das wir aus einschlägigen Filmen kennen. Grossraumbüros. Ein paar Computer mehr als üblich. Lauter normale Männer, selten eine Frau. Ist ein Mensch im rasanten Informationsfluss beim Entscheiden nicht überfordert? Nein, mit ausreichend Erfahrung geht das. Und das Problem des unethischen Handelns? Nun, «schwarze Schafe gibt es in jeder Branche.» In jüngster Zeit wurden sie halt von den Medien besonders gern hier gesucht.

Überraschender die Antworten von Marc Chesney, «Finanzprofessor» an der Uni Zürich. Mit den Bedürfnissen der realen Wirtschaft habe der moderne Hochfrequenz-Handel an den Börsen nichts mehr zu tun. Das ist ein gefährliches Kasino. Verbieten! Vom davor oft beschworenen Trend hin zur Ethik spürt er wenig; diese Welt sei geprägt von Zynismus. Auch bei den Investoren handle nur eine Minderheit verantwortlich, solange Regierende nicht eingreifen und die Rahmenbedingungen radikal ändern. Bei diesem Interview wirkte Zehnder leicht irritiert. Von der Kollegin nach dem Fazit des Vormittags gefragt, verlor er nur noch wenige Worte. Klar die Korrektur des Branchenbildes bezüglich Ästhetik. Was die Ethik betrifft, sei es «komplexer». Da steht oft Meinung gegen Meinung. Er jedenfalls bezweifle, dass die «Börse schlechter ist als der Rest der Welt». Das schien mir ein guter Schluss, weil er auch unausgesprochene Umkehrschlüsse erlaubt.

Der in der Vorwoche präsentierte Themenmorgen war schlimmer. «Gentechnik in Afrika?» Faktisch ein Werbespot für Monsanto, die Hungernden hilft – «mit einer Maissorte, die dank Genmanipulation mit weniger Wasser auskommt». Doch noch ist «armen Kleinbauern der Zugang zum teuren Gentech-Saatgut oft verwehrt». Für grundsätzliche Fragezeichen blieb in den zwei Stunden kaum Raum. Nur ein Verweis auf die Website bezog einen Vertreter des biologischen Landbaus ein. Hat die SRG eine neue Variante des anwaltschaftlichen Journalismus entdeckt? Sollen in einer Welt voller Vorurteile auch verschupfte Börsianer und verkannte Gentech-Pionierinnen eine Stimme bekommen? Wann folgen die Vormittage über gute Seiten von Glencore oder Waffenindustrie?

Diese Kolumne erschien am 31. Mai in «P.S., die linke Zürcher Zeitung».


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