Kritik am Sponsoring aus dem (TA-)Glashaus
«Wenn Sponsoren Verleger ersetzen.» So lautet der Titel eines Artikels im Tages-Anzeiger TA vom 5. August, den auch die Medien Bund und TA-Newsnet veröffentlichten. Darin kritisiert Philippe Reichen, Westschweiz-Korrespondent des TA, die «Westschweizer Leitmedien Le Temps und 24 Heures»: Diese setzten «zunehmend auf gesponserten Journalismus».
Als Beispiel unter andern erwähnte Reichen eine Sommerserie, die 24 Heures gegenwärtig über Russland und andere nordische Regionen publiziert. Die Reisen der Reporterteams seien mit insgesamt 170 000 Franken gesponsert worden, unter andern vom russischen Honorarkonsul in Lausanne, der Unternehmervereinigung Centre Patronal und weiteren Geldgebern. Einzelne Geldgeber seien auf den Teamfotos zu sehen, die 24 Heures mit den Reportagen publiziere, ebenso Firmenlogos der Sponsoren.
Steinwurf aus dem Glashaus
Mit seinem Artikel greift Philippe Reichen ein wichtiges Thema auf: Den Einfluss von Sponsoring auf journalistische Inhalte. In seiner Kritik erwähnt er auch, dass mit 24 Heures eines der «Westschweizer Leitmedien» der Verlagsgruppe Tamedia gehört; diese besitzt neben andern auch den Tages-Anzeiger, den Bund, die Sonntagszeitung sowie die Gratismedien 20 Minuten und Newsnet.
Damit missachtet Reichen – zum Glück – eine alte Volksweisheit: «Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.» Denn auch die Deutschschweizer TA-Medien profitieren davon, dass ihr Journalismus gesponsert wird. Und das schon seit Jahrzehnten. Das wissen aufmerksame Leserinnen, die jeweils den kurzen Nachsatz in Artikeln auf den Reise- und Autoseiten von Tages-Anzeiger oder Sonntagszeitung lesen. Beispiele:
- «Diese Reise wurde unterstützt von Rhomberg-Reisen», heisst es in einem Artikel im TA vom 21. April 2016. Darin beschreibt der ehemalige Bund-Chefredaktor Artur K. Vogel Korsika als «Paradies für Wanderer» und preist dazu das «ideale Basislager» bei Calvi an, ein Feriendorf, das von eben dieser Firma Rhomberg vermarktet wird.
- Unter dem Titel «Ganz weit oben» beschreibt TA-Redaktor Andreas Faust im TA vom 19. April 2016 «den Luxux-SUV Maserati Levante», der «auch im Gelände eine gute Figur» mache. Im Annex steht: «Andreas Faust fuhr den neuen Maserati Levante am 13. April auf Einladung von Maserati Schweiz in Italien.»
- Ein anderer TA-Journalist, Thomas Geiger, flog bis nach Palm Springs (USA), um mit dem «581 PS starken Honda-Sporrler NSX erste Runden in Kalifornien» zu drehen und «das messerscharfe und bitterböse Design» dieses «stärksten Honda aller Zeiten» zu bewundern. In Geigers Jubelreportage fehlt allerdings der Hinweis auf einen Sponsor. Doch es ist kaum anzunehmen, dass der Tages-Anzeiger Geigers Reise nach Kalifornien selber aus dem Redaktionsbudget finanziert hat.
Vielzahl an gesponserten Artikeln
Ob deklariert oder nicht: Pro Jahr findet man in den Tamedia-Blättern Dutzende von gesponserten Auto- und Reisereportagen. Überdurchschnittlich vertreten sind viel gerühmte Reisen in weit entfernte Destinationen und Jubelberichte über Autos mit besonders viel Gewicht und/oder vielen PS unter den Motorhauben. Unter den Sponsoren fallen viele Fluggesellschaften auf (Air China, Air France, Edelweiss-Air, Fluggesellschaft Cathay Pacific etc.), aber auch näher gelegene Tourismusorganisationen, darunter das Polnische Fremdenverkehrsamt, Meraner Land-Tourismus, Wien-Tourismus oder die Romantik-Hotels.
Tamedia-Sprecher Christoph Zimmer verteidigt diese Praxis. Ohne Unterstützung von Reiseveranstaltern und Autoherstellern wären manche Berichte über neue Modelle oder Reiseangebote «gar nicht möglich», erklärte er auf Anfrage. Wichtig sei aber, dass dieses Sponsoring transparent gemacht werde, wie das der «Code of conduct» des Verbands Schweizer Medien verlange, und wie das die Tamedia-Blätter Tages-Anzeiger und Sonntagszeitung befolgten. Der Entscheid über die Auswahl der gesponserten Beiträge und deren Inhalt liege stets in der Kompetenz der einzelnen Redaktion.
Tamedia – einst und jetzt
Auf die Frage, ob es sich die Tamedia nicht leisten könne, ihre Berichte ohne Sponsoring von interessierten Anbietern zu finanzieren, antwortete Zimmer: «Um publizistisch unabhängig zu sein, müssen Medien auch wirtschaftlich unabhängig bleiben». Mit andern Worten: Die arme Tamedia, die in den letzten Jahren dreistellige Millionengewinne verbuchte (2015: 334 Millionen Franken Reingewinn bei 1016 Millionen Umsatz), kann offenbar nicht ohne das Sponsoring ihrer Redaktionen durch die – auch nicht gerade auf Rosen gebettete – Tourismusbranche oder Autoindustrie überleben. Denn sie muss ja ihre Aktionäre mit hohen Dividenden und ihren Geschäftsführer mit einem mehrfachen Millionen-Salär bei Laune halten.
Das war nicht immer so. In den frühen 70er-Jahren habe der Tages-Anzeiger Reiseberichte noch aus dem Redaktionsbudget finanziert, erinnert sich der Aviatik-Journalist Sepp Moser, der von 1969 bis 1976 als Reise- und Nachrichtenredaktor beim TA angestellt war. Angebote von Reiseveranstaltern habe es allerdings schon damals gegeben, sagt Moser und erzählt folgendes Beispiel: Nach einer Jahrespressekonferenz habe das Reisebüro Kuoni die teilnehmenden Journalisten eingeladen, zum Mittagessen mit der DC-6 nach Venedig und wieder zurück zu fliegen. Als er, Moser, sich weigerte, bei diesem Unsinn mitzumachen, habe der damalige Kuoni-Direktor sich bei seinem Chefredaktor beklagt. Doch sein Chef habe damals seine konsequente Anti-Sponsoring Haltung unterstützt. «Der Skandal besteht darin», folgert Moser, «dass das weit verbreitete Sponsoring im Journalismus heute kein breit diskutiertes Thema mehr ist.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Und da Hausfrauen, Pflegende, Kinder und Umwelt nicht sponsern können, haben sie kein Gewicht, höchstens dekorative Funktion.
Gesponserter Journalismus ist bei tamedia-Titeln schon längst nicht mehr beschränkt auf das Reise-Ressort und die Auto-Seiten. Das aktuellste Beispiel findet sich heute, 6. August auf 20 Minuten Online. Unter dem Titel «Wie Sie Ihre Kinder zum Schulanfang überraschen» wird – im redaktionellen Teil! – in einem langen Artikel faktenfrei behauptet, mit den deutschen Einwanderern halte jetzt die Tradition der mit Süssigkeiten, Spielzeug und Schuluntensilien gefüllten Schultüten am ersten Schultag auch in der Schweiz Einzug. Die Story, die bis dato über 350 Kommentare generierte, wurde «von Commercial Publishing Tamedia in Zusammenarbeit mit Migros erstellt», heisst es am Schluss fast etwas verschämt. Ein Schelm, der hier einen Zusammenhang mit den «Back to School» (warum eigentliche englisch?)-Aktionen des orangen Riesen vermutet …
Könnte es vielleicht sein, dass sich die Medienwelt seit den frühen 70er-Jahren ein «birebitzeli» verändert hat? Zudem: Mir ist es lieber, solche Beiträge werden deklariert. Das tun nämlich nicht alle Zeitungen. Und der «Back to School"-Beitrag war so eindeutig gekennzeichnet, dass ich ihn nicht einmal angeklickt hatte. Dass das alles eine suboptimale Entwicklung ist, dem stimme ich durchaus zu. Die Zeitungen spielen da ein durchaus heisses Spiel mit ihrer Glaubwürdigkeit.
Gekaufte Zeitungen und gekaufte Journalisten, kann man da sagen. Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing.