Medien zwischen Terrorismus und Demokratie
Hongkongs Demokratiebewegung ist kaum ohne die Medien zu verstehen. Handys und Social Media spielen eine wichtige Rolle bei der Organisation der Regenschirmrevolution. Doch die Bedeutung dieser Medien wird heute anders eingeschätzt wie noch beim «Arabischen Frühling», den viele zu Beginn als Medienrevolution sahen. Die Protestierenden in Tunesien oder Ägypten schienen die autoritären Regierungen hinwegzufegen, indem sie sich über die Sozialen Medien organisierten. Blogs von Aktivisten berichteten unzensuriert und aktuell von den Ereignissen auf der Strasse.
Der Arabische Frühling
Allerdings machten sich bald Zweifel und Skepsis über den Erfolg breit, den Soziale Medien in im Arabischen Frühling hatten. Denn die Revolutionen im arabischen Raum versandeten buchstäblich. Und es gelang nicht, die Protestbewegung über die Sozialen Medien langfristig zu sichern.
Revolutionen finden auch im 21. Jahrhundert primär auf der Strasse und mit den Füssen statt – und nicht in den virtuellen Räumen des Internet. Zudem unterschätzten die Verfechter eines «freien Internet» die Gegner. Autoritäre Staaten versuchten eben auch, den Zugang zum Internet unter Kontrolle zu halten. So schaltete die ägyptische Regierung auf dem Höhepunkt der gegen sie gerichteten Demonstrationen das Internet in Ägypten total ab.
Chinas «Great Chinese Firewall»
Mit ähnlich harschen Mitteln versuchte sich auch die chinesische Regierung in Hongkong durchzusetzen. Dies ist keine Überraschung. Denn China zensiert seit Jahren das Internet massiv. Spötter sprechen in diesem Zusammenhang gerne von einer neuen chinesischen Mauer, dem «Great Chinese Firewall». Nach einem Bericht des «New Yorker» wurde «Weibo», die chinesische Antwort auf Twitter schon zwei Tage nach Beginn der Proteste in Hongkong massiv zensuriert. Ebenso blockte China Instagram, weil man hier Bilder vom Protest austauschte. Twitter, Facebook und YouTube sind in China ohnehin abgeschaltet.
Katz-und-Maus-Spiel in Hongkong
Allerdings ist eine umfassende Zensur des Internets sogar in China kaum möglich. Vielmehr entwickelte sich so etwas wie ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Protestierenden. So wichen viele Nutzer in Hongkong und auf dem Festland auf Twitter aus, um die Sperrung über Proxy Server und andere technischen Mittel zu umgehen. Oder es wurden vom Festland Zeichen der Solidarität wie scheinbar unverfängliche Bilder von Regenschirmen geschickt.
Am wirksamsten aber war für die Demonstranten in Hongkong die App Firechat, die es erlaubt, mit Handys, die in der Nähe sind, über Bluetooth zu kommunizieren. So entstehen in einer Masse von Demonstrierenden automatisch Netzwerke, die keine Internet Verbindung benötigen. Die benachbarten Handys dienen als Zwischenstationen, um Botschaften weiter zu verbreiten. Nachdem der 17jährige Studentenführer Joshua Wong dazu aufgerufen hatte, Firechat zu benutzen, luden sich innert weniger Tage 100‘000 Personen aus Hongkong die App auf ihr Handy herunter.
Der IS-Staat und die Sozialen Medien
Das Internet ist jedoch nicht nur für demokratische Oppositionsbewegungen ein Mittel, auf sich aufmerksam zu machen und sich wirksam zu organisieren. Die Terroristen des Islamischen Staates sind Spezialisten für die Nutzung des Internets und der Sozialen Medien. Mit hochprofessionaliserten Videos in HD-Qualität, die symbolisch die wehende schwarze Fahne über martialischen Kriegern schwenken lassen, machen sie Propaganda für ihre Ziele. Auch die Enthauptungen von westlichen Gefangenen setzen sie medienwirksam in Szene und verbreiten sie zum Beispiel über Twitter. Ihr Medienzentrum «Al Hayat Media Center» gibt das periodisch erscheinende Online-Magazin «The Islamic State Report» heraus, das mit vielen Bildern aus dem Leben und dem Kampf des Islamischen Staates gespickt ist.
Ganz offen werden Bilder gezeigt, wie Gefangene abgeschlachtet werden. In einem anderen Video steht ein Kämpfer auf der Grenze zwischen Irak und Syrien. Sein Kommentar: «Wir anerkennen die Grenze nicht und werden dies nie tun. Nach dem Willen Gottes ist dies nicht die erste Grenze, die wir aufbrechen, wir werden alle Grenzen aufheben.» Machtlos fühlen sich dagegen die Verantwortlichen der Sozialen Medien. Zwar betont Twitter-Chef Dick Costello auf seinem Medium, dass bereits Nutzerkonten gesperrt wurden, und dass man dies weiterhin tue. Dennoch gelang es bislang nicht die Dschihadisten von Twitter fernzuhalten.
Besondern wichtig sind Soziale Netzwerke für die islamischen Terroristen, weil über sie Nachrichten, Mitteilungen der Führungsgruppe und auch der Islamic State Report im Netzwerk verbreitet werden. Über Twitter werden zudem auch in Europa, Grossbritannien und den USA Jugendliche für den Dschihad abgeworben. So posteten die beiden Österreicherinnen Samra K. und Sabina S. in sozialen Netzwerken in den letzten Wochen laufend Nachrichten. Sie erschienen dort auf Fotos, die wie Werbeposter wirkten, verschleiert, mit Waffen oder mit bewaffneten Männern. Damit sollte der Eindruck erweckt werden, dass die beiden Jugendlichen, die sich dem Islamischen Staat angeschlossen hatten, ein neues und bessere Leben gefunden hätten. Die österreichische Polizei geht indessen davon aus, dass ihre Accounts von den Dschihadisten betrieben werden, um weitere Jugendliche anzulocken. Insgesamt geht die Zahl der Mädchen und jungen Frauen in die Hunderte, die vermisst werden, dann in Syrien und dem Irak wieder auftauchen und mit Kämpfern des Islamischen Staates verheiratet werden – die meisten rekrutiert über soziale Netzwerke.
Das Netz hat seine Unschuld verloren
Der Islamische Staat ist nur ein Beispiel für die Tatsache, dass das Netz seine Unschuld verloren hat. Dasselbe gilt auch für die Geheimdienste wie den amerikanischen NSA, welcher überall mithören und uns alle global überwachen kann. Auch soziale Netzwerke wie Facebook oder Youtube verstärken nicht einfach die Macht der User, denen sie für ihre Unterhaltung uneigennützig eine virtuelle Plattform anbieten. Die wirklichen Interessen der globalen Internetfirmen zeigt zum Beispiel die immer stärker überhand nehmende Werbung auf Facebook. Wir sollen dort coole Produkte «liken» und so bei den «Freunden» auf sie aufmerksam machen; einen «Dislike-Button» gibt es nicht.
Soziale Medien als Brandbeschleuniger
Soziale Medien sind weder neutral noch sind sie automatisch bestimmten Werten wie der Demokratie verpflichtet. Sie können sich wie in Hongkong den Mächtigen entgegenstellen. Doch genauso gut können sie zur Vernetzung von Terroristen wie dem Islamischen Staat und zur Online-Propaganda genutzt werden. Medien wirken als Brandbeschleuniger, die besonders geeignet sind, um Anhänger zu mobilisieren und sie mit Informationen zu versorgen.
Revolutionen oder politische Umschwünge langfristig über Medien zu organisieren, scheint dagegen wenig erfolgreich. So hat es der Arabische Frühling nicht geschafft, seine Aktivisten langfristig zu einer politischen Bewegung zusammenzuschweissen. Dazu braucht es die Macht der Strasse, des Militärs und politischer Aktivisten, die sich im Hier und Jetzt langfristig zusammentun. Auch der Islamische Staat ist keine Internetbewegung, sondern eine Gruppe sehr irdischer Fanatiker und Ideologen. Aber er zeigt, wie man den Terror und einen Rückfall ins Mittelalter effektiv und werbewirksam über die modernsten Kanäle des Internet verbreiten kann.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine