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Plakate, die für Reports der «Berner Zeitung» warben © bz

Vor vierzig Jahren wurde ich als Chefredaktor abgesetzt

Urs P. Gasche /  Tabu waren das Militär, das geplante AKW Graben, die Landwirtschaft und die einflussreichen Sekten im Berner Oberland.

BZ Exklusivbericht.x

Vor genau vierzig Jahren hat mich der Verwaltungsrat der «Berner Zeitung» als Chefredaktor entlassen. Meine publizistische Linie sei zu wenig «bürgerlich». Da er mir nichts Konkretes vorwerfen konnte, verhandelte ich eine Abfindung in Höhe von 250’000 Franken und ging die Bedingung ein, dass ich mich zur Absetzung ein Jahr lang nicht öffentlich äussere. Nachdem das Jahr vorbei war, schilderte ich in der «Weltwoche», wie es auf der «Berner Zeitung» zu- und herging. Eine «heile Welt» herrschte bei den Medien auch damals nicht. 
Diese Mediengeschichte sei im Folgenden nochmals dokumentiert (nur leicht redigiert).


Eine Forumszeitung aus wirtschaftlichem Zwang

Der Verwaltungsrat der «Berner Zeitung» hängt mir ein «grün-linkes» Etikett um und setzt mich am 28. Februar 1985 ab. Nach ein paar Monaten Übergangszeit verkündet er stolz die Wahl des neuen Chefredaktors Ronald Roggen. Mit dem NZZ-Redaktor setzt er auf das Etikett «FDP, Hauptmann, Familienvater».

Nur ein Jahr später ist auch Ronald Roggen nicht mehr Chefredaktor.

Bald können sich mehrere Dutzend Journalisten rühmen, ein Angebot als Chefredaktor erhalten zu haben. Für die schwierige Personalsuche kassieren Kadervermittlungsfirmen wie Atag, Trimedia und andere von der «Berner Zeitung» mehrere hunderttausend Franken Vermittlungsgebühren. 

Im Frühjahr 1987 erfolgt die Wahl des früheren «Kassensturz»-Leiters Beat Hurni. Das Pendel bei der «Berner Zeitung» schlägt zurück. Wieder beginnt ein neues Kapitel.

Zickzackkurs

Die «Berner Zeitung» («BZ») war zwischen den Jahren 1973 und 1979 aus Fusionen kleinerer Zeitungen entstanden und wurde mit einer Auflage von 122’000 zur viertgrössten Tageszeitung der Schweiz. Aus wirtschaftlichen Überlegungen erlaubte der Verwaltungsrat der Redaktion eine politische Öffnung – jedoch nur widerwillig. Der innere Widerspruch führte zu einem Zickzackkurs und raschem Auswechseln der Chefredaktion. 


Meine Zeit als Chefredaktor im Rückblick

Die 1979 fusionierte Grosszeitung entwickelt sich unter dem freisinnigen Chefredaktor und PR-Mann Peter Schindler unbefriedigend. Der Verkauf von Abonnements und Inseraten verläuft schleppend. Deshalb ist der rechts-bürgerliche Verwaltungsrat 1982 damit einverstanden, die «BZ» politisch zu öffnen. Er setzt auf das Konzept einer «Forumszeitung». Das Ziel: Man will die Zeitung nicht nur SVP-Anhängern, sondern auch SP-Wählern, nicht nur Älteren, sondern auch Jüngeren, nicht nur auf dem Lande, sondern vermehrt in der Stadt verkaufen und dort den «Bund» konkurrenzieren. 

Dafür braucht es einen neuen Chefredaktor.

Im «BZ»-Verwaltungsrat sitzen SVP- und FDP-Politiker, Oberrichter, Druckereibesitzer, Bernburger und Immobilienverwalter. Die zehn Männer bekennen sich nur widerwillig zur neuen Forumszeitung. Die Zeitung öffnet sich nicht aus publizistischer Überzeugung des Verlegers, sondern aus wirtschaftlichem Zwang. Dieser Widerspruch zwischen rationaler Einsicht und der emotionalen Verbundenheit mit Peter Sagers Ost-Institut erklärt den Zickzackkurs der «BZ»-Verantwortlichen. 

Das «politische Umfeld» des Verwaltungsrats macht sich schon bald nach meinem Amtsantritt im Oktober 1982 bemerkbar. Es geht um die Volksinitiative zur Einsetzung eines Preisüberwachers. Nach Pro- und Contra-Artikeln setzt sich die Inlandredaktion in einem Abstimmungskommentar für ein «Ja» ein. Postwendend kritisiert «BZ»-Geschäftsleiter Peter Hausammann: «Das bringt uns auf SP-Kurs.»

Für einen Preisüberwacher stimmen 56 Prozent der Stimmberechtigten.

Eigentliches Feuer ins Dach bringt ein ausführlicher Bericht über die gravierenden Straftaten des 1982 verstorbenen SVP-Nationalrates und Grossrates Rudolf Etter. Die «BZ» übernimmt den recherchierten Artikel vom «Tages-Anzeiger», der den Skandal am Tag zuvor ans Licht brachte: Etters Mosterei in Aarwangen hatte Konkurs gemacht, während Etter Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes war. Etter hatte Bilanzen gefälscht und Lohnforderungen von 270’000 Franken hinterlassen. Etters Mosterei hatte auch 66’000 Franken für die AHV, die Pensionskasse und die Suva nicht einbezahlt. 

Eine brisante Geschichte, die im Kanton Bern zum Tagesgespräch werden sollte.

Doch einflusseiche SVP-Politiker wollen die Misswirtschaft des langjährigen Gewerbeverbandspräsidenten wenigstens im Kanton Bern lieber unter dem Deckel halten. SVP-Regierungsrat Ernst Blaser äussert sich «tief enttäuscht» und ermahnt mich: «Ihre Zeitung hat während vieler Jahre den Angeschuldigten hochgehoben und hochgejubelt.» 

SVP-Nationalrat Walter Augsburger schreibt empört: «Was Sie im Fall Rudolf Etter geboten haben, grenzt fast an Leichenschändung.» Augsburger empfiehlt mir: «Lassen Sie diesen Menschen in Frieden ruhen, sofern seine Seele überhaupt Frieden finden kann.» 

Ein wütendes Schreiben, mit Kopie an seine «BZ»-Verwaltungsratskollegen, schickt Hans Rudolf Läderach, Bankdirektor in Langnau. Darauf zitieren mich die «BZ»-Verwaltungsräte Paul Gerber und Max Lauterburg in ihre Langnauer Druckerei. Worauf ich nicht gefasst bin: Von der Wand des Sitzungszimmers blickt mich der gerahmte Rudolf Etter an – Etter war langjähriger Verwaltungsrat dieser «BZ»-Druckerei. Max Lauterburg erstickt sogleich jede Diskussion: «Wenn jemand so hohe Ämter wie Etter bekleidet, muss er integer sein.» Die SVP und der Bauernverband seien masslos verärgert. Dieser Zeitungsstil sei nicht bernische Art.

Die Konkurrenzzeitung «Der Bund» bringt es fertig, über das mehrtägige Stammtischthema keine Zeile zu drucken. Dafür bringt der «Blick» am gleichen Tag wie die «BZ» die Schlagzeile: «Ex-Nationalrats-Präsident hinterliess Millionen-Pleite».

Antrittsbesuche

Migros-Chef Jules Kyburz begrüsst mich in seinem Büro im Shoppyland Schönbühl: «Nett, dass Sie zu einem Antrittsbesuch kommen.» Im Laufe des Gesprächs sagt er: «Die Migros sollte nicht mit dem Entzug von Inseraten drohen, wegen der Pressefreiheit, doch wir wollen beim Inserieren auch unsere Freiheit haben.» Namentlich einen Redaktor stuft er als «migrosfeindlich» ein: «Solche Journalisten müssen Sie unter Kontrolle bekommen», ermahnt er mich. 

Konkurrent Denner ist problemloser. Es drängt sich kein «Antrittsbesuch» auf, obwohl Denner der «Berner Zeitung» viel mehr Inserate bescherte als die Migros. 

Wichtig hingegen ist eine persönliche Begrüssung von Nationalrat Fritz Hofmann. Er ist nicht nur Präsident der SVP, sondern auch Direktor des Zentralverbandes schweizerischer Milchproduzenten und langjähriger Kolumnist der «BZ». Wenn er nicht weiterhin jeden Monat eine Manuskriptseite in der «BZ» abdrucken könne, legt er mir nahe, dann könnte er «davon Abstand nehmen, das Zentralblatt (der Milchproduzenten) bei der ‹BZ›-Druckerei drucken zu lassen». Die «BZ» solle «aufbauend» schreiben und bei den Lesern «Hoffnungen wecken», rät er mir.

An einem Treffen zwischen Parteispitzen und dem «BZ»-Verlag lehrt mich SVP-Regierungsrat und Justizdirektor Peter Schmid, dass eine Zeitung kein Marktprodukt sei. Die «Berner Zeitung» habe die Aufgabe, «mit den Regierenden eine Partnerschaft einzugehen», um die «Staatserhaltung» zu sichern. Es störe ihn beispielsweise, dass die «BZ»-Korrespondentin in seiner Gemeinde die Frau eines engagierten SP-Mannes sei.

Konflikte bei Abstimmungsparolen

«BZ»-Geschäftsleiter Hausammann fasst das Treffen später wie folgt zusammen: Die SVP- und FDP-Politiker trauern einer eigenen oder ihnen nahestehenden Zeitung nach. Unterschwellig ist immer noch die Meinung verbreitet, die «BZ» habe von ihrer Herkunft her eine gewisse Verpflichtung übernommen, weiterhin Sprachrohr dieser bürgerlichen Parteien zu sein.

FDP-Nationalrätin Geneviève Aubry, die als Beruf Journalistin angibt, beschwert sich beim «BZ»-Geschäftsleiter über eine redaktionelle Kritik ihres Buches. Sie habe das Buch schliesslich in der «BZ»-Druckerei drucken lassen.

Der Kanton Bern steht vor der Abstimmung über eine Pistenverlängerung auf dem Flugplatz Belpmoos. Innerhalb der Geschäftsleitung kommt es zu einer harten Auseinandersetzung. Gemäss geltendem «BZ»-Redaktionsstatut kann der Verlag eine Abstimmungsempfehlung der Redaktion anfechten. Doch das letzte Wort hat der Chefredaktor. 

Die altgedienten Lokalredaktoren wollen die Pistenverlängerung ablehnen. Hausammann verlangt einen Nein- und einen Ja-Kommentar. «Praktisch alle gewerblichen Kreise der Stadt Bern» würden sich für einen Flugplatz-Ausbau einsetzen. «Es muss vermieden werden, dass die ‹BZ› vorbeischreibt an einem wesentlichen Teil der Bevölkerung, der für die ‹BZ› recht stark meinungsbildend ist.» 

Die Empfehlung, «nein» zu stimmen, hat eine grosse Mehrheit der Redaktion gefasst. Ich will diese Empfehlung nur beim Vorliegen schwerwiegender Gründe umstossen. Als Mitglieder der Geschäftsleitung prüfe ich, ob wesentliche Geschäftsinteressen direkt tangiert sind. Das ist bei der Belpmoos-Piste nicht der Fall. Ich möchte ebenfalls vermeiden, dass ein grösserer Teil der Leserschaft die Haltung der Redaktion nicht nachvollziehen kann und/oder sich von der Zeitung abwendet. Auch das scheint mir nicht der Fall zu sein. 

Tatsächlich lehnen bei der Volksabstimmung zwei Drittel der Stimmenden die Pistenverlängerung ab. Meine Vorgesetzten äussern sich nicht mehr.

Manchmal muss ich gegen die Mehrheit der Redaktion entscheiden, Parolen korrigieren oder vereinzelte Artikel ablehnen. Als die Redaktion die Zivildienstinitiative in einem Abstimmungskommentar befürworten will, setze ich je einen Pro- und einen Contra-Kommentar durch. Ich teile zwar die Meinung des Verwaltungsrates nicht, dass eine Ja-Parole der liberal-bürgerlichen Grundhaltung widersprechen würde, die im Redaktionsstatut festgeschrieben ist. Zivildienste gibt es schliesslich in fast allen westlichen Ländern. Wir müssen jedoch mit heftigen, emotionalen Negativreaktionen grösserer Leserkreise rechnen. Mehr als anderswo wurden und werden im Kanton Bern Zivildienstbefürworter mit linken Armeefeinden gleichgesetzt. In der Berner SVP und FDP gibt es nicht einmal befürwortende Minderheiten. 

Aus ähnlichen Gründen drängt sich bei der Abstimmung über die Bankeninitiative eine kontradiktorische Schlusskommentierung auf. Geschäftsleiter und Verwaltungsräte hätten in beiden Fälle lieber ein klares Nein. Einige bekunden schon Mühe damit, dass eine Forumszeitung im Vorfeld der Abstimmung alle Seiten ausgewogen zu Wort kommen lässt.

«Sie sind vollkommen neben den Schienen»

Die Verwaltungsräte loben und tadeln. Nach den National- und Ständeratswahlen 1983 dankt Verwaltungsrat Peter Dällenbach der neuen Inlandredaktion für ihre «umfassende Berichterstattung» und die «aussergewöhnliche Eigenleistung und die sachgerechte Beurteilung unserer politischen Landschaft».

Vier Tage später schreibt mir Verwaltungsrat Max Lauterburg, ich sei «vollkommen neben den Schienen», weil ich in einem Kommentar die militärische Intervention der Reagan-Administration in Grenada kritisierte. Im Gegenteil, meint er, die Amerikaner seien bisher bei der Sicherung ihres Gebiets viel zu vorsichtig vorgegangen. Unser wirklicher Todfeind sei Russland. Lauterburg empfiehlt mir als «Pflichtlektüre» die Bücher «KGB» und «Wir werden euch begraben» von Jan Sejna. 

Ich schicke ihm einen «NZZ»-Artikel mit dem Titel «Frau Thatcher verurteilt die Invasion Grenadas». Ob er bei der NZZ ebenfalls interveniert, weiss ich nicht.

«Professioneller und kompetenter»

Ein Jahr nach meinem Amtsantritt gibt Verwaltungsratspräsident Charles von Graffenried eine «vorläufig positive Bilanz, was die politische Öffnung der ‹BZ› anbelangt», zu Protokoll: «Die Berichterstattung ist ausgewogen.»

Anfang 1984 teilt das Verwaltungsratspräsidium mit, die ‹BZ› sei heute «professioneller und kompetenter». Geschäftsleiter Hausammann spricht von einem «relativen Erfolg der ‹BZ› auf dem Markt», doch habe ein «gewisses Missbehagen auf bürgerlicher und unternehmerischer Seite nicht vollständig abgebaut» werden können. 

Um den Verwaltungsrat zu beeinflussen, unterbreitet ihm Geschäftsleiter Hausammann eine pseudowissenschaftliche Zweckuntersuchung über die politische Haltung der «BZ». Er hatte sie bei Professor Louis Bosshart von der Universität Freiburg in Auftrag gegeben. Bosshart durchsuchte die «BZ» nach einseitig linkslastigen Artikeln und kam zum Schluss, dass der «Eindruck einer gewissen Linkslastigkeit in Einzelfällen entstehen kann». 

Hätte er nach einseitig rechtslastigen Artikeln gesucht, wäre auch eine «Rechtslastigkeit in Einzelfällen» zu beweisen gewesen. Doch fortan ist für einige rechtsbürgerliche Verwaltungsräte die Linkslastigkeit bewiesen. Eine Diskussion über die tatsächliche redaktionelle Leistung wollen sie nicht führen.

«Kann nicht veröffentlicht werden»

Plakate, die für «BZ»-Reports warben
Plakate, die für «BZ»-Reports warben

Mit attraktiven mehrteiligen Reports unter der Leitung meines Stellvertreters Jürg Wildberger gelingt es, die «Berner Zeitung» über den angestammten Leserkreis hinaus ins Gespräch zu bringen. Der Report über die Sekten im Kanton Bern ist der fulminante Auftakt. Um die vielen Sektenanhänger unter der «BZ»-Leserschaft nicht zu verlieren, beschränken wir uns auf umstrittene Jugendsekten.

Weitere Reports führen zu heftigen Gesprächen innerhalb der Geschäftsleitung, welche die Texte vor Veröffentlichung prüfen will. Opposition meldet Geschäftsleiter Hausammann beim fertiggestellten «Report 2004» an. Zum Jahreswechsel baten wir verschiedene Autoren um ihre Zukunftsvisionen. 

Geschäftsleiter Hausammann rät von der Publikation ab und verweigert die üblichen Werbemittel. Der Beitrag von Beat Kappeler enthalte «glatte Einfälle», sei jedoch eine «gut verpackte Gewerkschaftspolitik» (sein Fazit: «Für Promotion ungeeignet»). Der Beitrag des damaligen «Blick»-Chefredaktors Peter Übersax sei «ausgezeichnet», er mache jedoch «gute Werbung für den ‹Blick›» (sein Fazit: «Kann nicht veröffentlicht werden»). Der Beitrag von Monika Weber vom Konsumentenforum sei ein «Dauerbrenner der Konsumentenschützer» und «prangert Werbung und PR an» (sein Fazit: «Sollte in dieser Form nicht gebracht werden»). 

Nicht einmal die Zukunftsvision des von Hausammann sonst geschätzten Schriftstellers und Mitglieds des Schweizerischen Ost-Instituts, Erwin Heimann, findet Gnade: Sie enthalte zwar «begründete Hoffnung», sei jedoch «nicht spektakulär» und spreche nur «mittelalterliche und ältere Leute» an (Sein Fazit: «Für Promotion ungeeignet»).

Für einen weiteren Report über das Sexgewerbe in Bern, verfasst von Walter Bretscher, Chefredaktor von «Magma», verlangt die Geschäftsleitung eine längere Bedenkfrist für «Änderungswünsche». Unter «Wunsch» verstand Hausammann Befehl und war frustriert, wenn jemand nur Wunsch verstand.

Weitere Reports über Zucker, das Sterben in Bern oder Strom verstärken die Kontroverse in der Geschäftsleitung: Dem Erfolg bei der Leserschaft stand Unzufriedenheit im konservativen Milieu entgegen.

Im «Strom-Report» vergleichen wir die Geschäftspolitik der staatlichen BKW mit derjenigen der privaten kalifornischen Elektrizitätsgesellschaft PG & E. Das Vergleichskriterium ist ausschliesslich die betriebswirtschaftliche Rentabilität. Kein Wort von Sicherheit, kein Wort von Atommüll. Alle Seiten kommen zu Wort. 

Trotzdem ist die Reaktion der BKW heftig. Im Kanton sind sie eine heilige Institution, die keine Kritik gewohnt ist. Mehrere Verwaltungsräte stellen sich auf die Seite der BKW.

Auf enormes Interesse stösst der Landwirtschafts-Report mit dem provokativen Titel «Gift auf der Scholle» von Erwin Müller. Insgesamt 12 Seiten des Autors standen 14 Seiten andere Meinungen und Reaktionen gegenüber. Am Mittagstisch und in Kneipen wird über den Report diskutiert.

BZ Podium Kilchberg.x

An eine Podiumsdiskussion, welche die «BZ» in Kirchberg organisiert, strömen rund tausend Leute, vorwiegend vom Lande. 

Der Bernische Bauernverband protestiert, dass «die staatsbürgerliche Verantwortung der Redaktion den wirtschaftlichen Interessen eines Zeitungsverlags weichen muss». Tatsächlich aber liegen die wirtschaftlichen Interessen des Verlags stark auf Seiten der offiziellen Landwirtschaftspolitik: Die «BZ»-Druckereien drucken den «Schweizer Bauer», die Schweizerische Gewerbezeitung», das «Zentralblatt» des Milchverbandes und zahlreiche Drucksachen des Verbandes landwirtschaftlicher Genossenschaften, der Butterzentrale und anderer. Einige dieser Verbände sind sogar an der «BZ»-Druckerei Betadruck beteiligt. 

Geschäftsleiter Hausammann will den Report absetzen. Ich willige auf einige Textänderungen ein, doch den aufrüttelnden Report lasse ich laufen. Er wird weit über den «BZ»-Leserkreis hinaus zum Gesprächsthema.

Jetzt ist die Toleranzschwelle für Geschäftsleiter Hausammann und die meisten Verwaltungsräte offensichtlich überschritten. Sie fühlen sich in ihrem persönlichen politischen Umfeld zunehmend unwohler. Der starke Mann im Berner Regierungsrat, Werner Martignoni (SVP), schreibt mir einen Brief und schickt Kopien davon gleich an mehrere «BZ»-Verwaltungsräte sowie an Berner SVP-Politiker:

«Sehr geehrter Herr Chefredaktor,

Vor etwa Monatsfrist sicherte ich zu, wiederum eine Betrachtung in Hexametern über das abgelaufene Jahr zur Verfügung zu stellen. Ich komme nach reiflicher Überlegung auf meinen damaligen Entscheid zurück und verzichte auf diesen Beitrag. 
Begründung: Zu meinem Bedauern kann ich mich mit der Grundhaltung Ihrer Zeitung nicht mehr einverstanden erklären. Ein Beitrag könnte als persönliches Einverständnis ausgelegt werden. Zum Beispiel halte ich es (wie auch die angelsächsische Presse) für ausgesprochen unfair, über eine laufende Untersuchung (Hafner-Handel) Recherchier-Berichte zu publizieren … Die Gesamttendenz der ‹BZ› geht in die Richtung von Poch und Krach.»

Martignoni ist im Kanton Bern der einflussreichste Politiker. Meine Antwort geht deshalb an die gleichen Adressaten: die «BZ»-Verwaltungsräte und SVP-Politiker. Geschäftsleiter Hausammann will dies mit allen Mitteln verhindern. Martignoni dürfe man nicht auf diese Art begegnen. Wir sollten das persönliche Gespräch suchen. Trotzdem schicke ich allen folgenden Brief:

Aufstand des alten Bern

«Sehr geehrter Herr Regierungsrat,

Noch vor einem Monat hatten Sie aus eigenem Antrieb offeriert, für unsere Jahresendbeilage wiederum Hexameter zu dichten. Seither hat sich die Haltung der ‹BZ› nicht grundsätzlich verändert.» Etwas boshaft fuhr ich fort: «Wir verstehen, dass Sie … von Zeitungsartikeln über die Finanzaffäre persönlich betroffen sind.» Er scheine von den Informationsmedien zu verlangen, bis zum Ende der parlamentarischen Untersuchung der Finanzaffäre nur noch offizielle Verlautbarungen zu veröffentlichen. «Das würde für die Medien bedeuten, in dieser Sache während eines Jahres auf jede Eigeninitiative zu verzichten.» 
Weder die angelsächsische noch die deutsche oder französische Presse würde mit ihren Recherchen warten, bis eine parlamentarische Untersuchungskommission ihre Arbeit abgeschlossen hat. Der Regierung stünde es frei, jederzeit Stellung zu nehmen. Und vor allem: «Dass Affären wie Tiefenau(-Spital) oder Hafner-Dokumente Gruppierungen wie DA und Poch entgegenkommen, kann nicht den Informationsmedien angelastet werden.» 
In einem Land mit freier Information müsse die umfassende Berichterstattung und die wahrheitssuchende Recherche Vorrang vor parteikritischen Überlegungen haben. «Längerfristig dient eine offene und kritische Presse dem guten Funktionieren unserer demokratischen Institutionen bedeutend mehr als kurzfristige Rücksichtsnahmen.»

Weiter gebe ich Martignoni zu bedenken, dass seine Behauptung bezüglich der Grundhaltung der «BZ» von den fast 300’000 Leserinnen und Lesern im Kanton nicht geteilt werde. Repräsentative Meinungsumfragen der Scope zeigten, dass die Mehrheit der Leserschaft die politische Haltung der «BZ» rechts von ihrer persönlichen Haltung ansiedelt. Diese Mehrheit der Leserschaft wähle vorwiegend SVP, FDP und SP.

Das Inseratengeschäft läuft glänzend

Erstmals hat die «BZ» im Jahr 1984 das Inseratenvolumen der Konkurrenzzeitung «Der Bund» erreicht. In den meisten Inseratensparten nahm die «BZ» dem «Bund» langsam, aber stetig Marktanteile weg. 

Das ist wesentlich das Verdienst des neuen Zürcher Inseratenchefs Albert Stäheli, eines dynamischen Joggertyps. Die Redaktion beansprucht für sich, den Beachtungsgrad und die Glaubwürdigkeit der «BZ» erhöht zu haben. 

Trotzdem erachten Geschäftsleiter Hausamman und der Verwaltungsrat die Gelegenheit für günstig, dem Druck des «politischen Umfelds» nachzugeben. Sie verfallen in den alten Glauben, dass das Geschäft auch gut laufen kann, ohne die Zeitung politisch zu öffnen und ohne ihre gesellschaftlichen und politischen Freunde zu verärgern. 

Sie entlassen mich.

Als Vorwand dient die Entwicklung der Abonnemente. Es gelinge wohl nicht, die Zahl der Abonnenten in den kommenden drei Jahren bis 1987 wie geplant um 17’000 zu erhöhen. Den Grund dafür kann Marketingchef Peter Ineichen nicht gut bei sich selber suchen. Er stimmt deshalb in den Chor derer ein, die dem «grün-linken» Chefredaktor die Schuld geben. Trotz erheblichem Aufwand gelingt es ihm jedoch nicht nachzuweisen, dass der politische Kurs der Zeitung zu Abbestellungen führte oder Neuabonnenten abschreckte. 

Immerhin: Während meiner Zeit als Chefredaktor von 1982 bis 1984 gewann die «BZ» in der hartumkämpften Stadtagglomeration 3000 Abonnentinnen und Abonnenten hinzu. Auf dem Land verlor sie 800. Die Kioskverkäufe stiegen in der gleichen Zeit um 16 Prozent.

Als ich am 28. Februar 1985 die Chefredaktion und Geschäftsleitung der «Berner Zeitung» «im gegenseitigen Einvernehmen» verlasse, ahne ich noch nicht, dass die Finanz- und Parteispendenaffäre, eine grün-rote Regierungsmehrheit und der Grossratsentscheid gegen das KKW Graben für einen neuen Wind sorgen würden. Dieser zieht an der Geschäftsleitung und einzelnen Verwaltungsräten der «Berner Zeitung» nicht unbemerkt vorbei.

«Die Berner reagieren langsam», pflegte mich Verwaltungsratspräsident Charles von Graffenried zu lehren, «aber wenn sie einmal reagieren, dann gründlich».

Ein Jahr nach meiner Entlassung muss auch Peter Ineichen gehen.

Ebenfalls ein Jahr nach mir muss Werner Martignoni als Folge der Berner Finanzaffäre als Regierungsrat zurücktreten.

Niemand, wirklich niemand konnte sich damals vorstellen, dass «Berner Zeitung» und «Der Bund» eines Tages fusionieren und zu Kopfblättern des «Tages-Anzeigers» werden.


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3 Meinungen

  • billo
    am 28.02.2025 um 11:23 Uhr
    Permalink

    Danke! Ich habe diese Erinnerungen mit Gewinn gelesen; andere damalige Machenschaften von Zeitungsbesitzern gegen Zeitungsmacher kamen mit dabei wieder in den Sinn…

  • am 28.02.2025 um 12:40 Uhr
    Permalink

    Die Berner Zeitung galt damals als «liberal», was immer das auch heissen mag. Die «diskret» im Hintergrund wirkenden Interessenvertreter haben der Presse auch anderswo nach demselben Muster das eigene Grab geschaufelt. Der Internet-Wildwuchs ist die Folge und Fake-News wegen der oft undurchsichtigen Quellenlage sind beinahe akzeptiert. Ähnlich erging es der Basler Zeitung oder der Weltwoche. Wenn die Publizistik als «Geschäft» verstanden wird, hat es der Journalismus schwer oder ist engagierter Journalismus unmöglich. Und fähige Leute wollen nicht im Journalismus für ein Butterbrot arbeiten… Die Branche hat sich mit den Gratiszeitungen kanibalisiert und hat keine Ideen, die sowieso mutige Schritte erfordern. Es fehlen die hochmotivierten Köpfe, die, wie zu Zeiten der Staatsgründung, aus innerer Überzeugung politische und gesellschaftliche Aufklärung erzielen wollen. infosperber ist so ein Medium, aber ein Tropfen auf dem heissen Stein…

  • am 1.03.2025 um 00:12 Uhr
    Permalink

    Ein hochspannender Rückblick und Einblick von Herrn Gasche, einem der besten Journalisten der Schweiz, der mit dem Infosperber eine herausragend gute Journalismus-Plattform geschaffen hat.

    Ähnliche Konflikte zwischen Verleger und Chefredaktion gab es, als die Migros-Zeitung 1977 Schawinksi holte und kurz darauf wieder entliess, weil er zu kritisch war (dazwischen deckte er noch den Chiasso-Skandal der CS auf!), oder als Beat Curti 1991 die Weltwoche übernahm.

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