orban_2017

Schützt seine Macht via Medien: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban 2017 auf Besuch in Estland. © cc-by Annika Haas

«Softzensur»: Viktor Orbáns Staatsmedienapparat

Pascal Sigg /  Regulieren, konzentrieren, kontrollieren: So machte sich Viktor Orbán Ungarns Medien in einem Jahrzehnt untertan.

Heute tritt Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán auf Einladung von Weltwoche-Chef Roger Köppel in Zürich auf. Mit dabei: Zahlreiche SVP-Exponenten wie die beiden ehemaligen Bundesräte Christoph Blocher und Ueli Maurer. «Die Schweiz, Ungarn und die ‹Weltwoche› verbindet vieles, nicht zuletzt die Freiheitsliebe und der Respekt vor anderen Meinungen», sagte Roger Köppel gegenüber 20 Minuten.

Rechtlicher, regulatorischer und wirtschaftlicher Machtmissbrauch

Köppels Äusserung ist allermindestens bemerkenswert. Denn Orbán selber beschneidet die Freiheit seiner politischen Gegner und verwehrt ihnen teilweise freie Meinungsäusserung auf raffinierte Weise. Seit 2010 hat der Chef der regierenden Fidesz-Partei nämlich die Medienlandschaft umgekrempelt und systematisch weitgehend unter Staatskontrolle gebracht. Die ungarische Medienforschungsagentur Mérték spricht von Soft-Zensur.

Vor den Parlamentswahlen im letzten Jahr schrieb das International Press Institute in seinem Bericht zum Zustand der ungarischen Medien: «Fidesz hat das umfassendste Modell der Medieneroberung verfolgt, das jemals in der EU entwickelt wurde.» Die Regierungspartei habe rechtliche, regulatorische und wirtschaftliche Macht koordiniert ausgenutzt, um die Kontrolle über die öffentlichen Medien zu erlangen, private Medien in den Händen von Verbündeten zu konzentrieren und den Markt zum Nachteil des unabhängigen Journalismus zu verzerren.»

Drei Aspekte waren besonders wichtig für diese grossflächige Unterwerfung des Journalismus:

  • Direkte Regierungskontrolle über neue Medienbehörde

In den Parlamentswahlen 2010 erreichte das Bündnis aus Fidesz und Christlich-Demokratischer Volkspartei die Zweidrittelmehrheit. Bereits drei Monate nach den Wahlen präsentierte es eine überraschend weitgehende Verfassungsrevision und Gesetzesentwürfe, welche eine Reorganisation der bisherigen Medienbehörden vorsahen. In einem zweijährigen Prozess, den unter anderen der Politikwissenschaftler Robert Csehi beschreibt, wurden bisher separate Behörden zusammengelegt und ein neuer, fünfköpfiger Medienrat geschaffen. Dessen Mitglieder bestimmt die Regierung. Der Rat erhielt die Kompetenzen, Radio- und TV-Frequenzen zu verteilen, bei Verstössen gegen die Medienregulierung – wie nach seiner Meinung zu wenig ausgewogene Berichterstattung – Strafen auszusprechen und die öffentlich-rechtlichen Medien zu führen. Die Regierung nahm darauf kosmetische Änderungen am neuen Gesetz vor. Ein OSZE-Bericht von 2011 verurteilte die neue Medienregulierung aber scharf.

  • Kontrolle über traditionelle und lokale Medien

Die Kontrolle über die Medienbehörde gab Fidesz wichtige Macht bei der Umstrukturierung der Medienlandschaft. Denn der Medienrat musste auch über Verkäufe und Fusionen privater Medienunternehmen befinden und konnte so die Eigentumsverhältnisse zahlreicher bisher von der Regierung unabhängiger Medienunternehmen beeinflussen. Eigentlich hatte der Rat die Aufgabe, grosse Medienmonopole zu verhindern. Doch er tat das Gegenteil.

Zwar lehnte der Rat 2011 eine Fusion von Ringier und Axel Springer in Ungarn ab. 2014 genehmigte er aber Mediaworks, das einem regierungsnahen Geschäftsmann gehörte, die Portfolios von Ringier und Axel Springer zu kaufen. Und 2016 erlaubte es dem Unternehmen, sich weitere Regional- und Lokalblätter einzuverleiben. Zwischen 2010 und 2018 verliessen acht ausländische Besitzer den ungarischen Medienmarkt und verkauften Anteile an Medienunternehmen im Wert von über 200 Millionen Euro in ungarische Hände.

Die neue Medienkonzentration gipfelte in der Gründung der Zentraleuropäischen Presse- und Medienstiftung (KESMA) im November 2018. Das Medienkonglomerat unter Regierungskontrolle versammelt mehr als 400 Medientitel – darunter alle täglich erscheinenden Regionalzeitungen und Radiostationen. Der letzte kritische Radiosender, Klubrádió, verlor seine Lizenz nach Intervention des Medienrats 2021. Die öffentlich-rechtlichen Medien unterstehen direkter Regierungskontrolle. Orbáns Vertraute diktieren auch die Berichterstattung der staatlichen Nachrichtenagentur. Einzig online überleben regierungskritische Medien, doch ihre Reichweite ist beschränkt und sie kämpfen laufend mit finanziellen Problemen.

  • Kontrolle über Werbeanzeigenmarkt

Mit ein Grund dafür ist, dass die Regierung auch den Werbeanzeigenmarkt dominiert. Der Staat ist der grösste Werbetreibende Ungarns und hat seine Ausgaben in diesem Bereich laufend gesteigert. Inzwischen macht er etwa einen Drittel des Marktes aus. Mit ihrer Werbung belohnt die Regierung gezielt unkritische Medienmarken. Im Februar 2021 beschwerten sich 15 Journalismusorganisationen bei der EU-Wettbewerbskommissarin Margarete Vestager über die diskriminatorische Verteilung von Werbegeldern in Ungarn und warnten vor einem ähnlichen Vorgehen der nationalistischen Regierung Polens.

Diese Medienmacht dürfte direkte Auswirkungen auf die Parlamentswahlen von letztem Jahr gehabt haben. Fidesz schnitt gerade bei den Gruppen, welche über Onlinemedien schlecht zu erreichen sind, am besten ab. Die Partei ist besonders auf dem Land und in älteren Wählergruppen sehr populär, hat in den grossen Städten aber einen schweren Stand.


Weiterführende Informationen

Arte-Doku über Orbáns Aufstieg, die Kontrolle der Medien und den Konflikt mit der EU (2020)

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Bildschirmfoto20120107um17_56_48

Die Demokratien im Stress

Die Finanz- und Politkrisen setzen den Demokratien im Westen arg zu. Auch mit der Gewaltenteilung haperts.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.
Portrait Pascal.Sigg.X

Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

14 Meinungen

  • am 22.11.2023 um 11:26 Uhr
    Permalink

    Ich finde es nicht konstruktiv, gelinde gesagt, dass der Infosperber hier in das EU-Treiben (inkl. PR-Film «Hallo, Diktator», der für mich im Gegenteil wesentliche Vertreter des Westens widerspiegelt) gegen Orban einstimmt, der sich bewundernswerterweise dem mich beängstigenden «Gleichschritt» der EU(SA) ziemlich widersetzt. Ich sehe das Problem nicht im Widerstand à la Orban, sondern in der Promotion à la Sanna Marin (Young Global Leader), die Finnland in die USA-Nato «leaderte».

    • Portrait Pascal.Sigg.X
      am 22.11.2023 um 12:51 Uhr
      Permalink

      Der Artikel handelt nicht von der EU. Und im Film geht es höchstens darum, ob die EU einem antidemokratisch regierten Mitgliedsland Bedingungen stellen kann.

      • am 23.11.2023 um 00:05 Uhr
        Permalink

        Ich kann mit Ihrer Antwort nichts anfangen. Ich halte an meinem Text fest. Ich finde, Ihr Artikel ist gegen Orban. Und die EU ist es auch gemäss verschiedener Mainstreammedienberichte. Die PR-Filme gegen Orban und jene seitens/über Nawalny (Kinofilm; angeblicher «Palast für Putin»; etc.) kann ich kaum unterscheiden (für mich ein Strickmuster). Wenn es wirklich nicht um die EU ginge und wenn es wirklich um Meinungsfreiheit ginge, wären dann Ukraine (inkl. vor 2022) & Co. nicht weit dringendere Kritikziele für Journalisten? Ich sehe die Meinungsfreiheit auch in der Schweiz (und äh… sogar im Infosperber) nicht unangetastet.

      • Portrait Pascal.Sigg.X
        am 23.11.2023 um 09:47 Uhr
        Permalink

        Besten Dank, der Artikel kritisiert allerdings nicht Orbàn an sich, sondern seine Art des Machtmissbrauchs. Dass auch die EU ihre Probleme damit hat, zeigt der Film, auch wenn die EU selbstredend noch andere Interessen hat. Die Meinungsäusserungsfreiheit ist halt nirgendwo vollkommen unangetastet – das ginge gar nicht. Sie muss überall verhandelt und verwaltet werden. Deshalb stellen sich immer die Fragen, wie das geschieht, zu welchem Zweck und zu wessen Vorteil. Infosperber ist da selbstverständlich auch keine Ausnahme.

      • am 24.11.2023 um 19:56 Uhr
        Permalink

        @Pascal Sigg Ich widerspreche dem und der Praxis von Infosperber und weise hin auf: humanrights.ch Meinungsäusserungs- und Informationsfreiheit – Rechtsquellen. Zumal der Infosperber selbst hier titelt «Softzensur» gegen Orban.

      • Portrait Pascal.Sigg.X
        am 24.11.2023 um 22:04 Uhr
        Permalink

        Auch die Menschenrechte kennen «legitime Einschränkungen» der Meinungsäusserungsfreiheit. Und Infosperber ist keine Regierung.

  • am 22.11.2023 um 17:15 Uhr
    Permalink

    Orban-Bashing ist bei den westlichen Politikern und Medien en vogue. Ich bin nicht im Detail informiert, wie der ungarische Ministerpräsident sein Land regiert. Aber feststeht, sein Motto ist «Hungary first». Daran kann ich nichts Verwerfliches erkennen, im Gegenteil. Während D und die anderen EU- bzw. Natostaaten blindlings den USA folgen, egal welche Auswirkungen das auf die eigene Bevölkerung und deren Lebensstandard hat (z. B. Bumerang-Sanktionen gegen Russland), versucht der ungarische Ministerpräsident, die Nachteile für sein Volk so gering wie möglich zu halten (was ja eine originäre Aufgabe von gewählten Regierungen ist). Da sollte man die eine oder andere Aussage nicht auf die Goldwaage legen. Den vielbeschworenen «Rechtsruck» kann ich in Ungarn nicht erkennen, da gibt es in D Schlimmeres.

  • am 22.11.2023 um 17:41 Uhr
    Permalink

    Positiv ist immerhin, dass Ungarn eines der wenigen europäischen Länder ist, dass sich kaum der US-Propaganda unterordnet. Da die USA fast überall auf der Welt Kriegspartei sind, ist es für eine Berichterstattung über diese Kriege wichtig, sich von internationalen, US-dominierten Medienkonzernen oder deren deutschen (und schweizerischen) Freunden oder besser gesagt Untertanen zu lösen (konkret: Axel Springer und Ringier).

  • am 22.11.2023 um 23:06 Uhr
    Permalink

    Das ist alles richtig und wichtig, aber: In Griechenland sind die Verhältnisse deutlich schlimmer. Dass immer nur Ungarn kritisiert wird (teils auch Polen), zeigt, dass es die politische Richtung ist, die nicht passt.Es sind nicht die antidemokratischen Tendenzen, die stören.
    Die griechische Verfassung garantiert, dass Politiker ihre eigenen Richter sind. Wer Ungarn und Polen kritisiert, wer diesen beiden Ländern fehlende Rechtsstaatlichkeit vorwirft, müsste im gleichen Atemzug die komplette Erodierung der Pressefreiheit in Griechenland kritisieren und die Abschaffung des relevanten Artikel 86 der griechischen Verfassung fordern. Alles andere wirkt heuchlerisch und voreingenommen oder ist von politischen Hintergedanken und Voreingenommenheit geprägt. Heute geht es in Sachen Pressefreiheit, Unabhängigkeit der Justiz und Grundrechte in Hellas um 180 Grad in die falsche Richtung. Das interessiert niemanden, weil das Land wie während der Diktatur 1967-74 ein treuer NATO-Partner ist.

    • Portrait Pascal.Sigg.X
      am 23.11.2023 um 09:56 Uhr
      Permalink

      Danke, ich schaue mir das gerne an. Es ist aber halt schon so, dass man betr. Medienfreiheit immer über vieles schreiben könnte und es nicht der griechische Präsi war, der gestern in Zürich gefeiert wurde.

  • am 23.11.2023 um 20:51 Uhr
    Permalink

    Das habe ich verstanden. Mein Punkt war aber: Bei der Kritik an Orban geht es insbesondere Brüssel und den Leitmedien nicht um Menschenrechte und Pressefreiheit. Das ist nur vorgeschoben. Es geht darum, seine Politik zu torpedieren, die sich in vielem von dem unterscheidet, was die Mainstreammedien und die EU von ihm erwarten.

  • am 23.11.2023 um 22:17 Uhr
    Permalink

    Es ist interessant in anderen Kommentaren zu lesen, wie Orbán dafür bewundert wird, dass er sich gegen zuviel Einflussnahme durch z.B. die USA wehrt. Ich kann das Argument nachvollziehen insoweit ich auch der Meinung bin, die USA verbreiteten eine Ideologie, die schon längst nicht mehr für Freiheit einsteht, sondern zunehmend Ultra-US-nationalistisch ist. Das Problem ist nur, dass dagegen ein faschistoider Nationalismus wie in Ungarn u.a. das falsche Mittel ist. Das richtige Mittel wäre eine selbstbewusste und unabhängige Demokratie, die diesen Namen verdient. Die Schweiz war einmal unterwegs in die richtige Richtung. Da war man stolz, bei einem Staatsbetrieb wie der SBB oder PTT zu arbeiten und an diesem Gemeinschaftswerk mitzubauen. Da gab es folgerichtig auch ein Staatsradio und -fernsehen, das, wie sein Vorbild BBC kritisch und unabhängig war. Zu kritisch für einige, warum es von innen und aussen systematisch demontiert wurde bis zu seinem heutigen traurigen Zustend.

    • am 24.11.2023 um 15:37 Uhr
      Permalink

      @Daniel Wacek Danke. Offensichtlich widerlegen Sie mit Ihrem zweiten Textteil Ihren ersten Textteil. Von «wäre» und «wenn» – vgl. «Wenn das Wörtchen wenn nicht wär›, wär› (…)» – wird die Welt nicht gerettet (sondern wie Sie richtig schreiben, die Schweiz real weniger gut, «bis zu seinem heutigen traurigen Zustand». Beispiel Crypto-AG in Zug. Ich sehe für die Schweiz einen gewaltigen Kurswechsel dringend indizert.
      Ergo, solange nicht der Beleg erbracht ist, dass es real eine bessere Methode gibt als die von Orban, setze ich ihn als Massstab der Résistance.

  • am 24.11.2023 um 19:38 Uhr
    Permalink

    Die Kritik an Ungarn ist richtig, aber sie greift viel zu kurz, denn auch in vielen anderen liberal-demokratischen Ländern läuft viel zu vieles falsch, sowohl bei öffentlich-rechtlichen als auch privaten Anbietern, bei Kontrolle, bei Qualität, bei Pluralität, bei Objektivität und Eigentumsverhältnissen.

    Grob gesagt dürfte es weder eine staatliche noch private Medienkonzentration geben, sämtliche Angebote und Eigentumsverhältnisse müssten von einem unabhängigen und öffentlichen Gremium, wobei mit “öffentlich” weder die Regierung, Parteien noch private Medien und Presse gemeint sind, kontrolliert werden.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...