Reich werden mit Journalismus
Seit Jahren ist der Sound in der Medienbranche trübsinnig. Man spricht vor allem über Einnahmenverluste, Sparmassnahmen und Stellenkürzungen. In der Schweiz ist die Medienkonzentration derart fortgeschritten, dass es für freie Journalisten kaum noch möglich ist, ein anständiges Einkommen zu erwirtschaften. Entsprechend stark ist die Neigung unter Medienschaffenden, das Berufsfeld zu wechseln.
Wer dennoch ausharren will, hat Gelegenheit, sich vom Beispiel des 2017 gegründeten amerikanischen Unternehmens Substack inspirieren zu lassen. Dessen Kernidee ist simpel. Es bietet Informationsvermittlern eine Plattform, auf der sie mit Newslettern zahlungswillige Kunden ansprechen können – auf eigenes Risiko.
Prominente Journalisten
Substack hat inzwischen prominente Journalisten gewinnen können. Unter ihnen den 54-jährigen Glenn Greenwald, der 2013 weitherum bekannt wurde, als er die von Edward Snowden beschafften Geheimpapiere für die britische Zeitung «Guardian» aufbereitete. Greenwald verliess vor einem halben Jahr die von ihm mitgeründete Website «Intercept», nachdem er sich mit den Kollegen wegen eines Artikels über den Präsidentschaftskandidaten Biden und dessen Sohn Hunter zerstritten hatte.
Nun schreibt Greenwald bei Substack einen Newsletter, der 5 Dollar pro Monat kostet, wobei ein grosser Teil seiner Texte auch gratis zur Verfügung steht. Dennoch erreicht Greenwald nach Angaben der «Financial Times» zwischen 20 000 und 40 000 zahlende Kunden. Damit kassiere er jeden Monat zwischen 80 000 und 160 000 Dollar – so viel verdienen gutbezahlte Journalisten üblicherweise in einem Jahr. Das sei mehr, als er je verdient habe, sagte Greenwald dem britischen Wirtschaftsblatt.
Zu den Schwergewichten zählt auch Judd Legum, der 2007 an der Präsidentschaftskampagne von Hillary Clinton mitgewirkt hat. Er startete bei Substack bereits 2018 den Newsletter «Popular Information», eines der ersten politischen Angebote der Plattform. Laut «Le Monde» zahlen dafür 147 000 Abonnenten 6 Dollar pro Monat. Legum nimmt damit bedeutend mehr als Greenwald ein.
Auf Substack findet man im Weiteren Bari Weiss, die Journalistin, welche im vergangenen Jahr die «New York Times» verliess, weil sie das dortige Meinungsklima als intolerant wahrnahm. Bei ihrem Newsletter steht die vage Angabe, die Journalistin habe Zehntausende Abonnenten (5 Dollar pro Monat). Ferner nutzen auch diese bekannten Personen Substack: Matt Taibbi (ehemals «Rolling Stone»), der Non-Konformist Andres Sullivan und Charlie Warzel («New York Times»).
Gut für einsame Wölfe
Eine Plattform wie Substack ist ideal für einsame Wölfe, welche die Normierungen der durchorganisierten Redaktionen der Massenmedien scheuen und lieber ihre eigenen Wege gehen. Bei der Newsletter-Plattform sind sie allein für ihre Angebote verantwortlich. Substack entlastet die Schreiber von technischen Problemen und gibt Ratschläge für Neulinge im Newsletter-Geschäft. Dafür müssen die Autoren zehn Prozent ihrer Einnahmen hergeben – was im Vergleich zu den Gebühren etwa bei Apple wenig ist.
Substack vertraut nicht mehr allein auf die Tatkraft der Autoren, um die Plattform voranzubringen. Um ein paar Schreibern den Start zu erleichtern, schoss das Unternehmen 10 000 bis 30 000 Dollar vor – die Summe konnte zinsfrei zurückbezahlt werden, sobald die Abo-Einnahmen der Autoren das ermöglichten. Das Geld musste aber nur bei Erfolg zurückgegeben werden.
Teure Verträge mit Zugpferden
Doch Substack wollte mehr Dynamik. Man machte sich auf die Suche nach publizistischen Zugpferden, denen man einen Jahresverdienst zahlt, unabhängig davon, ob das Projekt erfolgreich sein würde. Im Gegenzug bekommt Substack im ersten Jahr 85 Prozent der Einnahmen, nachher noch 10 Prozent. Wenn der jeweilige Autor schnell eine hohe Anzahl von Abonnenten erreicht, geht für Substack das Geschäft auf. Redaktionell oder verlegerisch betreuen will man die Schreiber jedoch nicht.
In einem Fall rührte Substack mit der grossen Kelle an. Der Autor Danny Lavery bekam laut dem Medienkolumnisten der «New York Times» einen Zweijahresvertrag in Höhe von 430 000 Dollar. Dessen Frau, Grace Lavery, eine Englischprofessorin an der University of California, unterschrieb ebenfalls bei Substack – für einen Betrag von 125 000 Dollar.
Wie «Le Monde» schreibt, will Substrack zudem eine Million Dollar investieren, um auch Lokaljournalisten anzulocken. Dies angesichts der Krise, die auch die amerikanische Lokalpresse erfasst hat: Ein Viertel der Blätter ist innerhalb von 15 Jahren verschwunden. Andere Unternehmen erkennen im Newsletter ebenfalls ein wirtschaftliches Potenzial. So will das 2016 von «Politico»-Veteranen gegründete Medienhaus Axios für vier amerikanische Märkte Newsletter mit Lokalinformationen herausbringen, und zwar für Charlotte, Denver, Des Moines und Tampa. Twitter wiederum übernahm Anfang Jahr den in Holland gestarteten Newsletter-Dienst Revue.
Breites Spektrum
Das thematische Spektrum der Substack-Angebote reicht weit. Man findet auf der Plattform Newsletter über Emojis, experimentelle Musik, Frauen-Basketball, über Essen und Kochen oder über das Alltagsleben der Chinesen im Internet. Auf der Plattform könnte man auch in anderen Sprachen publizieren, doch hier ist das Englische die Leitwährung. Wer in dieser Sprache schreibt, kann selbst mit Nischenthemen darauf hoffen, eine relativ grosse Kundschaft zu gewinnen.
Insofern hat eine Newsletter-Publizistik in der bevölkerungsmässig kleinen Schweiz viel schwierigere Voraussetzungen als im angelsächsischen Raum. Verlage tun sich hierzulande denn auch schwer, mit Newslettern Geld zu verdienen. Dennoch: Wer eine attraktive Nische entdeckt und damit ein internationales Publikum gewinnt, hat Chancen. Das Minimalziel muss ja nicht gleich das Jahreseinkommen von Glenn Greenwald sein.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Und warum müssen es wieder die Amis sein?