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Hansjürg Zumstein (Mitte), Maria Roselli (RSI) und Ludovic Rocchi (RTS) am Sichten ihrer Fifa-Recherchen © srf

Mit «Fifa – Das Monster» verabschiedet sich Hansjürg Zumstein

Urs Schnell /  Es ist sein letzter DOK-Film. Mehr als einmal packte Zumstein heisse Eisen an. Doch jetzt geht er beim Fernsehen SRF in Pension.

In einer Gemeinschaftsproduktion mit RTS und RSI strahlte SRF am 10. November 2022 den Dokumentar-Film über die Fifa aus. Tout juste vor den kommenden Fussballweltmeisterschaften in Katar. Den Weltfussballverband nennt der langjährige Fifa-Präsident Sepp Blatter ein «Monster». Bis heute ist die Fifa Korruptionsvorwürfen ausgesetzt. Hansjürg Zumstein (SRF), Maria Roselli (RSI) und Ludovic Rocchi (RTS) sind auf Fifa-Unterlagen gestossen, in denen schwarz auf weiss steht, drei Fifa-Exekutivmitglieder hätten Geld für ihre Katar-Stimme erhalten.

Die Fifa ist ein steuerbefreiter Verein mit Sitz in Zürich. Für das laufende Jahr hat sie Einnahmen in Höhe von 4,7 Milliarden budgetiert.

Zumsteins Karriere begann beim Kassensturz

Hansjürg Zumstein genoss beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine grosse Publikationsfreiheit. Mitte der 2000er Jahre erhielt er eine Carte Blanche als Dokumentarfilmer. Es war einer der besten Personalentscheide, die die Chefetage damals fällte.

Zumstein war in den Neunzigerjahren als hartnäckiger Kassensturz- und Rundschaureporter aufgefallen. Mit dem Film «Kingsclub-Pleite», hervorgegangen aus Kassensturz-Recherchen, hatte er 1995 ein erstes Mal im TV-Langformat von 50 Minuten reüssiert. Aufgedeckt wurde eines der grössten Schneeball-Systeme, bei dem viele bescheidene Leute auf betrügerische Weise um ihr Geld kamen.

Schweizweit bekannt wurde Zumstein mit dem Dokumentarfilm «Die Abwahl» von Christoph Blocher, den SRF im März 2008 ausstrahlte. Drei Monate zuvor war Blocher als Bundesrat abgewählt worden, Eveline Widmer-Schlumpf hatte übernommen. Das Konkordanzgefüge im Bundeshaus wankte, die mächtige SVP geriet in die Defensive. Zumstein zeichnete die Ereignisse um Blocher und Widmer-Schlumpf minutiös und spannend nach. Viele von Zumsteins Qualitäten kamen zusammen: akribische Recherche rund um die Direktbeteiligten, hart gegengeschnittene Aussagen der verschiedenen Protagonisten, emotionale Hautnah-Szenen wie der Abgang Blochers durch die dunklen Gänge des Bundeshauses oder die Zugfahrt Eveline Widmer-Schlumpfs von Chur nach Zürich während des entscheidenden Wahlgangs im Parlamentssaal.

Sorgfältige Bildauswahl und Inszenierungen

Viele Bildsequenzen drehte Zumstein nicht selber. Er sass tagelang im Archiv, um die besten Bilder verschiedenster Reporter und Reporterinnen zu sichten und in der Montage zu verdichten. Eine zeitraubende und aufwändige Arbeit. Eine Art von Arbeitsstil, die er in weiteren Filmen nutzte. Er war aber auch einer der ersten Videojournalisten bei SRF. Oft war er alleine unterwegs, bewaffnet nur mit seiner handlichen Kamera.

Zumstein war beim SRF einer der ersten, der seine Interviews sorgfältig ausleuchtete und dabei mit mehreren Kameras arbeitete. Er kannte die entsprechenden Tricks. Schön zu sehen in einem Film aus dem Jahr 2020 anlässlich eines Interviews mit Christoph Blocher. Es ging um das Aufarbeiten der Lücken in der Geschichte der Ems-Chemie. Blocher kommt in den düster abgedunkelten Interviewraum, spricht die Beleuchtung sofort an und macht im Setting dann doch mit. Zumstein liess die Kamera schon vor dem Interview laufen und fing so eine Stimmung ein, die zum Inhalt des Films passte.

Bei SRF DOK gehörte Zumstein zu den wenigen, die sich tief in die Gefilde von Politik und Wirtschaft vorwagten. Er scheute sich nicht, komplizierte Themen wie die Finanzkrise und ihre Folgen akribisch anzugehen, zum Beispiel den Beinahekonkurs der UBS oder die Eurokrise. Über die Jahre nahmen Lust und Leidenschaft des gebürtigen Berners am Leutschenbach noch zu: Nach der «Akte UBS» von 2009 folgten «Der schmerzvolle Abschied» vom Bankgeheimnis (2014) und «Der Prozess» (2018), ein Krimi um zwei mächtige UBS-Vermögensbanker, die in die Fänge der US-Justiz gerieten. 

Auch komplexe grosse Dossiers hat Zumstein immer wieder angepackt, die Landwirtschaftspolitik («Mit dem Rücken zur Wand», 2009), die Uhrenindustrie («Protokoll einer Rettung», 2019) oder Themen aus dem weiten Feld des Verkehrs («Vom Alpentraum zum Alptraum» 2007, «Gotthard, das Jahrhundertbauwerk» 2016 und die «Politstory» über die SBB 2022). Das Schweizer Fernsehen holte sich mit solchen Filmen Lorbeeren.

Im Jahr 2013, an einer Dokumentarfilm-Veranstaltung an der Zürcher Hochschule der Künste, stellte sich Hansjürg Zumstein nicht etwa als Dokumentarfilmer vor. Nein, er sagte schlicht, er sei Journalist. Der journalistische Ansatz, die journalistisch hinterfragende Arbeit war immer sein Ausgangspunkt. 


«Fifa – Das Monster»: DOK-Film am 10. November 2022 von 20.05 bis 21.50 Uhr.

Der Film zeigt, wie die Schweizer Justiz, allen voran der damalige Bundesanwalt Michael Lauber, bei der Aufarbeitung der Korruptionsvorwürfe stolperte. Schritt für Schritt werden die umstrittenen Geheimtreffen des Bundesanwalts mit dem jetzigen FIFA-Präsidenten Gianni Infantino aufgearbeitet. Auch jenes Treffen, an das sich angeblich kein Teilnehmer mehr erinnern kann. Das Bundesverwaltungsgericht urteilte, «dass sich keiner der vier Teilnehmer mehr an das Treffen erinnern können soll, erscheint wenig glaubhaft. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist es schlicht abwegig, dass alle vier Personen (…) an ein bestimmtes Treffen keinerlei Erinnerung mehr haben sollen.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Journalist Urs Schnell arbeitete ab 1993 in verschiedenen Funktionen bei SRF und hat auch zur Fifa publiziert. 2006 gründete er die Filmproduktionsfirma DokLab GmbH. 
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Eine Meinung zu

  • am 9.11.2022 um 03:15 Uhr
    Permalink

    Solche Journalisten wie Hansjörg Zumstein, auf den wir noch in vielen Jahren stolz sein können, braucht unser Land – auch in Zukunft. Aber woher nehmen? Ich habe in meiner über 50-jährigen journalistischen Arbeit immer wieder erfahren, dass Lohn-abhängige Journalistinnen und Journalisten nicht das publizieren durften, was sie eigentlich wollten. Sie riskierten ihren Arbeitsplatz und damit ihre Existenzgrundlage. Sie wurden im Interesse der Wirtschaft, vor allem der Inserenten und Parteien, abgeblockt und mundtot gemacht. Deshalb ziehe ich den Hut vor Menschen wie Hansjörg Zumstein, die sich nie kaufen, einschüchtern oder unterdrücken liessen und den Journalismus zur «vierten Macht» im Staat verhalfen, der gestern dringend nötig war und heute und morgen noch viel mehr nötig sein wird. Heute wird Journalismus immer mehr zum Instrument von Monopolisten, Machthabern, Marktführern und Finanzhaien. Ich bin froh, habe ich noch Zeiten erlebt, wo Journalismus ein Traumberuf war.

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