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«0,000000001», zählt Jannik Sinner an seinen Fingern ab. Aber was? Kilo? Gramm? Milligramm? © ESPN

Sinner spielt mit Zahlen statt mit Racket – Medien spielen mit

Marco Diener /  Tennisspieler Jannik Sinner rechnete vor, wie wenig Dopingmittel er intus hatte. Viele Medien verrechneten sich.

Gleich zwei Mal blieb der Italiener Jannik Sinner, der gegenwärtig beste Tennisspieler der Welt, im März in einer Dopingkontrolle hängen. In seinem Urin hatten Dopingfahnder das anabole Steroid Clostebol gefunden. Clostebol dient dem Muskelaufbau und der Erholung.

Was dann folgte, kann stimmen. Oder auch nicht.

Sinner und seine Anwälte erklärten den positiven Dopingbefund so: Sinners Physiotherapeut habe sich geschnitten und die Wunde mit einem Spray behandelt, der Clostebol enthält. Bei der Massage sei dann Clostebol von den Fingern des Physiotherapeuten in Sinners Körper gelangt.

Mit dieser Erklärung kam Sinners Team bei der International Tennis-Integrity-Agency (Itia) durch. Sinner wurde nicht gesperrt. Entsprechend selbstbewusst zeigte er sich an einer Pressekonferenz anlässlich des US-Opens in New York.

Er sagte: «Wir müssen die Menge sehen, die ich in meinem Körper hatte, das waren 0, …» Er zögerte kurz. Dann nahm er seine Finger zu Hilfe: «… 000000001. Da sind also viele Nullen, bevor eine Eins kommt.» (Hier ab 7:45.)

Was Unsinn war. Denn:

  • Erstens hatten die Dopingfahnder das Steroid nicht in seinem Körper, sondern in einer Probe seines Urins gefunden.
  • Und zweitens nannte Sinner keine Grösseneinheit.

Wahrscheinlich hatte er bewusst zu diesem kleinen Trick gegriffen. Seine gewieften Anwälte hatten ihm wohl dazu geraten. Jedenfalls rechnete Sinner in Gramm pro Milliliter. Das ist etwa so, als würde man sagen, es steckten 0,0013 Kilo Salz in einem Kilo Brot. Das klingt auch nach wenig.

Trotzdem zeigten sich viele Journalisten beeindruckt von den vielen Nullen, die Sinner da aufzählte (er vergass übrigens eine). Dabei hätten sie im Itia-Bericht nachschauen können. Dort steht – wie üblich – die Menge pro Milliliter. Bei Sinner waren es 100 Picogramm pro Milliliter Urin. Die 100 Picogramm sind auch nicht sonderlich anschaulich. Aber immerhin noch besser als Sinners viele Nullen.

Doch der Italiener hatte Erfolg mit seinem Verwirrspiel. Viele Journalisten übernahmen die Zahl mit den acht Nullen hinter dem Komma, um zu zeigen, wie gering die gefundene Substanz war. Und einige verrechneten sich auch noch:

  • Die Tamedia-Zeitungen nannten eine Menge von 0,000000001 Gramm pro Milliliter. Da fehlte eine Null hinter dem Komma.
  • Die ARD-Sportschau sprach von 0,000000001 Prozent. Das war hingegen eine Null zu viel hinter dem Komma.
  • Sportnews.bz und das Südtiroler Wochenmagazin kamen auf 1 Milliardstel Gramm. Dabei waren es 0,1 Milliardstel.
  • Am gröbsten lag die Bild-Zeitung daneben. Sie kam auf 0,000000001 Nanogramm pro Liter. Dabei waren es 100 Nanogramm pro Liter.

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Keine
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