«Wir haben keine Angst. Wir werden die Wahrheit erzählen.»
Die Schlagzeile auf dem Aushang am Kiosk sprang mich an. «Sie haben Asyl verlangt und Drogen gedealt.» Das hatte ich doch schon einmal gelesen. Zuhause, in der Schweiz. Zuerst waren es Tamilen, dann ex-Jugoslawen, dann Nigerianer, wie hier.
Ich hatte mich fünf Tage lang – drei Arbeitstage und ein Wochenende – der Kultur und der Behebung einer Reifenpanne gewidmet. «Die Situation ist dramatisch», war der Standardsatz über die Lage in Wirtschaft und Politik, den ich in diesen italienischen Tagen immer wieder hörte, vom Abschleppunternehmer, vom Hotelier in der Emilia und der Gastgeberin in der Toscana, und schliesslich vom Autohändler in Arezzo. Dort wurde der kleine Schaden schliesslich behoben.
Schwerer Stoff
Ich entschloss mich, nun doch noch einen Blick in die Presse Italiens und der Toscana zu werfen, nachdem ich fünf Tage lang die Landschaft, die Kultur und die Begegnung mit den Menschen genossen, keine Zeitung geöffnet und keinen Fernseher angeworfen hatte. Also stand ich auf und ging vom Kaffeetisch auf der einen zum Kiosk auf der anderen Seite der Strasse. Der Corriere di Arezzo, ein kleines Provinzblatt, hatte mit der provozierenden Schlagzeile geworben.
Die Geschichte der nigerianischen Drogenhändler hat die Zeitung vom Titel gut sichtbar weitergezogen auf Seite 5, dramatisch aufgebaut, denn es war «nichts zum Rauchen sondern schwerer Stoff, Kokain und Heroin». Dann noch ein bisschen Body and Crime: Eine Regisseurin des italienischen Staatsfernsehens RAI hatte die Polizei alarmiert und war deswegen von den jugendlichen Kriminellen belästigt und bedroht worden. Italiens neo-rassistischer Innenminister Matteo Salvini (Lega) würde sie in Arezzo besuchen, berichtete sie, um die Missstände in der toskanischen Provinz zu besichtigen und öffentlich zu besprechen.
Und auf Seite 4, gleich neben den Drogendealern und der Fernsehfrau, finden wir das Foto desselben Salvini mit Frankreichs Marine Le Pen, der Chefin des Rassemblement National, die strahlend verkünden: «Hier entsteht die Front der ‹Souveränisten› gegen das Europa, das die Menschenwürde zertrampelt hat.»
Der Corriere della Sera zeigt das gleiche Paar mit der Ankündigung: Bei den Europawahlen «im Mai 2019 wird es eine Revolution geben.» Was das heisst, beschreibt am gleichen Tag die Repubblica: «Der Pakt Salvini-Le Pen dient dazu, die Europäische Union aus den Angeln zu heben.» Ihre Fraktion «Europa der Nationen und der Freiheit» will im EU-Parlament mit den in ganz Europa wachsenden rechtsnationalen Kräften zusammen mit Verbündeten in der Fraktion der Europäischen Volkspartei wie dem Ungarn Viktor Orban die Linke bei den Wahlen im Mai 2019 ausschalten. Die nationalistische Rechte soll mit den nach rechts getriebenen «Volksparteien» wie der CDU und der CSU und den fremdenfeindlichen Parteien in Nord- und Osteuropa die Schlüsselstellen besetzen und die Rückkehr zum alten Nationalstaat der weissen Europäer in Gang setzen.
Um das zu erreichen, muss auch Italiens Regierung ihre Macht sichern. Das heisst unter anderem: Sie muss die kritische Presse zum Schweigen bringen. Öffentliche Kritik kann die Regierungskoalition von Cinque Stelle und Lega auch darum nicht gebrauchen, weil sie in diesen Tagen einen Konflikt mit der Europäischen Union provoziert. Sie will Italiens Schuldenberg erhöhen anstatt ihn zu senken, wie es mit der EU vereinbart wäre.
Medienkrieg all’Italiana
Also hat die rechts-nationale Regierung den Kampf gegen die kritische Presse wie Repubblica und L’Espresso noch einmal verschärft. Vizepremier Luigi di Maio (Movimento Cinque Stelle – M5S) hat dazu wie Donald Trump die sozialen Medien zu einem Frontalangriff benützt.
Di Maio hat auf Facebook und Audiweb 2.0 erklärt: «Zum Glück sind wir geimpft gegen die Enten und Fake News der Zeitungen, und immer mehr Bürger impfen sich dagegen, sodass etliche Blätter im Sterben liegen, unter ihnen die Gruppe von L’Espresso, und, so leid es mir tut für die Arbeitenden, sie bereiten Personalabbau vor, weil sie niemand mehr liest, da sie ihre Zeit damit verbringen, die Wirklichkeit zu verfälschen, anstatt diese Wirklichkeit darzustellen.»
Das ist die Arroganz völliger Unkenntnis, könnte man feststellen, und zur Tagesordnung übergehen. Aber di Maio geht es nicht um Tatsachen, es geht ihm um die Zerstörung des Vertrauens. Er betreibt das wie seine Freunde aus der Koalition mit der Lega mit zielbewusstem System. Sonst müsste er gestehen, dass die Repubblica die grösste Reichweite unter den italienischen Zeitungstiteln und einen bemerkenswerten Zuwachs bei den Online-Abonnementen hat. Er könnte auch nicht damit drohen, den Zeitungen die staatliche finanzielle Unterstützung zu streichen, denn solche Unterstützung gibt es nur noch für Pfarreiblätter und für Titel, die als Genossenschaft oder Stiftung organisiert sind. Auch die Gruppe L’Espresso gibt es seit zwei Jahren nicht mehr. Aber die Behauptung, die Zeitungen würden vom Staat unterstützt, soll den Eindruck erwecken, die Presse liesse sich kaufen.
In Wirklichkeit sind La Repubblica und L’Espresso Teil der grössten, auch international vernetzten Mediengruppe Italiens (Gedi bzw. CIR SpA), hinter der die grossindustriellen Familien de Benedetti und Agnelli stehen (mit dem Agnelli-Erben John Elkann an der Spitze). Die Gruppe ist in allen Medienbereichen tätig und verfügt gewiss über ausreichendes Investitionskapital. Das gewährleistet Unabhängigkeit vom Staat – und produziert die Gefahr von Interessenkonflikten, auch wenn John Elkann für seine Medienaktivitäten sich ausdrücklich auf Qualitätsjournalismus verpflichtet.
Eine echte betriebswirtschaftliche Belästigung könnte hingegen ein Eingriff der Regierung in den Werbemarkt sein. Beispiele dafür haben die autoritären Regierungen in Polen oder Ungarn geliefert. Die Regierenden in Italien wollen nun ebenfalls mehr Transparenz über die Werbeauftraggeber der Gedi/CIR-Medien herstellen. Das würde es ihnen erleichtern, Firmen mit Interesse an Staatsaufträgen davon abzuhalten, an Printprodukte wie Repubblica, La Stampa, L’Espresso und zahlreiche andere Werbeaufträge zu vergeben. Die Leitungen von Repubblica und L’Espresso lassen durchblicken, dass sie da und dort schon eine gewisse Zurückhaltung wahrnehmen.
Der Medienkrieg in Italien treibt auf einen neuen Höhepunkt zu.
Industrielle für Pressevielfalt
Der politische Machtkampf um die Medien ist nicht neu. Der italienisch-schweizerische Doppelbürger Carlo de Benedetti, der mit seiner Familie im Zweiten Weltkrieg in die Schweiz geflüchtet war, konnte 1991 La Repubblica und L’Epresso bei der Aufgliederung des grossen Medienhauses Mondadori im Kampf mit Berlusconi für sich gewinnen, musste dem Konkurrenten aber das Fernsehen mit seiner politischen Durchschlagskraft überlassen. Medien als Mittel politischer und wirtschaftlicher Macht.
Solche politische Instrumentalisierung hat in Italien von jeher die Unabhängigkeit der Medien gefährdet, und heute steht Italien auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen gerade mal auf Platz 41. Über die Gründe für diese schlechte Position streiten sich die Italiener selber. Die angesehene Zeitschrift Prima comunicazione sieht dafür drei Gründe:
– Es fehlen reine Verleger, die nicht massive Interessen in der Wirtschaft oder der Politik zu vertreten haben.
– Es fehlt ein echter Schutz des Berufsstandes, der die Freiheit der Journalisten gewährleistet.
– Es fehlt eine öffentliche Finanzierung der Medien, die ohne einschränkende Bedingungen fliesst wie ein befruchtender Regen. Das ist die wissenschaftliche Analyse.
Der Praktiker sieht es noch etwas schärfer. In einem offenen Brief an den Unterstaatssekretär für Medien, Vito Crimi (M5S – Movimento Cinque Stelle) nimmt Mario Calabresi, Chefredaktor der Repubblica, diese Gründe auf, aber er findet noch ein paar wichtigere: «Wir haben eine Rekordzahl von Journalisten, die im Visier der Mafia und des organisierten Verbrechens sind. Wir haben in unserem Land eine Rekordzahl von Streitigkeiten mit den Medien, die von den Mächtigen in Wirtschaft und Politik bewusst ausgelöst werden, um die Produzenten der Information zu ängstigen. Und schliesslich haben wir in Italien den im Westen einmaligen Fall, dass üble Nachrede in der Presse als Verbrechen gilt, das mit Gefängnis bestraft wird.» Die Grenze zwischen Kritik und übler Nachrede ist häufig eine Frage des Ermessens, die nicht unabhängig ist von öffentlichen Meinungen und wechselnden politischen Stimmungen.
Genau darauf zielt die wiederholte Behauptung von Vizepremier di Maio, Parteichef Beppe Grillo und anderen Vertretern der Cinque Stelle, die Presse verfälsche die Wirklichkeit, anstatt sie korrekt darzustellen. Ist die Glaubwürdigkeit erst einmal untergraben, kann man die Existenz um so leichter angreifen. Die Beispiele dafür finden sich auf der ganzen Welt.
Billo Heinzpeter Studer, weist in seinem Kommentar in der Medienwoche zu Recht darauf hin, dass die Lega und Cinque Stelle ähnlich wie Donald Trump die klassischen Medien umgehen, indem sie sich direkt via Facebook oder eigenes Streaming an das Volk wenden. So vermeiden sie lästige Fragen von Journalisten und Journalistinnen. Davide Casaleggio, der Sohn des Mitgründers von Cinque Stelle, Beppe Grillo, verschafft sich damit gebündelte Macht. Ohne offizielle Funktion in der Bewegung führt er heute, nach gängiger Einschätzung, zusammen mit Luigi di Maio die Partei. Er kontrolliert ihre Internetplattform, hat exklusive Kenntnis über die Daten der Mitglieder und auf seiner Internetplattform finden auch die Abstimmungen der Partei statt. Damit entsteht an der Spitze der Bewegung, die von den anderen ständig Transparenz fordert, eine völlig undurchsichtige Ballung der Macht bei wenigen Personen.
Medienkrieg global
«Es sind die Meister der Propaganda und des Hasses, von Trump zu Orban und Duterte, die Luigi di Maio & Compagnie inspirieren». Diesen Titel setzt die Repubblica (am 9. Oktober 2018) über die Doppelseite, die sie den Machthabern widmet, die auf der ganzen Welt den «Krieg gegen die Journalisten» führen. Und es ist nur eine kleine Auswahl. Auf der Weltkarte der Repubblica zum Krieg gegen die Journalisten finden sich die USA und Saudi-Arabien, Mexiko, Polen, Ungarn, die Türkei – wo 100 Journalisten im Gefängnis sitzen, 160 Medien geschlossen und Tausende auf die Strasse gestellt wurden –, Venezuela, Ägypten – wo jede kritische Meinungsäusserung bestraft wird –, Kenya, die Philippinen. Und, last not least, gehören die USA dazu, mit einem Präsidenten, der Orwells «Newspeak», den «Neusprech» reaktiviert und weiter entwickelt: «Fake News» für die professionell gemachten Inhalte, «gescheiterte Medien» für Qualitätsprodukte und «alternative Wirklichkeit» für Lügen und Verfälschungen. Wir sind im «postfaktischen Zeitalter» angekommen.
Wo das nicht reicht, greift man zur Liquidation der Menschen. Diese Liste könnte beginnen mit der Ermordung des internationalen Journalisten Jamal Kashoggi im Auftrag des saudischen Regimes. Sie wird fortgesetzt mit der bestätigten Ermordung von 75 Journalisten in Mexiko seit 2010, ohne dass je ein Schuldiger gefunden worden wäre. Sie erinnert an die Autobombe, der vor zwei Jahren (16. Oktober 2016) auf Malta Daphne Caruana Galizia zum Opfer fiel, an den Mord an Anna Stepanowna Politkowskaja vor zwölf Jahren (7. Oktober 2006) in Moskau oder an die Ermordung des Enthüllungsjournalisten Jan Kuciak im März dieses Jahres in der Slowakei. Die Liste ist, so steht zu befürchten, noch nicht abgeschlossen.
Der Kampf um die Medienfreiheit ist ein Kampf mit existentiellem Einsatz. Lega und Cinque Stelle spielen ein riskantes Spiel mit starken Gegnern. Man darf annehmen: Sie tun das bewusst. Es geht um ein entscheidendes Ziel: den Sieg des Neo-Nationalismus, um nicht zu sagen, den Sieg der weissen Suprematie, des Neo-Rassismus in Europa und darüber hinaus. Nicht umsonst treibt sich auch Donald Trumps Stratege Stephen Bannon immer wieder in Europa herum. Er schmiedet am grossen Bündnis. –
Nach all der Lektüre trinke ich einen doppelten Espresso und fahre dann mit schwerem Gepäck für italienische Freunde zurück in die Schweiz. Es ist nicht sehr weit. Das heisst: Der Medienkrieg tobt in unserer Nachbarschaft.
Der aktuelle Bericht von Reporter ohne Grenzen sieht die grössten Probleme für die Pressefreieheit zurzeit noch an den Grenzen Europas, aber die Bedrohung der Pressefreiheit ist herangerückt an die Grenzen der Schweiz. Der parteipolitische Kampf in Österreich um den ORF und um die Informationsfreiheit für missliebige Journalisten sind solche Signale, und in Italien geht es um die Frage, ob die politischen und wirtschaftlichen Mächte die Medien kontrollieren oder die Medien die Macht.
Es gibt ermutigende Zeichen: In Italien haben sich Journalisten, Verbände und Verleger auf breiter Front solidarisch gezeigt und gegen die Attacken der rechtsnationalen Regierung Stellung genommen. Und der Direktor von Repubblica, Mario Calabresi, schreibt in einem offenen Brief an den Vizepremier: «Caro di Maio, non abbiamo paura. – Lieber di Maio, wir haben keine Angst. Wir werden weiter die Wahrheit erzählen – continueremo a raccontare la verità.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Wo ist ihre Stellungnahme, die in der Kritik auch berücksichtigt, dass die EU Italien dominieren will zB. mit Geldern die zurück bezahlt werden sollen, obwohl die EURO’s aus dem NICHTS hergestellt wurden und also gar keine richtîgen Schulden sein können? GEhört Ihr nun auch zum Mainstream?
@C.W.Schenkel: Was hat das mit dem Thema freie Presse zu tun? Nichts. Und im übrigen hat Italien mit dem Beitritt zur EU einen Vertrag unterschrieben. Aber das Brechen internationaler Verträge ist ja Mode. In der Schweiz wird mit einer Initiative zur Zeit versucht, den Boden für diesen Stil zu bereiten. Wehren wir den Anfängen.