Sperberauge

Mysteriöser Unfall im Zentrum von Freiburg

Marco Diener © zvg

Marco Diener /  Erst verschweigt die Polizei einen Unfall. Dann rückt sie langsam mit der Wahrheit heraus. Und plötzlich gibt’s einen Zeugenaufruf.

Drei Mal hat Infosperber in den vergangenen Tagen über eigenartige Polizeimeldungen berichtet – und zwar zu Unfällen mit Fussgängern, zu Unfällen mit Velos und zu Frontalkollisionen.

Ein Leser machte Infosperber auf ein weiteres Phänomen aufmerksam: schwere Unfälle, über welche die Polizei gar nicht berichtet. So habe sich am 11. Oktober vor dem Bahnhof in Freiburg ein schwerer Unfall ereignet. Ein Verletzter lag unter einer Thermofolie, daneben ein Elektrovelo. Die Polizei war da, die Ambulanz, das volle Programm. Trotzdem habe die Polizei nicht darüber berichtet. Und auch in den Zeitungen sei nichts gestanden.

Place de la Gare Freiburg Unfall Elektrovelo Polizei
Auf dieser Kreuzung mit einem Geflecht aus Auto-, Bus-, Taxi- und Velospuren kam es zum mysteriösen Unfall.

Der Leser erkundigte sich in der Folge bei der Polizei. Diese gab ihm zwar allgemeine Antworten, verschwieg aber den Unfall. Beim Spital, beim Ambulanzdienst und bei den Verkehrsbetrieben biss er auf Granit. Deshalb ging Infosperber der Sache nach:

  • 5. Januar, Fragen an die Polizei: «Was ist passiert? Warum gibt es keine Polizeimeldung?»
  • 5. Januar, Antwort der Polizei: «Wir können Ihnen bestätigen, dass sich gegen 18 Uhr an der Avenue de la Gare ein Verkehrsunfall ereignete, wobei ein Elektro-Fahrrad involviert war. Seitens Polizei sind die Ermittlungen abgeschlossen. Wir bitten Sie, sich bei allfälligen Fragen mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung zu setzen.»
  • 5. Januar, trotzdem Frage an die Polizei: «Können Sie sagen, wer – ausser dem Elektrovelo-Fahrer – involviert war.»
  • 6. Januar, Antwort der Polizei: «Der Unfall ereignete sich zwischen einem E-Bike und einem Gelenkbus.»
  • 6. Januar, Fragen an die Polizei: «Wie war der Unfallhergang? Hat sich der Elektrovelo-Fahrer Verletzungen zugezogen? Falls ja: Welche? Hat er überlebt?»
  • 9. Januar, Antwort der Polizei: «Wir dürfen keine Auskünfte betreffend Verletzungen mitteilen.»

Erstes Zwischenfazit: Zuerst verschwieg die Polizei den Unfall, obwohl der Aufruhr im Abendverkehr mitten im Zentrum von Freiburg gross war. Dann bestätigte die Polizei zwar den Unfall, verschwieg aber zunächst den Gelenkbus. Erst als es nicht mehr anders ging, erwähnte sie den Bus. Infosperber bohrte also weiter:

  • 9. Januar, Fragen an die Staatsanwaltschaft: «Könnten Sie uns bitte den Unfallhergang schildern? Und könnten Sie uns sagen, ob sich der Elektrovelo-Fahrer Verletzungen zugezogen hat und, falls ja, welche?»
  • 9. Januar, Antwort der Staatsanwaltschaft: «Die Untersuchung ist bei der Staatsanwaltschaft hängig. Somit geben wir dazu keine Informationen.»
  • 9. Januar, Frage an die Staatsanwaltschaft: «Können Sie uns sagen, wann die Staatsanwaltschaft in etwa entscheiden wird, damit wir uns noch einmal erkundigen können?»
  • 9. Januar, Antwort der Staatsanwaltschaft: «Erkundigen Sie sich Anfang Juli nochmals.»

Zweites Zwischenfazit: Wie üblich äussert sich die Staatsanwaltschaft nicht zu laufenden Verfahren. Infosperber beschloss, die Sache bis Anfang Juli ruhen zu lassen.

Der Zeugenaufruf

Doch dann die Überraschung am 10. Januar: Obwohl seit dem Unfall bereits drei Monate vergangen waren, veröffentlicht die Polizei einen Zeugenaufruf: «Am Dienstag, dem 11. Oktober 2022, gegen 18.10 Uhr, fuhr ein 45-jähriger Verkehrsteilnehmer mit einem schnellen Elektrofahrrad auf der Avenue de la Gare in Freiburg in Richtung Boulevard de Pérolles. An der Kreuzung auf Höhe der Bahnhofsunterführung kollidierte er aus noch unbekannten Gründen mit einem TPF-Bus, der vom Boulevard ausfuhr und nach links abbog, um in die Unterführung einzufahren. Der verletzte E-Bike-Fahrer wurde mit dem Krankenwagen ins Spital gebracht. Allfällige Zeugen, die etwas zur Aufklärung der Umstände beitragen können, werden gebeten, sich mit der Kantonspolizei Freiburg in Verbindung zu setzen.» Also ging Infosperber der Sache erneut nach:

  • 11. Januar, Frage an die Polizei und die Staatsanwaltschaft: «Vor drei Monaten ereignete sich der Unfall. Warum erscheint der Zeugenaufruf ausgerechnet jetzt, nachdem sich Infosperber mehrmals nach dem Unfall erkundigt hat?»
  • 11. Januar, Antwort der Polizei: «Aufgrund von Informationen, die wir gestern erhalten haben, haben wir zusammen mit dem Staatsanwalt entschieden, einen Zeugenaufruf zu erlassen.»
  • 12. Januar, Antwort der Staatsanwaltschaft: «Es muss sich um einen Zufall handeln.»

Wirklich ein Zufall?

Das wäre wirklich ein grosser Zufall. Denn die Freiburger Kantonspolizei hatte am 5. Januar mitgeteilt: «Seitens Polizei sind die Ermittlungen abgeschlossen.» Doch fünf Tage später erlässt die gleiche Polizei einen Zeugenaufruf. Infosperber bleibt dran.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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2 Meinungen

  • am 17.01.2023 um 11:54 Uhr
    Permalink

    Dass der Unfall nicht kommuniziert wurde, scheint unverständlich. Die Schwere, die Beispielhaftigkeit an einer wichtigen Stelle…alles würde dafür sprechen. Ich habe den Fall analysiert und entdeckt, das der Radfahrer eventuell ein Signal übersehen hat: https://www.hansuelistettler.ch/images/unfallanalysen/8032_Freiburg_11.10.2022.pdf. Jedenfalls scheint ein Zeugenaufruf nach so langer Zeit kaum hilfreich zu sein.
    Bei einem weiteren Unfall eines Busses scheint die Sachlage für die Polizei klar gewesen zu sein, es wurde aber nicht berichtet, wer das Signal übersehen hat:
    https://www.hansuelistettler.ch/images/unfallanalysen/6868_Freiburg_11.02.2022.pdf
    Eine wichtige Lösung wäre eine kontinuierliche Aufzeichnung des Raums vor Fahrzeugen des ÖV – es gibt zunehmend Notstops mit Verletzten im Bus, wo nur mühsam die relevanten und rechtswirksamen Belege zusammenzutragen sind. Solche Aufnahmen könnten auch durch die Buslenkenden mit Markern versehen werden – erlaubt das identifizieren…

  • am 17.01.2023 um 13:36 Uhr
    Permalink

    Das ist im gewissen Sinne bedenklich. Aber wundert mich nicht weiter.
    Aus meinem Umfeld sind mir auch verweigerungen von Aufnahme einer Anzeige bis hin zu Aktenablagen ohne weitere bearbeitung bei versuchter Tötung bekannt.
    Ein System kann ich nicht erkennen, vermute daher einfach nur eine Unlust zum Abarbeiten eigentlich wichtiger Geschehnisse.
    Vielleicht eine Folge des oft bemängelten Personalmangels…

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