Algorithmen

Der böse Bot bei der Arbeit © copyleft: !Mediengruppe Bitnik/Kunsthalle St. Gallen

Algorithmen verhaften! Now!

Regula Stämpfli /  Eine Szene wie aus einem Science-Fiction-Film: Staatsanwaltschaft St. Gallen verhaftet shoppenden Roboter.

Die Schweizer !Mediengruppe Bitnik liess im Darknet für eine Kunstaktion shoppen. Das «liess» ist in diesem Fall relevant, denn es handelte sich um ein Computerprogramm. Das «böse böse» Programm heisst Bot und wurde von den Schweizer Behörden verhaftet. Der «Daily Dot» titelte spasseshalber: «Drug buying robot arrested in Switzerland.»

Natürlich ist alles anders, aber doch wieder genau so. Deshalb nun von vorn: Bots sind kleine Computerprogramme, die selbständig Aufgaben wieder und wieder erledigen. Bots können den Link zu jedem neuen Artikel auf «news.ch» twittern und erhöhen so die Aufmerksamkeit. Bots machen Sie, liebe Leserin und lieber Leser wahnsinnig, weil Sie dadurch auf einfachem Weg mit geschickter Programmierung regelrecht zugemüllt werden. Na ja, eben nicht Sie, sondern Ihr Mailprogramm, doch sehen wir da noch den Unterschied? Bots manipulieren auch Online-Auktionen, Bots generieren durch automatisierte Klicks Werbung, Bots sind einfach grossartig böse oder zauberhaft einfach dadurch, weil sie einem die doofe automatische Klickerei, die dann von Vermessern als Aufmerksamkeit gerated wird, abnehmen. So tummeln sich auf vielen Webseiten die Bots statt Menschen und niemand weiss so genau, was dies alles bedeutet.

Kunst macht Politik
Sehr selbständig sind manche dieser kleinen Kunstwerke aus Code. Die geniale !Mediengruppe Bitnik, die vom Oktober 2014 bis 11. Januar 2015 in St. Gallen eine Ausstellung hatte und ab Februar im Helmhaus Zürich zu Gast ist, machte die Bots zum Thema. Wie schon öfters, stelle ich auch hier wieder einmal fest, dass die Kunst je länger je mehr entscheidende politische Fragen stellt als die Politik, die lieber altmodisches Medientheater spielt, statt ihren Gestaltungsauftrag wahrzunehmen.

!Mediengruppe Bitnik hat mit ihrem Computerprogramm «Random Darknet Shopper» wöchentlich für 100 Dollar in den Handelsplätzen im Darknet geshoppt… automatisch wohlverstanden. Mit den Bots konnten die unterschiedlichsten Waren eingekauft werden: ein gefälschter ungarischer Pass, Schlüssel, gefälschte Jeans und Drogen, die alle bei der Kunsthalle St. Gallen landeten – verpackt wohlverstanden. «The Darknet – From Memes to Onionland» endete am 11. Januar 2015, am 12. Januar wurde in St. Gallen konfisziert und verhaftet. Was und wer, war auch der Staatsanwaltschaft nicht wirklich klar, doch wie es in St. Gallen so ist, wurden erst einmal vorsorglich alle Ausstellungsobjekte konfisziert. Die Staatsanwaltschaft hat indessen ein Problem: Wer muss für die Handlungen eines automatisch shoppenden Roboters belangt werden? Soll man die Bots einsperren? Wie dick müssten die Eisenstangen sein und wo das Gefängnis? (Bitte spätestens hier Ironiedetektor einschalten).

Wie gesagt: Geniale Aktion. Von der !Mediengruppe Bitnik, nicht von den Beamten von St. Gallen… oder vielleicht doch? Denn damit ist die Frage international und sehr öffentlich geworden. Denn derjenige, der bestellt hat, ist definitiv nicht das Künstlerkollektiv, sondern der Bot, der ganz unabhängig von menschlichem Einwirken wiederkehrende Befehle abarbeitete. Hätten die Künstlerin und der Künstler bestellt, wären sicher nur Muffins und Cupcakes geordert worden (auch hier bitte wieder automatischen Ironiebot).

Wenn Algorithmen shoppen
Der Bot war ganz von sich aus, mit Hilfe klug zusammengestellter Zahlenkombinationen auf der Basis von 0 und 1, einfach auf dem Online-Schwarzmarkt «Darknet» gelandet. Mit den 100 Dollars wollte er sich schliesslich auch was leisten, wer will da schon einem Programm böse sein? Google macht ja auch nichts anderes, nur shoppt Google Inhalte, die Google dann nach Wert so sortiert, dass die Welt so aussieht wie Google dies gerne kauft, verkauft und hat. Der gierige Algorithmus überraschte selbst die Künstlerin Carmen Weisskopf und den Künstler Domagoi Smoljo, denn wirklich berauschend ist ein Baseballcap mit eingebauter Linse für Stalker nicht wirklich. Gut dass die Künstlergruppe juristischen Beistand hatte, denn wirklich ungemütlich wurde es bei den 120 Milligramm Ecstasy in einer CD-Hülle, die der Bot bestellt hatte. Dies brachte eben die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen auf den Plan, die wegen Drittgefährdung das Ausstellungsobjekt vernichtete und damit selber ins juristische Visier geriet, nämlich unter den Verdacht auf «ungerechtfertigten Eingriff in die künstlerische Freiheit.»

Nochmals. Genial. Zum Weiterdenken, wenn auch nicht unbedingt grad zum privaten Nachahmen. Denn alles ist noch offen, doch noch selten wurde so klar, dass die «Algorithmisierung der Welt» (TM Regula Stämpfli, TM Bot bitte einschalten) nicht nur die klassischen Fragen nach Privatsphäre, sondern grundsätzliche philosophische Fragen aufwirft. Wer verstösst bei Automatismen gegen das Gesetz? Die !Mediengruppe Bitnik hat mit ihrer Ausstellung das getan, was andere auch schon längst tun müssten, nämlich: Die richtigen Fragen stellen. Und ja klar: Die Ausstellung hat auch gezeigt, dass Kunst ebenso wie das reine Nachdenken über Kunst & Realität & Virtualität manchmal weh tun kann, gefährlich ist und eventuell gegen das Gesetz verstösst. Sie zeigt auch, dass die Autorin dieses Artikels von den Bots noch viel zu wenig versteht als dass sie die Trolle, die sich hier tummeln, mit Bots auf einem Darknet-Troll-Auktionsmarkt etwas cleverer automatisieren könnte.


Dieser Text ist am 28. Januar 2015 auf «news.ch» erschienen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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2 Meinungen

  • am 4.02.2015 um 09:58 Uhr
    Permalink

    Die Fragestellung ist nicht neu (und m.E. auch nicht so spannend). Sie wurde in Literatur und Film bereits mehrfach abgehandelt. Nur haben sich Politik (und Medien) bislang nicht dafür interessiert. Man muss auch nichts von Algorithmen verstehen, um die Fragestellung angehen zu können. Es genügt, sich einen auf Diebstahl dressierten Affen vorzustellen.

  • am 4.02.2015 um 16:15 Uhr
    Permalink

    Ganz abgesehen davon, dass der «Online-Schwarzmarkt» «Darknet» gar nicht existiert. Darknet ist einfach der Oberbegriff für manuell hergestellte Peer-to-Peer-Verbindungen zwischen Nutzern. Aber wer will sich schon in technischen Details aufhalten …

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