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Angelica Moser – angeblich «undankbare Vierte» im Stabhochsprung. © SRF

Von wegen «undankbare Vierte»

Marco Diener /  Wer an den Olympischen Spielen den vierten Platz belegt, gilt als «undankbar». Hören Sportjournalisten denn nicht zu?

Gestern Abend überquerte die Schweizer Stabhochspringerin Angelica Moser an den Olympischen Spielen in Paris die Latte auf einer Höhe von 4,80 Metern und kam auf den vierten Platz. Für SRF war es ein «undankbarer vierter Platz». Das Newsportal «nau.ch» bezeichnete sie als «undankbare Vierte». «Watson» ebenfalls.

Tags zuvor war der Schweizer Weitspringer Simon Ehammer auf eine Weite von 8,20 Metern gekommen und damit «undankbarer Vierter» geworden. Zumindest, wenn man dem «Blick» glaubt, dem Newsportal «sport.ch.» oder «Radio Beo».

Doch stimmt es auch? Sind Schweizer Sportler wirklich undankbar? Oder täuschen sich die Berichterstatter? Hören sie gar nicht richtig zu?

Sehr stolz – und enttäuscht

Dass sie nicht richtig zuhören – das könnte tatsächlich sein. Denn der «Blick» zitierte Simon Ehammer im gleichen Artikel im Originalton: «Es ist keine Niederlage. Wenn man an seinen ersten Olympischen Spielen Vierter wird, ist das super!»

Keine Spur von Undankbarkeit also. Vielmehr Stolz.

Auch wenn Ehammer anfügte: «Nur weiss ich, dass so viel mehr drin gewesen wäre.» Aber auch das ist keine Undankbarkeit. Eher Enttäuschung darüber, dass es nicht zu mehr gereicht hat.

Den Tränen nahe – aber nicht undankbar

Angelica Moser klang auch nicht so, als ob sie undankbar wäre. Sie sagte im Fernsehen SRF: «Es war einer der besten Wettkämpfe meines Lebens. Es ist die zweitbeste Höhe, die ich je gesprungen bin.»

Sie war richtig stolz. Trotzdem war sie den Tränen nahe. Sie sagte: «Im Moment bin ich sehr, sehr enttäuscht, aber in ein paar Tagen ist es vielleicht schon besser.» Trotz eben erst abgeschlossenem Wettkampf äusserte sich Moser differenziert.

Keine Spur von Undankbarkeit – weder bei Moser noch bei Ehammer.

«Dankbarer Vierter»

Sportler können für einen vierten Platz sogar ausgesprochen dankbar sein. Das sagte der deutsche Wasserspringer Patrick Hausding der «Süddeutschen Zeitung» nach dem Synchronspringen an den Weltmeisterschaften 2019: «Der vierte Platz ist heute sehr dankbar. Hätte mir vorher einer gesagt, dass wir Vierter werden, hätte ich das dankend angenommen.»


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Eine Meinung zu

  • am 8.08.2024 um 12:00 Uhr
    Permalink

    Das ist doch mehr eine Redewendung. Der undankbare vierte Platz.
    Weil es da halt eben keine Medaille mehr gibt.

    So ähnlich wie der zweite der erste Verlierer ist.
    Viel mehr als ein «geflügeltes Wort» ist das aber auch nicht.

    Es scheint ein Zeichen der Zeit, dass teilweise etwas unbedarfte jugendliche Journalisten (die ja durchaus noch Raum und Zeit zum lernen haben dürfen) diese Zusammenhänge noch nicht verstehen oder sich zumindest bisher keine Gedanken darüber gemacht haben. Dann kommt dann halt sowas dabei raus wie z.b. bei Nau. Die SRF Formulierung trifft es für mich noch am ehesten, weil es eben der ursprünglichen Bedeutung der Redewendung am nähesten kommt.

    Mit der (nicht)Dankbarkeit des Sportlers hat das nach meiner Meinung aber gar nichts zu tun, ist dieser Ausdruck doch eher eine Art Mitleidsbekundung für den Sportler, weil er eben keine Medaille erhalten hat. Als erster. 🙂

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