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Christoph Blocher, Multimilliardär und baldiger Medien-Zar der Nation – ein typischer Oligarch © SRF

Schweizer Medien-Horror-Szenario in Sichtweite

Christian Müller /  Gibt es bald nur noch drei Medien-Gruppen? Undenkbar ist das nicht mehr. Noch sind es Gerüchte, doch wo Rauch ist, ist auch Feuer.

Über 300 Zeitungen und Anzeiger gab es damals, in den 1960er und frühen 1970er Jahren, als die Schweiz noch knapp 6 und noch keine 8 Millionen Einwohner hatte. Selbst in kleinen Städten gab es mehr als eine Zeitung. Oft waren es Parteiblätter, freisinnige, katholisch-konservative, sozialdemokratische. Und viele Verleger waren besorgt. Sie beklagten sich, dass «noch bis vor kurzem» eine Druckauflage von 10’000 Exemplaren für ein Überleben genug gewesen waren, dass aber neuste Berechnungen davon ausgingen, dass es eine Auflage von 35’000 Exemplaren brauche, um sicher in die Zukunft zu gehen.

Der dominierende Player, wenn auch mehr hinter den Kulissen, war damals die Publicitas, die bei den meisten Zeitungen für den Inserate-Verkauf zuständig war, den Verlegern etwa beim notwendig gewordenen Kauf einer neuen Druckmaschine ein Darlehen gab und damit die Branche in ihre Abhängigkeit brachte. Und die, nebenbei bemerkt, schon damals eine Filial-Niederlassung in Panama hatte. Die Verleger waren vor allem publizistisch interessiert und engagiert, die «P» aber, wie sie genannt wurde, hatte das wirtschaftliche Know-how.

Aber bereits damals gab es jedes Jahr weniger Zeitungen. Manche gingen einfach ein, andere fusionierten. Der ganz grosse Schock, damals, 1977, war die durch die «P» eingefädelte Fusion der liberal-konservativen Basler Nachrichten und der linksliberalen National-Zeitung zur neuen Basler Zeitung. Basel mit nur noch einer Zeitung! Eine Katastrophe!

Szenenwechsel: Von der Vergangenheit in die Gegenwart

Die Publicitas ist längst weg vom Fenster. Sie wurde von ihrer Muttergesellschaft Publigroupe an das auf Sanierungen spezialisierte deutsche Unternehmen Aurelius verkauft, das wiederum im Umfeld von «Heuschrecken» bekannt ist. Die Aurelius ihrerseits verkaufte die Publicitas vor Jahresfrist ans Management. Die einstmals mächtige «P» hat nur noch wenige kleine Blätter als Pachtkunden und hat auch im Jahr 2017 weitere verloren. In der Branche ist von «stockenden Zahlungseingängen» die Rede und eben hat die Publicitas die verbliebene Rechnungs-Administration nach Bratislava, der Hauptstadt Slowakiens, verlegt. Nur eine Sparmassnahme?

Die verbliebenen namhaften Zeitungsverlage in der Deutschschweiz kann man an den Fingern unserer beiden Hände abzählen: Ringier in Zürich (u.a. mit Blick, SonntagsBlick, Blick am Abend), Tamedia in Zürich (u.a. mit TagesAnzeiger, Berner Zeitung, SonntagsZeitung), NZZ in Zürich (u.a. mit NZZ, NZZ am Sonntag, St.Galler Tagblatt, Luzerner Zeitung), AZ Medien Gruppe in Aarau (u.a. mit azNordwestschweiz und Schweiz am Wochenende), Somedia in Chur (u.a. mit der Südostschweiz), BaZ Holding bis jetzt in Basel (u.a. mit Basler Zeitung und neu mit vielen regionalen Anzeigern), Bieler Tagblatt AG in Biel (u.a. mit Bieler Tagblatt und Journal du Jura) und schliesslich die Meier & Cie in Schaffhausen (u.a. mit Schaffhauser Nachrichten). Dass man als Leser damit noch ausreichend Auswahl habe, ist allerdings schon heute nicht mehr zutreffend, da viele der Zeitungen in ihrem eigenen Einzugsgebiet so ziemlich das Monopol haben – und auch nur deshalb noch existieren.

Szenenwechsel: hinter verschlossenen Türen

Die Werbeumsätze sind nach wie vor stark rückläufig. Überall ist Sparen angesagt. Die Redaktionen verschiedener Blätter werden zentralisiert und redimensioniert. Wird es weitere Fusionen geben? Ja, mit Sicherheit. Wer aber mit wem? «Alle reden mit allen» ist die Standard-Antwort auf konkrete Fragen an die Verleger oder ihre Sprecher.

Einigermassen sicher ist:

  • Die bisherige BaZ Holding ist in Zeitungshaus AG umbenannt worden und ist von Basel nach Baar im steuergünstigen Kanton Zug umgezogen. Das sieht eher als Sprungbrett für weitere Übernahmen aus als nach Sparmassnahme.
  • Marc Gassmann, Verleger des Bieler Tagblatts, hat keinen familien-internen Nachfolger und ist im Gespräch mit Christoph Blocher. Ein Verkauf ist nicht auszuschliessen.
  • Hanspeter Lebrument von der Somedia und Christoph Blocher verhandeln über redaktionelle Zusammenarbeit ihrer Zeitungen. Redaktionelle Zusammenarbeit ist oft die Vorstufe von Fusionen und Übernahmen.
  • Peter Wanner, Verleger der AZ Medien Gruppe, verhandelt mit der NZZ über eine Zusammenarbeit ihrer Regionalblätter (Aargauer Tagblatt u.a. Regionalblätter, St. Galler Tagblatt, Luzerner Zeitung).
  • Die Tamedia funktioniert als Geld-Maschine. Publizistische Ziele sind nicht mehr erkennbar. Etliche Auguren schliessen daraus, dass der TagesAnzeiger in den nächsten zwei Jahren zum Verkauf kommt.
  • Ringier hat den Zeitschriftenbereich mit Axel Springer zusammengelegt. Daneben funktioniert das Unternehmen als Gemischtwarenladen.

    Szenenwechsel: morgen

    In Sicht ist – so geschätzt für 2020 bis 2022 – ein Horrorszenario:

  • Die Tamedia hat den TagesAnzeiger an die NZZ verkauft.
  • Blocher hat die Somedia in Chur und das Bieler Tagblatt käuflich übernommen.
  • Peter Wanner leitet die Regionalzeitungen im Aargau, in Solothurn und im Baselland, die Luzerner Zeitung mit der ganzen Zentralschweiz als Einzugsgebiet (LU / ZG / NW / OW / UR), das St. Galler Tagblatt in St. Gallen und im Thurgau, inkl. AR/AI.
  • Ringier hat auch den Boulevard-Bereich mit Axel Springer aus Deutschland fusioniert.

    Ein Horrorszenario? Ja! Nicht nur, weil es dann nur noch gerade drei Medien-Gruppen gibt. Man denke vor allem auch an deren politische Ausrichtung:

  • Christoph Blocher, Multi-Milliardär und mittlerweile zehntreichster Schweizer, betreibt seine Medien perfekt nach dem Vorbild osteuropäischer Oligarchen: Es geht nicht um den Gewinn, es geht um die politische Macht. Stimmenfang mit medial inszeniertem Nationalismus und mit gekonnt geförderter Fremdenfeindlichkeit. Mehr Geld dank neoliberaler Politik auf allen Ebenen und in allen Bereichen: Sozialabbau, tiefe Unternehmenssteuern, Privatisierung statt Service public. Mediale Schwerpunkte in Basel, Biel und im Graubünden – und darüber hinaus Propaganda in den ganz unschuldig daherkommenden lokalen Anzeigern mit zusammen immerhin gut 800’000 Lesern, wenn es nicht auch in diesem Bereich mehr werden.
  • Die NZZ Gruppe propagiert in ihren national ausgerichteten Hauptblättern das neoliberale Wirtschaftssystem (Gewinne in die Taschen der Privaten, Verluste zulasten der Steuerzahler). Die unter der Leitung des Juniorpartners Peter Wanner stehenden Regionalzeitungen werden mit Hilfe des SVP-nahen Oberchefredaktors Patrik Müller zu Propaganda-Blättern gegen alles, was links der Mitte ist.*
  • Ringier hat sich nach dem Abgang von Frank A. Meyer zum apolitischen Gemischtwarenladen weiterentwickelt und heisst alles willkommen, was gut für das Business ist.
  • Eine Zeitung, die sich dem grassierenden Neoliberalismus entgegenstellt, die auch die Interessen der unteren Mittelschicht wahrnimmt oder gar vertritt, die in Abstimmungen auch die Argumente der Linken und Grünen ernst nimmt und soziale Anliegen vertritt, eine solche Zeitung gibt es dann nicht mehr. Mit – vielleicht – der kleinen Ausnahme der WOZ.
  • Und natürlich hat diese SVP-FDP-dominierte Printmedien-Landschaft es dann auch geschafft, die SRG zu marginalisieren…

    Szenenwechsel – und Vorhang: die Hoffnung

    Vor allem in Ostmittel- und Osteuropa ist es in den letzten Jahren zur Norm geworden, dass die grossen Medien – nicht nur die Zeitungen, auch die Radio- und Fernsehstationen – einzelnen Oligarchen gehören. Die Medien dienen den Oligarchen zur Stärkung und Absicherung ihrer Macht. Aber auch in den USA geht der Trend in diese Richtung. Eben ist der Time-Verlag mit dem weltbekannten Time Magazine vom Medienhaus Meredith übernommen worden, hinter dem seinerseits die Gebrüder Koch als Geldgeber stehen. Die Gebrüder David und Charles Koch stehen auf der Liste der reichsten Reichen dieser Welt auf Position 8 – mit zusammen rund 100 Milliarden US-Dollar Vermögen. Sie gehören zu den prominentesten Unterstützern der libertären Tea Party, am rechten Rand der Republikaner.

    Oder auch in Israel: Die Gratiszeitung Israel HaYom, die 35 Prozent der israelischen Bevölkerung erreicht und damit die meistgelesene Zeitung Israels ist, gehört dem US-amerikanischen Multimilliardär Sheldon Adelson, der im Jahr 2007 auch ihr Gründer war. Sheldon Adelson, ein persönlicher Freund von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, ist mit einem im Immobilien-Sektor von Las Vegas «verdienten» Vermögen von 37 Milliarden Dollar auf der Forbes-Liste der reichsten Reichen der Welt (2017) auf Platz 20. In den USA unterstützt er die Republikaner.

    Wird es also auch in der Schweiz so weitergehen?

    Ja, es ist zu befürchten, zumal auch die SP (im Hinblick auf die Vollgeld-Initiative) statt Reformen gutzuheissen gerade diese Woche wieder beschlossen hat, den «systemrelevanten» Banken, sprich: den Grossbanken, zu hofieren – in Anbetracht eines Zürcher SP-Ständerats, der in Bern direkt die Interessen des Bankenverbandes vertritt, eigentlich ja auch keine Überraschung mehr. Und die ihre neuste Sammelaktion bei bisherigen Gönnern und Sympathisanten der SP unter dem Motto «Nationaler Zusammenhalt» führt. Wo ist da noch die Differenz zur SVP?

    Die Hoffnung stirbt zuletzt, heisst es. Der Autor dieser düsteren Prognose hat vor allem eine Hoffnung: dass er endlich einmal völlig danebenliegt und wenigstens diesmal nicht recht bekommt. In fünf Jahren wissen wir es.

    – – – – – – – – –

    * Patrik Müller, Superchefredaktor der heutigen AZ Medien, schreibt in seinem neusten Kommentar in der Schweiz am Wochenende vom 25. November 2017 zu den Städten, die (noch) von links-grünen Mehrheiten regiert werden, als Fazit und Schlusssatz wörtlich: «Angesichts der zunehmend weltfremden Ideen der Stadt-Ideologen ist nicht auszuschliessen, dass der Weg, der nach Utopia führen soll, in Absurdistan endet.» Einäugiger geht’s wohl kaum mehr.

    – – – – – – – 

    7. Dezember 2017, Nachtrag:

    Nur fünf Tage nach der Publikation dieses Artikels ist die erste der vier gemachten Prophezeiungen zur Realität geworden. Die «Wanner-Medien» und die NZZ Regionalmedien gehen zusammen. Siehe dazu neu: Dem Schweizer Medien-Eintopf ein Schritt näher.


    Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

    Der Autor war von 1964 bis Ende 1988 Journalist in diversen Positionen, zuletzt Chefredaktor der Luzerner Neusten Nachrichten LNN, dann im Verlagsmanagement tätig, zuletzt CEO der Vogt-Schild Medien Gruppe in Solothurn, und dazwischen einige Jahre selbständig als Medien- und Unternehmensberater. Es gibt keine Interessenkollisionen.

  • Zum Infosperber-Dossier:

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    3 Meinungen

    • am 2.12.2017 um 11:56 Uhr
      Permalink

      Nur eine kleine Korrektur: Im Artikel ist vom Luzerner Tagblatt die Rede, gemeint ist aber die Luzerner Zeitung. Diese ist aus dem Zusammenschluss Vaterland – Luzerner Tagblatt – LNN hervorgegangen.

      @Markus Köchli: Besten Dank! War ein Verschrieb. Hab’s gleich korrigiert. cm

    • am 2.12.2017 um 17:02 Uhr
      Permalink

      Danke, aufschlussreich! Solche Prozesse laufen nicht nur im Medienbereich. Macht-Konzentrationen haben kein Interesse an Vielfalt und Demokratie. Der politische Wille, dagegen etwas zu unternehmen ist weltweit nicht in Sicht. Wer weiss, vielleicht wird ja eine von Oligarchen geführte Welt mit entmündigten Bürgern einfacher funktionieren?

    • am 17.08.2018 um 18:55 Uhr
      Permalink

      Danke!

      Was ist mit den welschschweizer Medien? Die suchte ich und dann stiess ich auf Ihren interessanten Artikel.

      Übrigens: was mir seit 1997 noch nie passiert ist: Ihre Artikelseite wurde auf meinem Lumia Smartphone mehrere Male nach einigen Sekunden durch eine ganzseitige Swisscom-Werbung ersetzt. Ist das ein technischer Fehler bei Ihnen oder Sabotage (von Seiten Swisscom)? Ich habe kein Swisscom-Konto und surfe via Wifi anderer.

      ecoglobe . ch / scenarios

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