Tamedia-Deutsch: «Da tobt die Audienz»
Kürzlich berichteten die Tamedia-Zeitungen über den Parteitag der US-Demokraten. Die US-Korrespondenten Fabian Fellmann und Peter Burghardt schrieben über Kamala Harris: «Sie sagt: ‹Ich nehme Ihre Nominierung zur Präsidentin der Vereinigten Staaten an.›» Und sie fuhren fort: «Da tobt die Audienz.»
Die Audienz? Was für eine Audienz? Wie kann sie toben?
Eine Audienz ist «ein offizieller Empfang bei einer hochgestellten politischen oder kirchlichen Persönlichkeit». So steht es im Duden. Ein Empfang kann nicht toben.
Fellmann und Burghardt haben es versäumt, das englische Wort «audience» zu übersetzen. «Audience» bedeutet nicht Audienz, sondern Publikum. Und es war natürlich das Publikum, das tobte.
Wer den Satz «Da tobt die Audienz» verstehen will, der braucht gewisse Englischkenntnisse – und ein bisschen Spürsinn.
Weiter schrieben die beiden über Harris’ «Einsatz für die Mittelklasse». Auch da hätten sie die «middle class» eigentlich übersetzen können – mit dem deutschen Begriff Mittelschicht.
Und auch die Nato – im Englischen häufig als «defence alliance» bezeichnet – hätten sie nicht mit dem kommentierenden Begriff Verteidigungsallianz übersetzen sollen, sondern mit dem neutralen Begriff Militärbündnis.
Justizpalast? In Delsberg?
Fehlübersetzungen gibt es auch aus dem Französischen. Das zeigte sich am Wochenende im «Magazin» – ebenfalls aus dem Hause Tamedia. Patrick Oberli hatte für die «Tribune de Genève» einen Artikel über den Bankräuber Marco Müller geschrieben – Bernhard Odehnal hat ihn fürs «Magazin» übersetzt. Zumindest teilweise. Für «Porrentruy» hätte er durchaus den deutschen Namen Pruntrut verwenden können, für «Delémont» den Namen Delsberg.
Odehnal schrieb also, Müller sei 1981 aus dem «Justizpalast» in Delsberg ausgebrochen. Damals gab es im jurassischen Hauptort tatsächlich einen «Palais de Justice». Aber das war keineswegs ein Palast, sondern ein schlichtes Gerichtsgebäude. So hätte auch die richtige Übersetzung von «Palais de Justice» gelautet: Gerichtsgebäude.
Auch ein «Palais des Sports» ist in der Regel kein Sportpalast, sondern eine Sporthalle. Und ein «Hôtel de Ville» kein Stadthotel, sondern ein Stadthaus oder ein Gemeindehaus.
Analystencall?
Am gleichen Tag wie über Kamala Harris berichteten die Tamedia-Zeitungen auch über Turbulenzen bei Nestlé. Wirtschaftsredaktorin Maren Meyer schilderte, was Verwaltungsratspräsident Paul Bulcke an einem «Analystencall» gesagt hatte.
Auch Meyer hat nicht übersetzt. Der Begriff Analyst ist zwar auch dem Englischen entlehnt, hat aber immerhin schon Eingang in den Duden gefunden und ist auf dem besten Weg, den deutschen Begriff Analytiker zu verdrängen. Aber der «Analystencall» von Paul Bulcke? Das ist eigentlich eine Telefonkonferenz für Finanzanalytiker. Meyer hätte das für all jene, die des Englischen nicht mächtig sind, übersetzen können.
Player?
Auch ihr Kollege Simon Schmid erachtete es offenbar als unnötig, für die Leser und die Leserinnen zu übersetzen. Er schrieb – ebenfalls zu Nestlé: «Auch bei der Tiernahrung ist Nestlé ein grosser Player.» Ein «Player» ist eigentlich ein Spieler. Allenfalls ein Schauspieler. Oder ein Musiker. Aber was mit dem «Player» gemeint war, erfuhren die Leser nicht – vielleicht hätte es Anbieter heissen sollen, Hersteller oder vielleicht auch Marktteilnehmer.
Investiert sein?
Schmid zeigte in seinem Artikel auch auf, dass wir alle von den Turbulenzen bei Nestlé betroffen sind: «Dass man direkt (als selbständiger Sparer) oder indirekt (über die Pensionskasse) in Nestlé investiert ist – das ist hierzulande nahezu sicher.» Mag sein, dass er recht hat, wenn er schreibt, wir seien von den Turbulenzen bei Nestlé alle betroffen. Aber wir sind nicht investiert. Im Gegensatz zu den Englischsprachigen, die tatsächlich «invested» sind. Wir hingegen haben Geld investiert oder angelegt.
Romantische Liebe?
Nur wenige Tage vor dem Nestlé-«Analystencall» brachten die Tamedia-Zeitungen einen Artikel, den Annika Abendschön und Irem Özkalgay für die «Süddeutsche Zeitung» verfasst hatten. Titel: «Romantische Liebe? Brauche ich nicht.» Im Artikel war von «romantischen Beziehungen» die Rede, von «romantischen Partnern» und – wie schon im Titel – von «romantischer Liebe». Fehlte nur noch die «romantische Komödie».
Das wäre übrigens eine Liebeskomödie. Aus der «romantischen Beziehung» wäre – wenn die Autorinnen tatsächlich übersetzt und nicht bloss so getan hätten – eine Liebesbeziehung geworden. Aus der «romantischen Liebe» ganz einfach Liebe. Und aus dem «romantischen Partner» ein Ehemann, ein Freund, ein Geliebter oder was auch immer. Der «Romantische Partner» kann übrigens auch gänzlich unromantisch sein.
Hexagon?
Fehl- und Nicht-Übersetzungen gibt es übrigens nicht nur in den Tamedia-Zeitungen. Auch wer gerne die «NZZ» liest, ist gut bedient, wenn er sich mit französischen Ausdrücken auskennt. Denn da stehen schon mal Sätze wie: «Wer Luxus, schöne Kleidung, grosse Wohnungen und exklusive Reisen schätzt, stösst im Hexagon immer noch auf heftige Ablehnung, vor allem bei der Linken und der klassischen Rechten.»
Ein «Hexagon» ist ein Sechseck. Wer Frankreich auf einer Karte genauer anschaut, stellt fest, dass die Form entfernt an ein Sechseck erinnert. Deshalb ist der Begriff «Hexagon» in Frankreich als Bezeichnung für das Land durchaus üblich. Aber hierzulande dürfte er für viele Leute ein Rätsel sein – auch für Leser und Leserinnen der NZZ.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Vermutlich wissen und verstehen manche Journis selber gar nicht, was sie schreiben……
Anglizismen einfach ein- statt übersetzen hat einen grossen Vorteil: Man kann es tun, auch wenn man selbst die Begriffe nicht so richtig versteht.
Das mit dem «Hexagon» musste ich beschämenderweise für mich erst mal «schnallen». Nie gehört auf Deutsch und auf Französisch nicht realisiert. Habe da wohl die falschen französischen Medien abonniert. Aber als Papagei werde ich das nun gelernt haben. So wie Sinn «machen» (make sense), statt Sinn haben («macht» keinen Sinn, weil es keinen hat) oder «Minister» statt Bundesrat, der ja ein Angestellter des Volkes ist, dessen Willen er auszuführen hat. Ja, auch die naseweisen Kollegen, die sich vom Biertisch-Kollegen unterscheiden wollen, und darum von Amts-Kollegen schwafeln: ein Kollege ist übersetzt ein «Amts-Bruder», also der Kollege im Bundesrat kein «Amts-Amts-Bruder»… Auch ich nehme mich an der Nase, weil ich stets «Hopplà» sage, was ich bei meinen Elsässer Freunden (und -innen) aufgeschnappt habe, weil es ein so praktisches Allerweltswort ist mit unendlichen Bedeutungen: also, gut so, machen wir, gehen wir, tun wir, Danke, äxgysy (excusez), Entschuldigung usw.
Sehr gut. Wir brauchen solche sprachkritischen Beiträge. Die Medien sind zürichlastig. Sie propagieren Zürich als Weltstadt. Das dringt auch in die Umgangssprache. Wer etwas auf sich hält, tut so, als ob er/sie Englisch beherrscht. Einfach lächerlich.
Nachtrag aufgrund des Mittags-Journal auf Radio SRF von heute, 3.9.2024, 13 Uhr: Politgeograf Michael Hermann wiederholte im «Tagesgespräch» mehrmals auf Dialekt: «Herruusforderig» statt Uuseforderig… Mit dieser Kontamination der schweizerischen Dialekte mit Germanismen ist der Politikgeograf beileibe schon lange nicht mehr allein. Noch komparativer aber ging es erst kürzlich ebenfalls auf SRF Radio, als Albert Röschti von «Heruuseforderige» (Herausfordungen) sprach. Werft ihnen den Sprachygiene-Fehdehandschuh hin…
Seldwyla lässt grüssen. Man ist beim Tagesanzeiger halt anglophil, wahrscheinlich meint man, dass man so weniger proviniziell ist – und ist sich nicht bewusst, dass gerade dieser affektierte Sprachgebrauch lächerlich wirkt. Auch die KI-Stimme der vertonten Artikel im Tagi spricht gewisse Wörter mit einem Akzent aus, als wäre sie englischer Muttersprache..
Meiner Meinung nach arbeiten all diese Journalisten mit automatisierten Texttools, die im englischen Sprachraum entwickelt, und daher der deutschen Sprache nicht wirklich mächtig sind. Die Beispiele erinnern mich an Google translate, da kommen auch so eigenartige Texte raus. Der Journalist hat aus kommerziellen Gründen keine Zeit für solide Arbeit, nicht mal fürs sorgfältige Durchlesen. Der Kommerz als oberstes Prinzip ist im Journalismus zu beklagen, aber ein Markenzeichen unsere Zeit. Kommerzielle Ergebnisse sind die einzigen, die zählen, alles andere ist überflüssig.