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Die NZZ-Verlagsbeilage «Schulden, Schulden, Schulden»: völlig intransparent. © nzz.ch

NZZ: Ein bisschen Journalismus

Marco Diener /  Kürzlich erschien die NZZ mit der Beilage «Schulden, Schulden, Schulden». Die Beilage gibt Rätsel, Rätsel, Rätsel auf.

2001 sagten die Schweizer Stimmberechtigen ja zur Schuldenbremse; 2003 trat sie in Kraft. Seither steht in der Bundesverfassung: «Der Bund hält seine Ausgaben und Einnahmen auf Dauer im Gleichgewicht.»

«Die Schweiz ist eine Insel»

Die NZZ feierte am Samstag das 20-jährige Bestehen der Schuldenbremse mit einer zehnseitigen «Verlagsbeilage» unter dem Titel «Schulden, Schulden, Schulden». Die Autoren loben darin die Schweiz. Und sie skizzieren, was das Ausland ihrer Ansicht nach von uns lernen kann. Tenor: «Die Schweiz ist eine Insel in einem Meer von Schulden. Europa, Grossbritannien und die USA sind zu mehr als 100 Prozent des Bruttoinlandprodukts verschuldet.»

«‹Look & Feel› der jeweiligen Tagesmedien»

Doch was ist eine Verlagsbeilage überhaupt? Die NZZ spricht von «Sponsored Topic». Das ist «eine crossmedial ausgespielte Werbeform im ‹Look & Feel› der jeweiligen Tagesmedien.» Mit anderen Worten: Die Verlagsbeilagen sollen so aussehen und so wirken wie die Zeitung. Produziert werden sie – wieder laut NZZ – «von unserem Dienstleister für journalistisches Storytelling: ‹NZZ Content Creation›». «NZZ Content Creation» ist der NZZ-Werbeabteilung angegliedert.

Häufig reine Werbung

Dass sie von der Werbeabteilung produziert sind, können die Verlagsbeilagen meistens nicht verbergen. Viele Beilagen sind reine Werbung. Gerade erst erschien die «Reisen»-Beilage mit Artikeln wie «Königlich umsorgt im Engadin», «Genuss am Pistenrand» oder «Ein unvergesslicher Roadtrip.». Nur einen Tag davor publizierte die NZZ die Beilage «Zürcher Wiehnacht» mit «Lokalen Geschenkideen» und «Auserlesenem aus Nachbars Weinberg».

Zwei Uni-Institute

Bei der eingangs erwähnten Beilage «Schulden, Schulden, Schulden» ist die Sache komplizierter – und ausgesprochen intransparent. Auf Anhieb ist nicht klar, wofür die NZZ mit der Beilage wirbt. Im Impressum steht, die Beilage sei «in Kooperation mit dem Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) an der Universität Luzern und dem Walter-Eucken-Institut (WEI) an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau» entstanden.

Was soll die Beilage?

So plump wie die «Reisen»- und die «Weihnachts»-Beilage kommt die «Schulden»-Beilage allerdings nicht daher. Auch bei genauerem Hinschauen kommt nicht heraus, was die NZZ und die beiden Uni-Institute beabsichtigen. Wollen sie Werbung machen für die Schweizer Politik? Wollen sie gegen die Schuldenbremsen-Umgehung in Deutschland anschreiben? Wollen sie die Schuldenbremsen-Aufweichung in der Schweiz verhindern? Oder kämpfen sie vorsorglich gegen allfällige Steuererhöhungen? Fast kommt der Verdacht auf, neben den beiden Uni-Instituten seien auch politische Parteien oder Wirtschaftsverbände an der Verlagsbeilage beteiligt.

Nicht von der Redaktion?

Aber auch sonst gibt die Beilage einige Rätsel auf. Im Impressum steht: «Verlagsbeilagen werden nicht von der Redaktion produziert.» Aber geschrieben offenbar schon. Denn wer genau hinschaut, stellt fest: Unter den Autoren ist auch der NZZ-Chefökonom Peter A. Fischer. Er ist Mitglied der NZZ-Redaktion. Er schreibt inmitten von Autoren der beiden erwähnten Universitäts-Institute. Offenbar sind die Übergänge zwischen Redaktion und Werbeabteilung trotz anderslautender Beteuerungen bei der NZZ ziemlich fliessend.

«Was Berlin von der Schweiz lernen kann»

Das zeigt auch der Fall von Christoph Schaltegger. Schaltegger ist Ökonom und Direktor des IWP – des Luzerner Uni-Instituts, das für einen schönen Teil der Verlagsbeilage verantwortlich ist. Zehn Tage vor Erscheinen der Verlagsbeilage durfte der Ökonom Schaltegger die Schuldenbremse bereits im redaktionellen Teil der NZZ loben. Er erklärte den Lesern «was Berlin von der Schweiz lernen kann».

Schaltegger hat im NZZ-Libro-Verlag auch schon zwei Bücher zum Thema Schulden veröffentlicht. Er schreibt regelmässig Artikel und Gastkommentare in der NZZ. Im NZZ-Magazin auch schon unter dem Titel «Der helvetische Kumpel-Kapitalismus». Schöner kann man die undurchsichtigen Verflechtungen zwischen NZZ-Redaktion, -Werbeabteilung und Wirtschaftsinstituten fast nicht beschreiben. Schaltegger zielte damals allerdings nicht auf die NZZ und sein Institut, sondern auf die Credit-Suisse.

Fragen nicht beantwortet

Angesichts der Verwirrung gelangte Infosperber mit folgenden Fragen an die NZZ-Medienstelle:

1. Wer hat die Verlagsbeilage bezahlt (es hat ja nur ein ganz kleines Inserat auf Seite 2)?

2. Wie viel haben diese Geldgeber bezahlt?

3. Ist dieser Betrag kostendeckend?

4. Falls nein: Welchen Anteil der Kosten deckt dieser Betrag?

5. Laut Impressum werden Verlagsbeilagen «nicht von der Redaktion produziert». Warum schreibt der Chefökonom der NZZ trotzdem für die Verlagsbeilage?

Die NZZ teilte nach anderthalbtägiger Bedenkfrist bloss mit: «Die Verlagsbeilage ist eine Kooperation mit dem IWP. Das IWP hat die Beilage mit seinen Kontakten ermöglicht und zahlreiche unabhängige Ökonomen haben auf freiwilliger Basis mitgewirkt, selbstverständlich unter Wahrung der journalistischen Unabhängigkeit und Freiheit.» Die NZZ beantwortete keine einzige der fünf Fragen. Vertrauenserweckend ist das nicht.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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