SRF-«Kuppelkids»: gesetzwidrig und jugendgefährdend
Man glaubt es kaum: In der Sendung «Kuppelkids» von Fernsehen SRF haben Kinder den Auftrag, für ihre alleinerziehenden Väter und Mütter eine Partnerin oder einen Partner zu finden. Infosperber kritisierte die erste Staffel der Sendung vor einem Jahr heftig. Inzwischen hat SRF eine zweite Staffel ausgestrahlt.
«Liebesglück in den Händen der Sprösslinge»
Die Sendung ist verstörend. Der Plan laut SRF: «Elternteile wagen in der Reihe ‹SRF Kuppelkids› das Experiment und legen ihr Liebesglück in die Hände ihrer Sprösslinge. Mit ihrem unverstellten Blick versuchen die Kinder, einen neuen Partner oder eine neue Partnerin für ihre alleinerziehenden Eltern zu finden. Denn das grosse Glück zu finden, ist für Alleinerziehende oft alles andere als einfach.»
Da tummeln sich dann Primarschüler auf Dating-Plattformen. Laden Profile von Mama oder Papa hoch. Beurteilen Kandidaten und Kandidatinnen. Wählen sie aus. Treffen sie. Und arrangieren schliesslich ein Rendez-vous mit Mama oder Papa. Die Kinder überlegen, was ihre alleinerziehenden Eltern brauchen: Eine Jüngere? Einen, der gerne wandert? Oder eine, die gut kocht?
Infosperber warf vor einem Jahr viele Fragen auf:
- Wie, um alles in der Welt, kommt jemand auf die Idee, eine solche Sendung zu produzieren?
- Gibt es bei SRF niemanden, der interveniert?
- Warum spannt SRF die Kinder für die Partnersuche ein?
- Warum suchen die Eltern nicht selber?
- Warum lässt SRF die Kinder über Haarfarben debattieren?
- Über das ideale Alter?
- Über die Körpergrösse?
- Warum lässt man sie in bester Shopping-Manier auf Dating-Portalen suchen?
- Was haben Neunjährige dort verloren?
- Und warum ist nur ein einziges Mal die Rede vom abwesenden Elternteil?
- Wie wird es den Kindern auf dem Pausenplatz ergehen, wenn die Schulkameraden die Sendung gesehen haben?
- Wie werden sie in ein paar Jahren über die Sendung denken, wenn sie im Internet immer noch verfügbar ist?
«Neuer Ansatz»
SRF ging damals auf die Kritik nicht ein, sondern stellte bloss fest: «‹Kuppelkids› stellt bewusst alleinerziehende Eltern in den Fokus. Es gibt in der Schweiz gut 200’000 alleinerziehende Haushalte; das bedeutet jede sechste Familie.» SRF dokumentiere die Partnersuche «mit einem neuen Ansatz». Und: «Die Kinder und Jugendlichen werden in diesem Prozess von einer erwachsenen Vertrauensperson begleitet.»
«Emotionaler Missbrauch»
Anders sah es eine Infosperber-Leserin. Sie beanstandete «Kuppelkids» bei der Ombudsstelle der SRF-Deutschschweiz. Sie kritisierte die so genannte Parentifizierung.
Parentifizierung bedeutet: Zwischen Eltern und Kindern findet eine Rollenumkehr statt. Die Kinder bekommen eine Elternrolle. Sie sind überfordert, verlieren wegen der unangemessenen Erwartungen ihre Spontaneität, ihre Lebhaftigkeit, ihre Sorglosigkeit. Sie entwickeln zu hohe Anforderungen an sich selbst. Folgen können Isolation sein, Einsamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl, Verhaltensauffälligkeiten, intellektuelle Beeinträchtigungen, Suizidgedanken, Essstörungen, Drogensucht.
Für die Leserin ist klar: «Es ist ein emotionaler Missbrauch und damit eine Form von Gewalt.»
SRF begreift nicht
SRF machte in seiner Stellungnahme gegenüber der Ombudsstelle nochmals Werbung für «Kuppelkids»: «Es ist eine Tatsache, dass viele alleinerziehende Elternteile Probleme haben, einen neuen Partner oder eine neue Partnerin zu finden. Das Format ‹SRF-Kuppelkids› zeigt dieses Problem auf eine spielerische und unterhaltsame Art.»
Die Sendung könne «auf den ersten Blick als Rollenumkehr im Sinne der Parentifizierung betrachtet werden. Allerdings ist dies eine kurze und transparente Rollenumkehr, die stets begleitet von erwachsenen Vertrauenspersonen erfolgt.»
Und im übrigen handle es sich «beim Format um eine Adaption von Formaten der öffentlich-rechtlichen Sender aus Grossbritannien» – Channel 4 («Date my Mum») und ITV («My Mom, your Dad»).
Ombudsstelle lässt kein gutes Haar an der Sendung
Für die Ombudsstelle ist das überhaupt kein Argument. Sie bezeichnet «Kuppelkids» in ihrer Stellungnahme als «fragwürdig»: «Dass es sich bei diesem Format offenbar um die Adaption eines Formats öffentlich-rechtlicher Sender in Grossbritannien handelt, ändert daran nichts. Selbstverständlich erweist sich der Inhalt einer Sendung nicht bereits deshalb als zulässig, weil diese in gleicher oder ähnlicher Form in einem ausländischen Sender ausgestrahlt wurde.»
Die Ombudsstelle lässt kein gutes Haar an der Sendung: «Im Zentrum der Sendung steht der reine Unterhaltungseffekt: Eine für Kinder oft heikle und anspruchsvolle Situation wird so zum ‹Spiel› umfunktioniert und die oft schwierigen emotionalen Fragestellungen werden weitgehend ausgeblendet.»
Die Sendung lasse «die dem Thema angepasste Ernsthaftigkeit völlig vermissen, zumal in einem der ‹Kuppelfälle› auch ein Kind von erst sieben Jahren in der Rolle als ‹Kuppelkid›» mitwirke.
Verstoss gegen den Jugendschutz
Laut der Ombudsstelle verstösst SRF mit den «Kuppelkids» gegen «den Jugendschutz gemäss Artikel 5 des Radio- und Fernsehgesetzes». Dieser schreibt vor, dass Sender dafür sorgen, «dass Minderjährige nicht mit Sendungen konfrontiert werden, welche ihre körperliche, geistig-seelische, sittliche oder soziale Entwicklung gefährden».
Dazu reiche der Sendeplatz um 21 Uhr nicht aus. Denn die Sendung könne auch im Internet angeschaut werden. «Zudem erwecken» nach Ansicht der Ombudsstelle «die beanstandeten Sendungen auch von ihrer Aufmachung und Titelgebung her den Eindruck, dass sie sich auch an Kinder und Jugendliche richten.»
«SRF nimmt zur Kenntnis»
SRF schreibt auf Anfrage von Infosperber bloss: «SRF nimmt den Schlussbericht zur Kenntnis und wird sich damit intern auseinandersetzen.» «Kuppelkids» werde nicht weitergeführt. Das habe schon vor dem Entscheid der Ombudsstelle festgestanden. Denn «Kuppelkids sei «ein vergleichsweise aufwendiges und teures Format». Zudem seien die Einschaltquoten unbefriedigend gewesen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Meines Wissens ist der Sachverhalt bezüglich der britischen Vorlageformate von der Ombudsstelle und im Artikel selber ungenau wiedergegeben:
– Channel 4 ist – wie richtig vermerkt – ein öffentlich-rechtlicher Sender, der sich allerdings ausschliesslich durch Werbung finanziert.
– ITV hingegen ist eine konzessionierte kommerzielle Senderkette.
Für mich erschreckend ist die Oberflächlichkeit, mit der sich die zuständigen Stellen des SRF mit den Fragen von Infosperber umd im Rahmen der Stellungnahme an den Ombundsmann zum Sachverhalt äussern. War hier die PR-Abteilung federführend?
«Kuppelkids» Weine ich keine Träne nach. Die Probleme alleinerziehender Familien verdienen eine sorgfältige, differenzierte Herangehensweise, wie es zum Beispiel in einer Dokumentation möglich wäre. Chapeau für die Ombudsstelle, die sich der Meinung der Redaktion widersetzt hat.
Die SRG zeigt hier exemplarisch, dass sie ihren Auftrag nicht ansatzweise begriffen hat. Denn oberflächliche und teils primitive ausländische Sendungen zu kopieren, gehört sicher nicht dazu. Das hat nichts mit Information oder Kultur zu tun. Solchen Blödsinn macht nur ein (Staats-) Unternehmen, welches mit (öffentlichen) Geldern um sich werfen kann.
Dass Parentifizierung Kinder und ihre Entwicklung schwer belasten kann, wissen wir aus der psychologischen Forschung schon seit Jahrzehnten. Das gilt z. B. im Fall von elterlichen psychischen Krankheiten, Armut, Belästigung von aussen etc. Das hätte sich SRF schon von Anfang an von Psychologinnen und Psychologen sagen lassen können.
Was das Ganze jetzt noch schlimmer macht: Zuschauende naive Eltern können durch solche Sendungen gar erst auf die Idee kommen, ihre Kinder mit solchen und ähnlichen Aufgaben, die ihrem Alter nicht zuträglich sind, zu belasten.