Kommentar
Wirtschaftlicher Druck höhlt journalistische Prinzipien aus
Journalismus und interessengebundene Öffentlichkeitsarbeit sind strikt zu trennen. Dieses Prinzip leitet mich seit Beginn meiner journalistischen Tätigkeit. Im Pressebüro Index, einer Gemeinschaft von freien Journalisten, die ich 1979 mit andern gründete, verboten wir uns Gründungsmitgliedern in den Statuten jegliche PR-Tätigkeit.
Deshalb schaue ich vielleicht aufmerksamer als andere hin, wenn Zeitungen redaktionellen Inhalt mit kommerziellen und politischen Interessen vermengen, oder wenn Medienschaffende in ihrer Tätigkeit Journalismus und Public Relations nicht sauber auseinanderhalten. Und darum habe ich gestern auf Infosperber unter dem Titel «In der NZZ schreibt der Velolobbyist über das Velogeschäft» einen Fall von «Interessenfilz» ausführlich thematisiert und dokumentiert.
Nach der Enthüllung folgt hier der Versuch einer Einordnung. Dabei unterscheide ich zwischen drei Akteuren:
1. Martin Platter: Go-Between mit zweierlei Interessen
Im Zentrum steht hier Martin Platter. Als Geschäftsführer von «Velosuisse» muss er die Interessen der Fahrradbranche vertreten und für sie PR machen. Als Journalist mit Fachgebiet Velo soll er unabhängig über diese Branche berichten. Beides zusammen kann er nicht konfliktfrei tun. Gleichwohl tut es Platter, und er schreibt als Journalist nicht nur für irgendwelche Regionalblätter oder Fachmagazine, sondern für die angesehene NZZ, von der man gemeinhin einen höheren Unabhängigkeits-Standard erwartet. Darum beurteile ich diese Interessenverflechtung als besonders krass.
Gewiss, andere freie Journalistinnen und Journalisten machen nebenher ebenfalls und immer häufiger PR, weil sie mit den schwindenden Aufträgen und schrumpfenden Honoraren der Zeitungen oder elektronischen Medien finanziell nicht über die Runden kommen. Aber es macht einen Unterschied, ob Journalistinnen einzelne Aufträge für Öffentlichkeits-Arbeit wahrnehmen oder wie Platter ein festes Mandat just in jener Branche haben, über die sie im redaktionellen Teil von Zeitungen schreiben.
So besehen gibt es bei Regelverstössen für Journalisten eine klare Hierarchie: Sauber ist, wer gar keine PR macht. Wenn Journalistinnen oder Journalisten dennoch Mandate oder PR-Aufträge für politische Parteien oder Wirtschaftsorganisationen annehmen, dann sollten sie das nur in Branchen und für Themen tun, die ausserhalb ihrer journalistischen Tätigkeit liegen. Am grössten ist die Verfehlung, wenn Medienleute über die gleichen Themen journalistisch berichten, für die sie gleichzeitig als Lobbyisten und PR-Leute tätig sind.
Nach diesen Kriterien steht Martin Platter auf der obersten Stufe der Sünden- respektive Filzhierarchie. Immerhin kann man ihm zwei mildernde Umstände anrechnen. Als Journalist schreibt er kompetent über die Velobranche, meistens wohlwollend, aber trotzdem distanzierter als viele freie und fest angestellte Journalistinnen und Journalisten, die auf redaktionellen Seiten über Autos schreiben und diese so hochjubeln, als wären sie vom Autogewerbe bezahlt (was sie in der Regel nicht sind, abgesehen von Gratis-Testautos und von Autofirmen bezahlten Reisen). Zweitens: Platter verheimlicht seine verschiedenen Mandate nicht. Er steht zu seiner Doppelrolle als Lobbyist und Journalist. Im langen Telefongespräch mit mir liess er durchblicken, dass ihm seine Interessenverflechtung selber etwas unbehaglich ist, doch seine «Brötchen» müsse er eben auch verdienen.
2. NZZ: Klare Verstösse gegen Transparenz-Regeln
Die fragwürdigste Rolle in diesem Dreiecksverhältnis spielt die NZZ: Der zuständige Redaktor der NZZ-Seite «Mobil» weiss um die Doppelrolle von Martin Platter als Journalist und Lobbyist in Personalunion. Er akzeptiert diese Interessenverflechtung nicht nur, indem er Platters Velo-Artikel weiterhin abdruckte, nachdem dieser führende Mandate beim Branchenverband übernommen hatte, sondern er unterliess es obendrein, diese Interessenbindung gegenüber der NZZ-Leserschaft offen zu legen. Fast ebenso peinlich ist, dass der zuständige Leiter im Ressort Sport und Freizeitsport der NZZ am Sonntag, das ebenfalls Platter-Artikel publizierte, von dessen Interessenverflechtung angeblich nichts wusste. Das spricht nicht gerade für die Selbstkontrolle bei der Sonntags-NZZ.
Die Ressorts «Mobil» und «Freizeitsport» sind zwar nicht die Kernressorts der NZZ. Trotzdem schadet die bisher verheimlichte Interessenverflechtung zwischen Redaktion und Kommerz der Glaubwürdigkeit und damit dem Image der NZZ.
3. «Velosuisse»: Fragwürdiger Profiteur
Profiteur in dieser Affäre ist vorerst der Dritte im Bunde: Der Branchenverband «Velosuisse» sicherte sich mit Martin Platter einen fachkundigen, gut informierten und gut vernetzten Mitarbeiter; dies schon seit 2017 als Öffentlichkeitsarbeiter, seit 2020 auch als Geschäftsführer. Weil Platter als Journalist in Tages- und Wochenzeitungen obendrein direkt über Trends im Velomarkt und Innovationen der Veloproduzenten berichtete, konnte sich der Hersteller- und Importeur-Verband teure Publireportagen oder Inserate sparen.
Platter ist für die Velobranche Gold wert. Offenbar aber kann oder will «Velosuisse» ihn nicht goldig bezahlen. Sie stellte Platter lediglich mit einem 60-Prozent-Mandat an. Damit aber lassen sich die Anforderungen, die sich dem Dachverband einer boomenden Branche mit einem Jahresumsatz von schätzungsweise 2,3 Milliarden Franken Umsatz stellen, nur bedingt erfüllen.
Beispiel: Während die Verbände der – zugegeben viel grösseren – Autobranche über ausgeklügelte Statistiken und Marktdaten verfügen, fehlt es der Velobranche bis heute an zuverlässigen Verkaufszahlen über die einzelnen Segmente. Recherchierende Journalisten müssen sich darum auf Informationen von staatlichen Stellen oder auf unabhängige Marktbeobachter stützen, wenn sie zuverlässig wissen wollen, wie sich der Veloabsatz oder Branchenumsatz entwickelt. Von daher könnte es sich für «Velosuisse» lohnen, das Mandat des Geschäftsführers auf 100 Prozent aufzustocken, damit dieser auch ohne das – ohnehin lausige – Honorar, das die NZZ freien Journalisten zahlt, seine Brötchen bezahlen könnte.
Velobranche profitiert (noch) vom Sympathie-Bonus
Bleibt die Frage, warum Infosperber die Verfilzung von Journalismus und Kommerz just an der Fahrradbranche thematisiert. Wäre es nicht vordringlicher, der viel mächtigeren Öl- oder der Autolobby stärker auf die Finger zu klopfen? Müssten wir gegenüber der sympathischen Branche, die das umweltfreundlichste Verkehrsmittel produziert und fördert, nicht etwas nachsichtiger sein?
Ersteres tat und tut Infosperber immer mal wieder; das bestätigt ein Blick in unsere Energie-, Verkehrs-, Wirtschafts- und Medien-Dossiers. Zweitens ist Nachsicht keine gute Devise für Medienschaffende. Gerade grüne Wirtschaftszweige wie etwa die Solar- oder eben die Velobranche geniessen bei Medienschaffenden einen Sympathie-Bonus, der den kritischen Blick trübt. Das schont die Sympathischen und kann sie selbstgefällig machen.
In geschonten Räumen fällt es leichter, Prinzipien zu verletzen, Regeln zu brechen. Davon zeugt – über den geschilderten Einzelfall hinaus – die starke Verflechtung von grünem Kommerz und gutmeinendem Journalismus in der Velobranche oder auch im Bereich der erneuerbaren Energie. Aus wirtschaftlichen Gründen ist eine vollständige Entflechtung von Journalismus und PR zwar schwierig und wird schwieriger. Denn die sinkenden Honorarbudgets von Zeitungen können nicht alle freien Journalistinnen und Journalisten ernähren, die über den begrenzten Fachbereich Velo schreiben wollen. Doch unausweichliche Verflechtungen sollten zumindest offengelegt werden. Dazu braucht es verbindliche Transparenz-Regeln. Andernfalls wird die Velobranche und werden andere grüne Wirtschaftszweige ihren Sympathie-Bonus verlieren.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Das ist eine sehr wichtige Enthüllung. Bisher versuchten die grossen Zeitung,solche Beiträge noch mit „Sponsored Content“ zu verschleiern. Wenn es jetzt aber sogar die NZZ nicht mehr für nötig hält, solche Interessensvermengungen zu deklarieren, ist der letzte Stein der Trennwand zwischen Redaktion und Werbung gefallen. Damit tun die Verlage wirklich alles, um dem Vorwurf von „Fake News“ zu entsprechen und sich so das eigene Grab zu schaufeln. Dem sagt man fehlende Weitsicht.
Siehe meinen Kommentar in Ihrem gestrigen Artikel. Sie haben Recht: Bei Velos schauen viele weniger kritisch als bei Autos. Auch mich stört «Velofilz» selten, während ich die Autoseiten der Zeitungen schrecklich finde, einfach weil sie dieses zerstörerische Verkehrsmittel propagieren. Ebenso kritisch reagiere ich bei Reise- und Computerartikel, die fast immer Produkte vorstellen und somit für diese werben, auch wenn die Journalisten nicht direkt von diesen profitieren (ausser allenfalls Testexemplare und Reisen).
@Hanspeter Guggenbühl Ich danke ihnen für diesen Bericht, und für ihre Leistungen im Bereich des guten, ehrlichen, ehrbaren Journalismus. Mögen noch mehr wie sie solche Leistungen erbringen. Vielleicht wird es Zeit, die Marketing, Lobbyismus und Influenzerfirmen mal beim Namen zu nennen, inklusive der Personen, welche von dieser steil aufsteigenden Branche Haupt und Nebenberuflich beschäftigt werden. Wieviel Personen auf Facebook, Youtube, Google, welche für den netten Nachbarn gehalten werden, sind gleichzeitig Lohnempfänger/innen von solchen Agenturen? Dies gilt auch für selbsternannte Moralisten welche sich als Wahrheitsverkünder bezeichnen, dies als angebliche Faktenchecker. Viele von diesen prüfen nicht mal den Hintergrund ihrer angeblichen oft ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen welche unter einem Pseudonym arbeiten. Ungeachtet der Konsequenzen für Dritte verbreiten sie professionell daherkommende Berichte, welche so gelogen sind dass sich die Balken biegen, und es gibt keine Gesetze, welche diese in die Schranken weisen können. Gäbe es Gesetze, wären diese nicht anwendbar, weil ihre Server in einem rechtsfreien Raum stehen. Ein Beispiel wäre die in Wirklichkeit von Creatonisten produzierte angebliche Studie, welche Beweisen soll, das Bill Gates Frauen in Afrika sterilisiert hätte, was sich offenbar als Lüge entpuppt: Quelle: https://youtu.be/BMkl5IwKPe8?t=973 Ab Minute 16:13, ein Bericht des Intellektuellen Gunnar Kaiser, welcher sich selber korrigiert.
Es gibt keine Journalisten mehr.
Es gibt keinen Pleitgen, Scholl-Latour, Nowottny, Friedrichs, Ruge,u.v.m.
Es gibt nur noch Schreiberlinge. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Das hier ist nicht mehr en vogue:
„Das hab’ ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten…..“ (Hanns Joachim Friedrichs)
Und aus diesem Grunde darf man «Journalisten» nicht mehr vertauen. Leider.
Ausweg frei nach Kant:
Haben Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen-ohne Anleitung von außen, also ohne ARD,ZDF,Bild,DW u.a. Qualitätsmedien.
(Nicht nach Duden)
Ich wäre froh, wenn man diesbezüglich auch beim Musikjournalismus mal genauer hinschauen würde. So wie es aussieht, wurde die klassische Konzertkritik verdrängt durch PR für die Popindustrie. Der Nachruf auf Rudolf Kelterborn erhält in gewissen Tageszeitungen gerade mal eine Spalte, während über US-Popstars öfters eine ganze Seite geschrieben wird und gewisse Rapperinnen auch schon längere Zeit wöchentlich in demselben Medium erwähnt wurden. Wer die Prioritäten so setzt, macht schlicht einen unprofessionellen Kulturjournalismus. Schaut man dann, wer die Medienpartner z.B. des Festivals am Gurten und der Konzerte im Hallenstadion sind, wird einem rasch klar, warum dem so ist. Man versteht auch, warum die Weko das Veto eingelegt hat, als Tamedia und Ringier den Ticketcorner mit dem Starticket fusionieren wollten.