Die «Smartphone-Generation» ist da
Gemäss der Schweizerischen «JAMES-Studie» besitzen 97 Prozent aller Jugendlichen ein Smartphone, während die früheren Handys, bei denen Telefonieren und SMS im Zentrum standen, fast ganz verschwunden sind – eine Verdrängung, die wie ein Sturm in weniger als fünf Jahren die Medienlandschaft umkrempelte.
Was wissenschaftliche Studien als überraschende Erkenntnis dieses Jahres verkaufen, ist allerdings nicht wirklich erstaunlich; denn es gibt in Handyshops fast nur noch Smartphones zu kaufen – und Jugendliche sind ohnehin Trendsetter, die immer das neuste Modell haben müssen. Dies gilt nicht nur für die Schweiz, sondern auch für Deutschland, wo diese Ergebnisse ebenfalls bestätigt wurden. Dort zeigt es sich zudem, dass bereits Kinder und Jugendliche vermehrt Flatrates benutzen, die den mobilen Zugang zum Internet verbilligen.
«Smartphoner» ticken anders
Die Folgen dieses Umbruch sind gravierender, als es der rein technische Wechsel zu den allerneusten Modellen, welche auf dem Markt zu haben sind, vermuten lässt. Denn Smartphones sind weit mehr als Telefone: Es sind kleine Computer mit vielen Anwendungsmöglichkeiten – vom Gamen zum Chatten bis hin zum Surfen auf dem Internet und zum Fotografieren mit der eingebauten Digicam. Smartphones ersetzen wie das legendäre Schweizer Taschenmesser eine Vielzahl von Geräten – und das Telefonieren als eigentliche Aufgabe der früheren Handys rückt immer mehr in den Hintergrund. Musik und die mobile Internetnutzung stehen im Zentrum, erst an dritter Stelle folgen Telefonieren und SMS-Schreiben.
Auch der Desktop PC ist für die heutigen Jugendlichen kein Statussymbol mehr. Er gehört zwar zur Grundversorgung eines Haushalts, auf welche alle Mitglieder Zugriff haben. Eine Forschungsarbeit mit Studierenden der PH Zürich zeigt indessen, dass lediglich 31 Prozent der 256 befragten Schülerinnen und Schüler zwischen 11 und 16 Jahren den stationären Computer häufig oder sehr häufig benutzen; beim Handy/Smartphone sind es dagegen 90 Prozent. Mobile Geräte ersetzen generell zunehmend die stationären – vielleicht sind es bald die Tablets, die dann diesen Bereich dominieren. Sie werden mit 39 Prozent schon jetzt häufiger als der Desktop PC genutzt.
Wer braucht noch einen Fernseher?
Gemäss der NZZ am Sonntag vom 7. Dezember 2014 verliert im Zug dieser Entwicklung auch das Fernsehen an Attraktivität. So hat sich die tägliche Sehdauer der 15-19-Jährigen während der letzten drei Jahre in der Deutschschweiz von 92 auf 66 Minuten reduziert. Dabei hatte man bis vor wenigen Jahren noch über das Suchtpotenzial des Fernsehens und die immer stärkere Ausweitung des Fernsehkonsums als Problem des Aufwachsens in der Mediengesellschaft geklagt.
Das heisst allerdings nicht, dass Kinder und Jugendliche heute weniger Filme sehen. Sie werden lediglich durch Umfragen nicht mehr erfasst, die Fragen zum «Fernsehkonsum» stellen. Denn wer Filme mobil – zum Beispiel auf YouTube – sieht, weiss meist gar nicht mehr, ob dahinter eine Produktion des Fernsehens oder sonst ein Film steckt.
WhatsApp überholt Facebook
Ähnlich einschneidend ist der Wandel bei den «sozialen Medien» – bis vor kurzem eine fast ausschliessliche Domäne von Facebook. Doch der Monopolist, der noch vor acht Jahren deutsche Konkurrenten wie StudiVZ mühelos verdrängte, ist selbst auf die Kriechspur geraten. Dies zeigen die Ergebnisse der PH-Untersuchung ebenfalls sehr deutlich. Auf die Frage nach den meistgenutzten Anwendungen steht WhatsApp mit 161 Nennungen ganz oben. Facebook ist mit 16 Nennungen abgeschlagen und noch hinter YouTube gelandet. Die 14-jährige Susanne M. dazu: «Mittlerweile nutze ich WhatsApp am häufigsten… früher war es einmal Facebook, um schnell Informationen auszutauschen.»
Doch warum ist Facebook plötzlich so wenig cool für Jugendliche? Samuel P. dazu: «»Es ist scheisse…Es ist so überflüssig, es gibt nur noch Werbung und praktisch nichts anderes mehr.» Er spricht damit die Kommerzialisierung an, die Facebook voll erfasst hat. Das Online-Verhalten der Jugendlichen wird ausgewertet und in eine Vielzahl von Werbeeinblendungen umgesetzt – ein Umstand, der viele Jugendliche nervt. Aber auch generell ist Facebook immer komplizierter geworden und mit Funktionen überladen. Das führt zu einer zunehmenden Abwanderung in einfachere Anwendungen, wie Frank T. deutlich macht: « Bei Facebook chatte ich eigentlich nur, wenn mich jemand anschreibt.»
Unter diesen «einfachen» Anwendungen schwingt gegenwärtig WhatsApp obenaus. «Alle Kollegen haben WhatsApp; es ist sehr einfach», meint dazu eine Jugendliche. Und WhatsApp ist kostenlos, so dass es immer häufiger auch die SMS-Nachrichten ersetzt. Besonders wird aber als Vorteil genannt, dass die WhatsApp-Kontakte nach Gruppen gegliedert werden können, die eigene Kanäle bilden: Diskussionen mit Eltern, Klassenkameraden, der Sport- oder Partygruppe bleiben also schön getrennt. Niemand will schliesslich die Eltern in derselben Gruppe haben wie die besten Freunde, mit denen man ungestört Geheimnisse teilen will.
Hat Zuckerberg falsch gepokert?
So wandelt sich das Internet ständig – und der Hype von gestern ist der Verlierer von heute. Heisst das also, dass Facebook auf dem totalen Abstieg ist? Doch Mark Zuckerberg, der Boss von Facebook, hat vorgesorgt und bereits Anfang dieses Jahres WhatsApp aufgekauft. Die Neuausrichtung der Smartphone-Generation ist für ihn also keine Katastrophe, sondern lediglich ein «hausinterner» Wechsel. Und auch hinter vielen der neuen Apps, die Jugendliche gegenwärtig anziehen, verstecken sich bekannte Namen: Google hat YouTube übernommen und die Fotoapp Instagram gehört ebenfalls zu Facebook.
Die Kontrolle der Eltern und Lehrpersonen wird schwieriger
Besonders schwierig ist es für Erzieher und Erzieherinnen oder auch für Lehrpersonen, mit diesem erneuten Wandel Schritt zu halten. Erst noch haben Medienpädagogen empfohlen, mit den Jugendlichen auf die richtigen Einstellungen auf den Facebook-Profilen zu achten. Eltern sollten vermehrt kontrollieren, was sich auf Facebook mit den Chatfreunden so tut. Das ist kein guter Tipp mehr, wenn Facebook bei den Jugendlichen kaum noch eine Rolle spielt.
Zudem kann man feststellen, dass die vielen Presseberichte und Warnungen vor den Gefahren des Internets Früchte tragen. In der PH-Untersuchung nennen zwar auch aktuell noch 18 Prozent der Jugendlichen schlechte Erfahrungen in Chats. Doch gleichzeitig wurden eine Mehrheit von 76 Prozent von Eltern oder in der Schule über die Gefahren des Internets aufgeklärt. Das relativiert die Dringlichkeit solcher Aufklärung.
Das grosse Problem ist dagegen, dass alle Präventionsarbeit, die auf Kontrolle setzt, bei den mobilen Geräten nicht mehr funktionieren: Festlegung von Nutzungszeiten, Abmachungen darüber, welche Angebote tabu sind etc., sind nicht mehr zu kontrollieren, wenn die Kinder ihre mobilen Geräte den ganzen Tag mit sich führen.
In diesem Zusammenhang ergeben sich ganz neue Problemstellungen: Ist es zum Beispiel problematisch, wenn 59 Prozent der Jugendlichen ihre Nachrichten täglich mehr als 10 mal checken, davon 26 Prozent sogar über 30 mal? Online bedeutet zwar nicht, dass man den ganzen Tag nur noch auf dem Netz verbringt. Doch man ist dauernd auf Empfang, und wenn eine neue Nachricht eintrudelt, dann muss die Antwort unverzüglich erfolgen. Kein Wunder, dass fast 40 Prozent der befragten Jugendlichen selbst finden, dass sie täglich zu viel chatten.
Medienkompetenz ist unabdingbar
Wer die digitalen Medien in den Griff kriegen will, kann in der mobilen Gesellschaft nicht mehr auf Kontrolle von aussen, sondern nur noch auf Selbstkontrolle setzen. Eltern müssen ihren Kindern vertrauen können, dass sie mit den mobilen Geräten vorsichtig und sachkundig umgehen. Mit anderen Worten: Verbote von aussen wirken hilflos; vielmehr brauchen Kinder selbst viel mehr Medienkompetenz, um sich einen sinnvollen Umgang mit den Medien anzueignen. Die Bestrebungen des Lehrplans 21, in der Volksschule vermehrt auf Medienbildung bei den Kindern zu setzen, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, der im Zeitalter der Smartphone-Generation ohne Alternative bleibt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor leitet das im Artikel erwähnte Forschungs- und Entwicklungsseminar an der PH Zürich