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Katja Stauber übertreibt gewaltig © srf

Unstatistik: Wie eine «erdrückende Mehrheit» entsteht

Urs P. Gasche /  Es ist schlimm, dass viele Parlamentarierinnen in Europa sexuell belästigt werden. Doch wer übertreibt, kann ihnen schaden.

Die Interparlamentarischen Union (IPU) habe eine Studie vorgestellt, die zeige, dass

    «die erdrückende Mehrheit der europäischen Politikerinnen sexuelle Belästigungen aus eigener Erfahrung kennt»,

erklärte Moderatorin Katja Stauber in der Hauptausgabe der Tagesschau vom 16. Oktober.
Im Tagesschau-Beitrag hiess es dann, konkret hätten «68 Prozent der Frauen Erfahrungen mit sexuellen oder sexistischen Kommentaren gemacht. 47 Prozent haben sogar Mord-, Gewalt- oder Vergewaltigungsdrohungen erhalten.»


Grafik der Tagesschau vom 16. Oktober 2018
Insgesamt hätten etwa 85 Prozent aller Teilnehmenden von sexistischen Belästigungen berichtet, zitierte die Tagesschau SP-Ständerätin Liliane Maury Pasquier, welche die Studie mit lancierte.
Doch 85 Prozent oder 68 Prozent von was?
Mit Prozentzahlen können Zuschauende und Zuhörende wenig anfangen, wenn ihnen nicht gesagt wird, was denn die 100 Prozent sind.
Die Tagesschau unterliess es, darüber zu informieren, dass nur ein Drittel aller in 47 Mitgliedsstaaten der IPU befragten Parlamentarierinnen geantwortet haben. Von diesem Drittel aller Befragten gaben 85 Prozent an, bereits einmal inner- oder ausserhalb des Parlaments sexuell belästigt worden zu sein. Von allen befragten Parlamentsmitgiedrn ist das also weniger als ein Drittel.
Aus Plausibilitätsgründen ist davon auszugehen, dass grossmehrheitlich diejenigen Frauen geantwortet haben, welche schlechte Erfahrungen gemacht hatten, und dass damit die Belästigungsquote bei den andern zwei Dritteln, die bei der Umfrage nicht mitmachten, viel kleiner sein dürfte.
Die Autorinnen der IPU-Studie erwähnten selber ausdrücklich, dass die Resultate «nicht den Anspruch [erheben], statistisch repräsentativ» zu sein.
Wenigstens diese Information hätte die Tagesschau nicht unterschlagen dürfen.
Auch Infosperber hat über diese Studie berichtet. Doch Infosperber-Autor Andreas Zumach wies in seinem Bericht unter dem Titel «Viel sexuelle Gewalt in Europas Parlamenten» darauf hin, dass die erschreckenden Ergebnisse relativiert werden müssen, weil eben zwei Drittel der Befragten bei der Umfrage nicht mitmachten und die Studie darum nicht den Anspruch erhebt, statistisch repräsentativ zu sein.

Immerhin: Im Unterschied zu privaten TV-Sendern und zu den meisten Printmedien hat die Tagesschau neben Infosperber über die Studie und die Zeugenaussagen der europäischen Parlamentarierinnen berichtet.

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Infosperber-DOSSIER: «Irreführende Statistiken aus Medien»
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Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Unstatistik_Mit_Hintergr

Fragwürdige Statistiken aus Medien

Mit Statistiken und Grafiken sollten Medien besonders sorgfältig umgehen. Beispiele von Unstatistiken.

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4 Meinungen

  • am 18.10.2018 um 14:50 Uhr
    Permalink

    Lieber Herr Gasche: Der Wahrheit zuliebe die Fakten Zerreden hilft beim Gender-Problem wohl eher nicht.
    – Aus meiner Sicht ist es ziemlich egal, ob 87 % der antwortenden Frauen oder aller Frauen in den west-europäischen Parlamenten mit sexueller Belästigung kämpfen.
    – Entscheidend für mich ist, dass alle Frauen Welt-weit endlich vor sexueller Belästigung sicher sind. Und das ist ein Appell an uns Männer.

    Ich bin überzeugt, dass Sie das auch so sehen. Deshalb füge ich hier diese Präzisierung bei.
    – Wir als Männer sollten endlich dafür sorgen, dass keine Männer mehr auch nur auf die Idee kommen, Frauen sexuell belästigen zu wollen.
    – Angst der Frauen als Kollektiv vor uns Männern als Kollektiv und das im Alltag, das kann doch so nicht weitergehen.

    Wie wir das hinkriegen, darüber sollten wir Alle gemeinsam nachdenken, über Prozentzahlen wohl eher nicht …

  • am 18.10.2018 um 15:54 Uhr
    Permalink

    @gasche
    Diese Erbsenzählerei ist echt peinlich, latent wahrscheinlich machistisch (sh. unten), wenn man die durchschnittliche Stimm- und Wahlbeteiligungen in der Schweiz mit ihr vergleicht und zum Schluss kommen müsste, dass mit solcher Logik aus Schweizersicht jede Statistik obsolet würde. Die Belästigungszahlen sind erschütternd, noch mehr sind es die Belästigungen selber. Zum Pejorativ „latent wahrscheinlich machistisch“: so darf darf man sicherlich einem Artikel antworten, der „aus Plausibilitätsgründen“ Vermutungen in die Welt setzt. – Welcher Standpunkt möchte da eigentlich plausibel sein?

  • am 19.10.2018 um 09:36 Uhr
    Permalink

    @ Konrad Staudbacher
    Fakten scheinen Ihnen also egal zu sein. Wenn nur eine geantwortet hätte und diese belästigt worden wäre, wäre für Sie die Zahl 100% auch korrekt?
    "Wir als Männer sollten endlich dafür sorgen, dass keine Männer mehr auch nur auf die Idee kommen, Frauen sexuell belästigen zu wollen"
    Und wie wollen Sie das erreichen?

    Um ein Problem zu lösen, muss man es verstehen und dazu gehören korrekte Zahlen sonst machen Sie jeden Lösungsversuch leicht angreifbar und somit unwirksam

  • am 19.10.2018 um 09:40 Uhr
    Permalink

    @Rudolf Elmer
    Aus der Plausibilität das betroffene Frauen eher hierzu angaben machen als nicht betroffene, die sich nicht die Zeit dafür nehmen.

    Ist es nicht latent machistisch das hier wieder hauptsächlich Männer statt Frauen diskutieren?

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