US-Medienlandschaft verkommt zu einer Medienwüste
Auf dem Spiel steht die Demokratie. Die Medienlandschaft der USA verwandelt sich in eine Informationswüste.
Jetzt regt sich Widerstand: Mehrere tausend Vertreter von Bürgerorganisationen aus dem ganzen Land treffen sich während drei Tagen mit Journalisten und Experten von Amerikas führenden Universitäten. Und dabei ist das Thema der Konferenz – «Medien – Technologie – Demokratie» – auf den ersten Blick alles andere als aufregend. In Wirklichkeit geht es aber um brisante Fragen, die für die Zukunft der Demokratie in den USA entscheidend sind: Die «alten» Medien sind in der Krise und verschwinden. Können «neue» Medien sie rechtzeitig ersetzen?
Wie kann sich der Bürger noch informieren, wenn eine einst blühende Medienlandschaft zu einer Informationswüste verkommt? Hat der «gute» Journalismus überhaupt noch eine Chance ? Die Abgeordnete Nancy Pelosi, die nach einer schweren Niederlage der Demokraten bei den Nachwahlen im Repräsentantenhaus nur noch eine Minderheit anführt, rief die Konferenzteilnehmer auf, trotz allem den Mut nicht zu verlieren.
Branchenfremde Konzerne übernehmen Zeitungen, Radio und Fernsehen
«Wir sind in der Opposition stark geworden,» erklärt Craig Aaron die erstaunliche Entwicklung einer 2003 gegründeten Bürgerbewegung für Medienreform, die sich kürzlich in Boston zum fünften Mal zu dieser nationalen Konferenz getroffen hat. Aaron, der in Boston zum zweiten Präsidenten von «Free Press» gewählt worden ist, erinnert: «In den USA finden immer wieder die gleichen Prozesse statt. Zeitungen, Radio und Fernsehen, welche die demokratische Entwicklung hätten fördern sollen, werden Opfer von wirtschaftlichen Konzentrationsprozessen, die unsere Freiheit und Demokratie gefährden.»
«Consolidation» und «going public» (an die Börse gehen) heissen in den USA die Vorgänge, die in den letzten Jahrzehnten einst berühmte Zeitungsverlage im Familienbesitz in das Portfolio einer Handvoll branchenfremder Megakonzerne brachten, für welche die Medien nur noch einen kleinen Teil des Geschäftes ausmachen. Die von Wall Street diktierten hohen Profitraten sind für sie wichtiger als Investitionen in einen besseren Journalismus. Hier begann der Einbruch des Qualitätsjournalismus, der durch das Internet nur noch beschleunigt wurde.
Liberalisierte Regeln für «Cross – ownership» erlauben es Verlagen, im gleichen Markt gleichzeitig Zeitungen, Radio und Fernsehstationen zu besitzen. So entstanden «One voice cities», Städte, die von Medienmonopolen beherrscht werden. Ganze Regionen verwandelten sich in Informationswüsten, weil die lokalen Medien (TV und Radio) immer mehr mit «Konserven» aus nationalen Verlagsketten abgefüllt werden.
Nur noch Meinungen statt Fakten
Konzentration und Kommerzialisierung der Medien haben den Journalismus ausgehöhlt. Gleichzeitig nahm im Journalismus eine gefährliche Gewaltrhetorik überhand. Begonnen hat diese Entwicklung, als 1987 unter Berufung auf die im ersten Verfassungszusatz garantierte Presse- und Meinungsfreiheit die «ausgewogene Berichterstattung» (Fairness Doctrine) aufgehoben wurde. Diese Deregulierung hat in den populären Talkshows in Radio und Fernsehen zu einer beispiellosen Verrohung des politischen Diskurses geführt. Die politischen Folgen der Krise des Journalismus hat Präsident Barack Obama umschrieben: »Wenn Nachrichten nur noch in der Bloggersphäre verbreitet werden, wenn anstatt gewissenhaftem Überprüfen von Fakten nur noch Meinungen überhandnehmen und Ereignisse nicht mehr im Kontext dargestellt werden, dann werden sich die Leute nur noch anschreien. Das gegenseitige Verstehen bleibt auf der Strecke.»
Ein kompromissloser Kampf findet zur Zeit um das Internet statt. Auch das «Netz», das einmal als superdemokratisches Medium angekündigt wurde, droht wie die «alten» Medien, in den Sog wirtschaftlicher Interessen zu geraten. Kabelnetzmonopolisten wie Comstat und Telecomfirmen wie AT&T kämpfen für eine strikte Marktlösung: Wir investieren Hunderte Milliarden von Dollars, um den immensen Datenverkehr bewältigen zu können. Wer das Netz mehr nutzt, soll mehr bezahlen. Der Markt soll entscheiden. Wir brauchen keine Netz-Polizisten. Regulierungen hindern nur die wirtschaftliche Entwicklung.
Netzneutralität nicht garantiert
Bürgerorganisationen wie «Free Press» vertreten die Gegenposition: Zugang zum Internet ist ein Bürgerrecht, denn ohne Internet können Menschen im Alltag nicht mehr funktionieren. Deshalb müssen alle Bürger zu gleichen Bedingungen Zugang haben (Netzneutralität). Im Internet darf es kein Zweiklassensystem geben und der Staat darf nicht zulassen, dass Giganten wie AT&T und Comstat über unterschiedliche Durchleitungsgebühren auch den «Content» im Internet steuern können. Kritiker zweifeln, ob die grossen Internetprovider wirklich an Markt und Wettbewerb interessiert sind, wenn man bedenkt, dass die USA in der Breitband-Versorgung abgeschlagen auf Platz 16 liegen, und dass mehr als die Hälfte der schwarzen und spanisch sprechenden US-Amerikaner keinen Zugang zum Internet haben.
Barack Obama hat sich als Präsidentschaftskandidat für «Netzneutralität» ausgesprochen. Regierung und Kongress stehen aber unter dem Druck einer einflussreichen Lobby. So figuriert beispielsweise AT&T bei den ausgewiesenen Wahlspenden an zweiter Stelle. AT&T und die übrigen Telecomfirmen profitieren vom «Drehtür-Effekt», einem typischen Phänomen der Verfilzung von Politik und Wirtschaft. Fast 300 ehemalige Regierungsangestellte sind laut Angaben der Sunlight Foundation heute für diese Lobby tätig. Nicht genug: Michael Powell, bis 2008 Vorsitzender der staatlichen Federal Communications Commission (FCC), welche die Medien regulieren muss, ist inzwischen Präsident der «National Cable and Telecommunications Association», der Dachorganisation der Kommunikationsindustrie geworden. Für diese mächtigen Akteure stehen nicht nur Milliardengeschäfte auf dem Spiel, sie wollen auch die Weichen stellen, die entscheiden, wer in der «Informationsgesellschaft» des 21. Jahrhunderts das Sagen hat.
Verdeckte Formen der Konzentration
Die Gegenstrategie von «Free Press» und anderen «Graswurzel-Organisationen» ist vorgegeben: Druck von unten aufbauen und das Publikum auf lokaler Ebene abholen, also dort, wo das Austrocknen der Information am meisten zu spüren ist. Wie dünn in den Gemeinden der Informationsfluss geworden ist, wurde in Boston am Beispiel neuer verdeckter Formen der Medienkonzentration aufgezeigt, die sich so abspielt: Auf nationaler Ebene sind die grossen Fernsehanstalten Fox-News, ABC, NBC, CBS und andere Konkurrenten. Auf lokaler Ebene schliessen die gleichen Ketten Partnerschaften für die gemeinsame Benützung der Infrastruktur und Produktion von News. Konkret heisst das: Die Redaktionen sprechen sich ab, über welche Anlässe berichtet wird oder nicht. Zu Pressekonferenzen des Bürgermeisters oder des Präsidenten der Handelskammer geht nur noch ein Reporter. An den Abendnachrichten zeigen alle Kanäle unter ihren Logos die gleiche Videoreportage. Hier werden Kosten gespart auf Kosten der Bevölkerung, die über das Geschehen in ihrer Gemeinde nur noch bruchstückhaft, einseitig oder überhaupt nicht mehr informiert wird.
Der dringende Ruf nach «local news»
«Nachrichten und Informationen sind für Gemeinden ebenso wichtig wie sauberes Wasser und saubere Luft», heisst es in einer umfassenden Studie der privaten Knight-Foundation über die Herausforderungen der US- Medien im digitalen Zeitalter. Der Befund einer überparteilichen Kommission entwirft ein beunruhigendes Szenarium. Amerika befinde sich an «einer kritischen Wende in der Geschichte der Kommunikation». Bereits erkennbaren Folgen seien «dramatisch» und «nicht absehbar». Die Zeit erfordere ein «neues Denken» und «aggressives Handeln», um die «Informationsmöglichkeiten für alle Amerikaner zu verbessern». Ohne «informierte Gemeinden» sei die Demokratie in Gefahr, ein neues «Media-Ecosystem» müsse aufgebaut werden.
Bereits gibt es Hunderte von Internet-Plattformen, die in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind: «Hyper-Local» Sites für Nachbarschaften und kleine Gemeinden, zum Beispiel «the rapidian.org», die mit anderen Plattformen zum «Community Media Center» gehört. Die landesweit bekannte MinnPost.com beschäftigt sieben Journalisten, die bei den zwei grossen in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Tageszeitungen von Minneapolis (Star Tribune und Pioneer Press) ihren Arbeitsplatz verloren haben. Es gibt aber in den USA noch keine unabhängige Online Plattform, die im Stil einer grossen Metropolitanzeitung über eine gut ausgebaute Redaktion verfügt und auf einen Verleger vertrauen kann, der dem Druck von politischen und wirtschaftlichen Interessen widerstehen könnte.
Auf den Punkt bringt es Tom Glaisyer, der an der Medienstudie der Knight Foundation mitgearbeitet hat: «Es gibt wohl viele innovative Projekte aber die meisten sind nicht nachhaltig finanziert.» Oder mit anderen Worten: Die Informationswüste Amerika kann nur überwunden werden, wenn die Frage beantwortet wird: Wie kann das neue «Media-Ecosystem» bewässert und gedüngt werden?
Zweifellos werden die New York Times, die Washington Post – beide mussten ihre Redaktionen massiv reduzieren – oder Rupert Murdochs Wall Street Journal als Oasen für ein Elitepublikum überleben. Von der Elite finanziert sind auch Online-Publikationen wie Pro Publica, die vor kurzem bereits ihren zweiten Pulitzerpreis erhalten hat, oder das Center for Public Integrity. Sie unternehmen aufwendige Recherchen, die sich auch Zeitungen wie die New York Times nicht mehr leisten können. Aber auch in den USA versteht man, dass diese von Mäzenen finanzierten Projekte nur Notlösungen sind. Langfristig darf der Recherchier-Journalismus, die «Vierte Gewalt», nicht von der Gunst einiger reicher Sponsoren abhängig sein.
Informationskrise verlangt öffentliche Mittel
Das langjährige Mitglied der FCC, Michael J.Copps sowie die Studie der Knight-Foundation kommen zu ähnlichen Schlüssen: Die Informationskrise in den USA kann nur mit mehr öffentlichen Mittel überwunden werden. Ihre Thesen:
– Das auf Werbung basierende Geschäftsmodell, das den Journalismus während mehreren Jahrzehnten zu einem höchst profitablen Business gemacht hat, wird sich im 21. Jahrhundert nicht mehr wiederholen.
– Auch nach der massiven Ausdünnung der amerikanischen Zeitungsredaktionen gibt es nicht genügend privates Kapital aus Werbung, Abonnenten, Spenden oder von grossen Sponsoren, um einen Journalismus mit qualitativ hoch stehender lokaler, nationaler und internationaler Berichterstattung zu finanzieren. Auch im Internet gibt es keine wirtschaftliche Basis für guten, umfassenden Nachrichtenjournalismus.
– Journalismus ist ein öffentliches Gut und muss- in erster Dringlichkeit – auf lokaler und regionaler Ebene durch öffentliche Mittel unterstützt werden.
Diese Auffassungen und Forderungen stehen im Gegenwind zur herrschenden politischen Grosswetterlage in Washington. Nicht mehr, sondern (noch) weniger oder überhaupt keine Steuergelder für die öffentlich unterstützten Medien (das Radio NPR und der TV-Kanal PBS) heisst die im Kongress vorherrschende Devise. Bereits jetzt lassen sich die USA die Unterstützung der Pressefreiheit nur bescheidene 450 Millionen Dollars im Jahr kosten. Zum Vergleich: Allein das Pentagon gibt mehr als zehn Mal so viel für Eigenwerbung beziehungsweise Propaganda aus. Pro Kopf der Bevölkerung umgerechnet erhalten die öffentlich unterstützten NPR und PBS ganze 1,4 Dollar oder etwa hundert Mal weniger, was Grossbritannien oder Dänemark ausgeben.
Wie entstand die demokratische Presse?
Die freieste Presse existiere in jenen Ländern, die am meisten staatliche Subventionen erhalte, so entgegnen Verfechter von mehr öffentlichen Mitteln den konservativen Kommentatoren, die beim Wort Staatshilfe sofort den Marxismus und Maoismus an die Wand malen. Sie zitieren Bewertungslisten der unverdächtigen amerikanischen NGO Freedom House sowie des konservativen Magazins Economist. Robert W.McChesney (University of Illinois) und John Nichols (The Nation) erinnern die Amerikaner an ihre Geschichte: «Der amerikanische Journalismus ist nicht ein Produkt des freien Marktes sondern eines Mischsystems von privater und öffentlicher Unterstützung. In den ersten hundert Jahren der US-Geschichte, als es noch keine Werbung gab, ist eine demokratische Presse nur dank staatlicher Subventionen entstanden.» Auch die US-Demokratie sei nicht einfach in den Köpfen der Gründerväter entstanden. Sie sei erst durch die Vermittlung der Medien möglich geworden, die für eine breitere Öffentlichkeit Informationen und Diskussionen von politischen Vorstellungen und Parteien aufbereitet und verbreitet hätten. Die Autoren McChesney und Nichols zitieren Thomas Jefferson: «Wenn ich mich entscheiden müsste zwischen einer Regierung ohne Zeitungen oder Zeitungen ohne Regierung, ich würde Letzteres wählen. Aber ich will, dass jeder Bürger diese Zeitungen erhält und auch lesen kann.»
Jeffersons Wunsch, dass der Bürger Zeitungen nicht nur erhält sondern sie auch lesen k a n n, ist heute brennend aktuell. Nur noch ein Drittel von Amerikas Mittelschulabsolventen (High-School), so ein alarmierender Befund der National Endowment for the Arts, können noch so gut lesen, dass sie in der Lage sind, eine Zeitung zu verstehen. Zeitungen verlieren also ihr Publikum nicht einfach nur an das Internet oder das Fernsehen sondern ebenso sehr, weil ein steigender Prozentsatz der Bevölkerung funktionelle Analphabeten geworden sind und Zeitungen nicht mehr lesen k ö n n e n. Das demokratische System ist nicht in der Lage, einen wachsenden Anteil der Bevölkerung in die viel zitierte «Informationsgesellschaft» zu integrieren.
Technologie dominiert den Journalismus
Jedes Jahr veröffentlicht das unabhängige Pew Project for Excellence in Journalism eine Gesamtanalyse des amerikanischen Medienmarktes (State of the News Media 2011). Die jüngste Studie stellt fest, dass seit 2000 die Zeitungsredaktionen im Schnitt 30 Prozent kleiner geworden seien. 46 Prozent der befragten Amerikaner erklärten, dass sie ihre News dreimal wöchentlich online abfragen. Damit hätten Online-News erstmalig die Zeitungen überholt, die es nur auf 40 Prozent schafften. Allerdings bleiben die Websites der grossen Zeitungen die wichtigsten Online-News-Quellen. Sieben der 25 Top-Zeitungen gehörten mittlerweile einem Hedgefonds. Die Studie stellt im Journalismusberuf ein «de-skilling» fest: Schlechtere Bezahlung, grösserer Zeitdruck, weniger Erfahrung und immer mehr Volontäre.
Zu den kommerziellen Gewinnern des technischen Umbruchs zählt die PEJ-Studie: Die Hersteller der mobilen Endgeräte (wie Apple), Suchmaschinen (wie Google) soziale Netzwerke (Facebook) oder Werbevermittler. Es sind die von der Technologie getriebenen Akteure und nicht mehr der Journalismus, die Medien, die den Zugang zur Öffentlichkeit dominieren.
Zu den politischen Gewinnern der von der Technik beherrschten «Informations-Revolution» gehört die Tea-Party. Die von superreichen Konservativen finanzierte rechtspopulistische Bewegung, die auch Erkenntnisse der Naturwissenschaft und Geschichtsschreibung leugnet, profitiert vom Nichtwissen einer schlecht informierten Gesellschaft, sie ist ein Produkt der Informationswüste.
Vierte Gewalt – oder neue Aera der Korruption
In einem viel beachteten Aufsatz erinnert Paul Starr an die Aufgabe des Journalismus: »Die Öffentlichkeit informieren und damit die Gesellschaft mit wirksamen Mitteln der Einflussaufnahme auf den Staat, die Parteien und die privaten Institutionen ausstatten». Diese Einflussnahme und Kontrollfunktion seien heute nicht mehr garantiert. Der Soziologe an der Princeton Universität umschreibt die Herausforderung für den Journalismus und das politische System: «Wenn wir die Rolle der Zeitungen als Vierte Gewalt ernst nehmen, dann bedeutet das Ende der Zeitungsära einen Wechsel des politischen Systems selber. Zeitungen haben geholfen, die korrupten Tendenzen in der Regierung und Privatwirtschaft zu kontrollieren. Wenn wir eine neue Aera von Korruption verhindern wollen, dann müssen wir diese Vierte Gewalt erneut aufbieten auf anderen Wegen. Unsere neuen Technologien können uns von unseren alten Verpflichtungen nicht entbinden.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Hat die Konferenz in Boston vor Ort verfolgt.