Die besten Floskeln aller Zeiten
Warum wird eigentlich immer «mit Hochdruck» an Problemen gearbeitet? Und Missetäter «mit aller Härte» bestraft? Und warum hängen überall Ampeln, die ständig «grünes Licht» geben? Das fragten sich die Journalisten Udo Stiehl und Sebastian Pertsch vor neun Jahren auch und starteten das sprach- und medienkritische Projekt «Floskelwolke».
Auf einer Website und auf Twitter machten sie fortan auf Floskeln, Phrasen und Framing in der Nachrichtensprache aufmerksam. In ihrer Freizeit kommentierten die Freiberufler verunglückte Sprachbilder, unfreiwillig komische Titel, Politsprech und mässig originelle Headlines wie «Druck im Kessel beim Heizungsgesetz».
Abschied nach neun Jahren
Am 11. August verabschiedete sich die «Floskelwolke» nach neun Jahren aus dem Netz. Für die Fortführung des sprach- und medienkritischen Projekts fehle neben dem Hauptberuf die Zeit, liessen Stiehl und Pertsch in einem letzten Beitrag wissen.
Ein Verlust, fanden zahlreiche Mitlesende. Sprachkritik betreiben viele, aber keiner machte das so gut wie die «Floskelwolke». Die kurzen, humorvollen und ironischen Twitter-Kommentare hatten eine breite Leserschaft gefunden, auch ausserhalb des Journalismus.
Anprangern wollten Stiehl und Pertsch dabei nie, eher mit leichter Feder auf Sprachverdrehungen hinweisen. Schlimm seien Floskeln im Grunde nicht, nur unnötig und manchmal falsch, sagen sie.
Die grössten Floskeln aller Zeiten
«Infosperber» hat die beiden Floskelwolke-Macher zum Abschluss nach ihren Lieblingsfloskeln gefragt. Den Floskel-Top-10 sozusagen.
«Eine Top-Ten haben wir im engeren Sinne nicht, dafür sind es einfach zu viele Begriffe, die wir betrachtet und bewertet haben», antworteten Stiehl und Pertsch. Es gebe aber einige Dauerbrenner, darunter «aller Zeiten». Schliesslich könne niemand in die Zukunft sehen. Oder das beschönigende «Nachbessern», wenn wieder ein Gesetz geändert werde.
Die Floskel ist überall
Der Stoff wäre ihnen nicht ausgegangen. Vom Hitze-, Miet- und Heizungshammer bis zu übleren Sprachverfehlungen wie dem verharmlosenden «Familiendrama», das zumeist der Mord an einer Frau ist. Die Floskel ist überall.
Nicht immer waren sich die Follower einig. Anfang 2023 wählten die beiden Journalisten «Freiheit» zur Floskel des vergangenen Jahres. Vor «Sozialtourismus», «Klimakleber», «technologieoffen» und dem «Doppel-Wumms» des deutschen Bundeskanzlers. Der Freiheitsbegriff werde «entwürdigt von Egoman:innen, die rücksichtslos demokratische Gesellschaftsstrukturen unterwandern» und verkomme zur hohlen Phrase, erklärten Pertsch und Stiehl. Manchen ging das zu weit.
Auch Schweizer Medien bekamen ihr Fett weg
Nutzer und Nutzerinnen auf Twitter (vor Kurzem umbenannt in X) versorgten das Internetprojekt auch aus der Schweiz mit Hinweisen. Ob es um «plötzlich auftauchende Eisberge» (20min) ging, sich «Biogas in aller Munde» fand (Bajour), der «Güllepapst» erkoren wurde (Blick) oder bei Klassikern wie fallenden Thermometern.
Schiefe Sprachbilder, «kreative» Sprache in der Politik und die teilweise unkritische Art, in der Journalist:innen wolkige Worte übernehmen, gibt es weiterhin. Ob jemand «zeitnah Gesundheitsprävention» betreibt oder irgendwo wieder «Kosten explodieren». Konnte die Floskelwolke da überhaupt etwas bewirken?
Floskelwolke-Macher ziehen positives Resümee
«Die Floskelwolke hat es schon geschafft, die Aufmerksamkeit auf Sprache in den Medien zu lenken», finden die Macher. Den Begriff «Floskelwolke» lese man beispielsweise inzwischen in redaktionellen Texten, die sich mit Politikersprache befassen. «Wir ziehen ein positives Resümee der vergangenen neun Jahre», sagen die beiden Journalisten.
Die öffentliche Aufmerksamkeit jedenfalls war da. In den vergangenen neun Jahren haben Pertsch und Stiehl ein Buch geschrieben, etliche Interviews gegeben, Vorträge gehalten, Preise bekommen und Kolumnen verfasst.
Jetzt brechen die Chef-Floskeler sozusagen auf zu neuen Ufern. Pertsch arbeite an einem Projekt für den Dudenverlag und Stiehl betreue ein internes Projekt bei der ARD. Die «Floskel des Monats» im Fachmagazin «journalist» gebe es aber weiterhin.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
«Wir ziehen ein positives Resümee der vergangenen neun Jahre» da meinten die beiden wohl eine positive Bilanz. ein résumé bedeutet bis auf weiteres eine Zusammenfassung, welche an sich nicht wertend ist.
Danke für diesen Artikel, die meisten Floskeln sind mir bekannt und stören mich auch. Ich vermisse auf der Liste die Floskel, die mich fast täglich stört: «… sorgt für» XY. In mindestens 9 von 10 Fällen handelt es sich um einen schlimmen Vorfall, z.B. «Der Unfall sorgte für vier Tote» – oder «Der Wirbelsturm sorgte für heftige Gewitter». Warum wird nicht einfach das Wort «verursacht» benützt? Sorgen wurde ursprünglich ausschliesslich im positiven Sinne gebraucht, z.B. «Die Eltern sorgen für ihre Kinder». —
Lustig finde ich, dass «Zukunft gestalten» eine Floskel sein soll. Meine Einzelfirma «Zukunftsgestaltung» die ich über 20 Jahre führte, zeigt auf, was genau damit gemeint ist, doch dafür fehlt hier der Platz.