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Unesco-Generalsekretärin Audrey Azoulay am Going Digital Summit der OECD im März 2019. © cc-by-nc OECD

«Informationskrise»: Unesco fordert griffige Plattformkontrolle

Zeynep Yirmibesoglu /  Die Organisation fordert verpflichtende Menschenrechtsprüfungen für Plattformen und Transparenz in allen genutzten Sprachen.

psi. Dieser Gastbeitrag wurde von netzpolitik.org produziert. Infosperber publiziert ihn im Rahmen der Creative Commons-Lizenz BY-NC-SA 4.0 von netzpolitik.org.

Tagtäglich beziehen Menschen auf der ganzen Welt ihre Nachrichten aus sozialen Netzwerken. Zugleich gibt es seit langem Warnungen vor einer zunehmenden Verbreitung von Desinformation und Hassrede, die oftmals durch die undurchsichtigen Algorithmen der Plattformen befeuert werden. Die Weltkulturorganisation Unesco spricht nun von einer «Informationskrise» und will mit Richtlinien zur Governance digitaler Plattformen gegensteuern.

Denn auf globaler Ebene gebe es bisher keine einheitlichen Lösungsstrategien gegen das Problem, betonte Unesco-Chefin Audrey Azoulay Anfang November in einer Rede zur Vorstellung der Initiative. Neben einem «immensen Fortschritt» bei der Redefreiheit hätten soziale Medien auch die Verbreitung von Falschinformationen und Hassrede verstärkt.

Mit ihren 194 Mitgliedstaaten sei die Kultur- und Bildungsorganisation der Uno genau der richtige Ort, um eine gemeinsame Antwort zu finden, so Audrey Azoulay. Um den Zugang zu Informationen zu schützen seien konkrete Massnahmen und allgemein gültige Grundsätze notwendig. An solche gesetzten Rahmen sollen sich Regierungen, Regulierungsbehörden, Social-Media-Plattformen und die Zivilgesellschaft halten. Die Regulierung sozialer Netzwerke sei «in erster Linie eine demokratische Herausforderung».

Die neuen Richtlinien hat die Unesco nach eigenen Angaben in einem langen Konsultationsprozess mit mehr als 10’000 Eingaben aus 134 Ländern erstellt. Im Kern orientieren sich die Richtlinien an sieben Grundprinzipien zur Steuerung und Regulierung von Plattformen.

Leitprinzip für zukünftige Entscheidungsprozesse müsse demnach immer die Frage nach potenziellen Auswirkungen auf Menschenrechte sein. Dies müsse «der Kompass» für Regierungen und Unternehmen sein. Die sieben Grundprinzipien in Gänze:

  • Verpflichtung zur gewissenhaften Beachtung der internationalen Menschenrechtscharta und die regelmässige Überprüfung ihrer Einhaltung.
  • Errichtung unabhängiger und transparenter Regulierungsbehörden. Sie sollen mit klar definierten Aufgaben und ausreichenden Ressourcen ausgestattet sein, um ihren Verpflichtungen nachzukommen.
  • Regulierungsbehörden müssen eng miteinander kooperieren, um zu verhindern, dass digitale Unternehmen nationale Gesetze als Schlupflöcher ausnutzen.
  • Moderation von Inhalten muss in allen Regionen und Sprachen umsetzbar sein.
  • Plattformen müssen über die Funktionsweise ihrer Algorithmen Rechenschaft ablegen und diese transparent gestalten.
  • Plattformen müssen Nutzer:innen dazu ermutigen, Inhalte zu hinterfragen.
  • Während sensiblen Phasen wie Wahlen und Krisen müssten Regulierungsbehörden und Plattformen verstärkte Schutzmassnahmen ergreifen.

Aus diesen Grundprinzipien leitet die Unesco in ihren Richtlinien eine lange Reihe unterschiedlicher Massnahmen ab. So müssten Plattformen umfassende Menschrechtsprüfungen vornehmen, Transparenz über ihre Funktionsweise schaffen oder Nutzungswerkzeuge für Menschen mit Behinderungen anbieten. Ausserdem müssten sie gewährleisten, dass Nutzer:innen AGB in ihrer eigenen Sprache vorliegen haben und dass es Content-Moderation in allen genutzten Sprachen gebe. Weiter brauche es Beschwerdemechanismen für Nutzer:innen und Nicht-Nutzer:innen, in denen diese auf Regelverstösse hinweisen können. Wer mit Moderationsentscheidungen nicht einverstanden sei, müsse Widerspruchsmechanismen nutzen können.

Staaten sichern Umsetzung zu

In einer Pressemitteilung der Unesco heisst es, Vertreter:innen unabhängiger Regulierungsbehörden, vor allem aus Afrika und Lateinamerika, signalisierten der Initiative bereits ihre Bereitschaft, mit der Umsetzung der Massnahmen zu beginnen. Die Weltkulturorganisation will ihre Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung des Aktionsplans auch mit finanziellen Mitteln unterstützen. Zu diesem Zweck habe die Europäische Kommission bereits eine finanzielle Unterstützung von einer Millionen Euro zugesagt.

Die Unesco stützt sich bei ihrem Vorgehen nicht nur auf den Input ihrer Mitgliedsorganisationen, sondern auf zahlreiche Studien. So stellte die Organisation 2022 in einer Untersuchung fest, dass gut jeder sechste Post oder Tweet über den Holocaust verleugnet oder verzerrt. Vor allem Frauen werden häufig zur Zielscheibe von Hass und Gewalt. Laut einer Studie aus dem Jahr 2020 des International Center for Journalists (ICFJ) und der Unesco, mit über tausend Teilnehmer:innen und Fallstudien aus 15 Ländern aus der ganzen Welt, gaben 73 Prozent an, von Online-Belästigungen und Gewalt betroffen zu sein.

Auch neueste von der Unesco erhobene Daten geben Anlass zur Beunruhigung. So etwa eine Studie, die im Auftrag der Unesco vom IPSOS-Institut duchgeführt wurde. Dabei wurden 8000 Menschen aus 16 Ländern zu möglichen Auswirkungen von Desinformationen und Hassrede auf Online-Plattformen befragt. Die Datenerhebung erstreckte sich über die Monate August und September dieses Jahres in Ländern, die für 2024 nationale Wahlen geplant haben.

Die Ergebnisse sind eindeutig: 68 Prozent der Internetnutzer:innen sagten aus, dass soziale Medien der Ort sei, an dem Desinformationen am weitesten verbreitet sind. 87 Prozent der Befragten befürchten, dass die Verbreitung von Falschinformationen im Internet einen erheblichen Einfluss auf die Wahlen in ihrem Land haben werden. Gemäss derselben Studie sind soziale Netzwerke in vielen Ländern nicht nur zur wichtigsten Informationsquelle für die Bürger:innen geworden, sondern auch zum Hauptkanal für Desinformation und Manipulation. Daher fordern 88 Prozent der Befragten, dass die eigene Regierung eine verbesserte Regulierung der sozialen Medien durchführt, während 90 Prozent die Plattformen selbst dazu auffordern.

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3 Meinungen

  • am 8.12.2023 um 17:25 Uhr
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    Ein chinesisches Sprichwort heisst: «Wer die Wahrheit sagf, braucht ein schnelles Pferd.»

    Der wirksamste Schutz vor einer Echokammer / Filterblase sind andere Meinungen.
    Die werden jedoch massiv bekämpft, im sogenannten Kampf gegen ‹diejenigen die Recht haben›.

    Im Klartext will die UNO die Gleichschaltung, siehe das Konformitätsexperiment von von Asch; Wenn die anderen Falsch liegen und nur einer die richtige Antwort gibt, schliessen sich 1/3 der Probanden demjenigen an der Recht hat. Fehlt der, schliessen sie sich der falschen Mehrheit an.
    Und genau deswegen werden abweichende Meinngen derart erbittert bekämpft.
    Bestes Beispiel: Corona – exzessive Desinformation und Hassrede gegen diejenigen die von Anfang an Recht hatten.

  • am 8.12.2023 um 21:43 Uhr
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    Was genau ist Desinformation und Hassrede? Wer definiert das? «Um den Zugang zu Informationen zu schützen seien konkrete Massnahmen und allgemein gültige Grundsätze notwendig.» Das tönt grundsätzlich gut. Aber nach den Erfahrungen der letzten Jahre, halte ich Zensur für die weitaus grössere Gefahr.

  • am 9.12.2023 um 12:06 Uhr
    Permalink

    Ob der Plan funktioniert, weiss ich nicht. Sicher scheint mir, dass social media und auch viele Websites die Quelle der Desinformationswelle ist. Die etablierten Bezahl-Medien sind natürlich auch nicht über alle Zweifel erhaben – Infosperber berichtet ja regelmässig über deren Fehlleistungen – jedoch schätze ich die Gesamtheit der Information als viel eher richtig als falsch, sogar bei der rechtsaussen Weltwoche! Bei einigen Websites und Beiträgen bei social media scheint es mir umgekehrt. Ich merke das jeweils, wenn eine mir bekannte und früher ähnlich denkende Person plötzlich ganz anders redet und sagt, dass sie nur noch dieser oder jener Quelle vertraue, weil die anderen alle lügten und gesteuert seien. Sie kapseln sich von «normaler» Information ab und entwickeln sehr bedenkliche Thesen.

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