Tamedia beerdigt gerade die Tageszeitung
Am Mittwoch verstanden die Leser der Tamedia-Zeitungen vermutlich so gut wie nichts. In einem langen Text «In eigener Sache» hatte die Tamedia-Geschäftsleitung versucht, die im August angekündigte «Strategie» zu erklären. Klar wurde eigentlich nur, dass die Redaktionen in Zürich, Basel, Bern und Lausanne konzentriert werden.
Am Donnerstag verstanden die Leser dann aber sehr wohl, was ihnen blüht. Zumindest jene Leser, die sich auch mit dem Sportteil beschäftigen. In den Zürcher und den Berner Tamedia-Zeitungen erschien nämlich gleich noch einmal ein Text «In eigener Sache». Diesmal unterschrieben vom «Redaktionsteam» – also wieder nicht von einem Verantwortlichen unterzeichnet.
Keine Eishockey-Matchberichte mehr
Dort stand: «Wegen Veränderungen im Druckzentrum Anfang 2025, die zu früheren Abschlusszeiten führen, passen wir unsere Eishockey-Berichterstattung bereits ab dem Saisonstart an, um nicht mitten in der Saison umzustellen.»
Konkret heisst das: In den Berner und den Zürcher Tageszeitungen erscheinen keine Matchberichte mehr – und zwar ab sofort, weil das bequemer ist. Wichtig zu wissen: Die ZSC Lions sind nicht ein Feld-Wald-und-Wiesen-Klub, sondern der amtierende Schweizer Meister. Und für die Fans der SCL Tigers und des SC Bern ist Eishockey nicht nur Sport, sondern fast schon Religion.
Früher Druckbeginn betrifft alle Leser
Dass die Tamedia-Zeitungen die aktuelle Eishockey-Berichterstattung abschaffen, sollte nicht nur die Eishockey-Fans beunruhigen, sondern alle Zeitungs-Leser. Denn der Tamedia-Verlag läutet gerade das Ende der gedruckten Tageszeitung ein.
Voraussichtlich im März schliesst der Verlag seine Druckerei in Lausanne, Ende 2026 auch jene in Zürich. Das heisst: Alle Tamedia-Zeitungen werden dann in Bern gedruckt. Und das heisst auch: Der Druckbeginn wird vorverlegt. Und damit auch der Redaktionsschluss.
Palme-Mord auf der Titelseite
Das bedeutet, dass manches, was am Abend geschieht, in der gedruckten Zeitung am nächsten Tag nicht mehr vorkommen wird. Früher war das ganz anders. Zum Beispiel am 1. März 1986. Am Vorabend war der schwedische Ministerpräsident Olof Palme um 23.21 Uhr in Stockholm auf offener Strasse erschossen worden. Die Meldung traf nach Mitternacht auf den Schweizer Redaktionen ein. Die «Berner Zeitung» – heute ein Tamedia-Blatt – schaffte es trotzdem, eine schreibmaschinengeschriebene Meldung auf der Titelseite zu platzieren.
Trotz des ganzen technischen Fortschritts ist so etwas heute undenkbar. Heute, wo Eishockeyspiele schon um 19.45 Uhr angepfiffen werden und es trotzdem nicht mehr in die Zeitung vom nächsten Tag mehr schaffen.
Mit dem frühen Redaktionsschluss werden die gedruckten Zeitungen gegenüber den elektronischen Medien sowie gegenüber den Online-Medien noch stärker ins Hintertreffen geraten. Der Tamedia-Verlag beerdigt eigentlich gerade die Tageszeitung. Ohne aktuelle Berichterstattung verliert die Tageszeitung jegliche Daseinsberechtigung. Ausser vielleicht als nur langsam versiegende Einnahmequelle.
Dem Verlag kann es mit der Beerdigung der Tageszeitung trotzdem nicht schnell genug gehen. Obwohl die Druckerei in Lausanne erst nächstes Jahr schliesst, brachten die Tamedia-Tageszeitungen schon am Mittwoch keine Eishockey-Matchberichte mehr.
Auch sonst werden die Sportinteressierten von den Tamedia-Zeitungen schlecht bedient. Schon länger erscheinen aus vielen Sportarten keine Resultate mehr. Betroffen sind etwa der Radsport oder die Leichtathletik.
Stattdessen erscheinen lange Artikel zu Themen, die mit Sport nur entfernt tun haben: über eine Fitness-Influencerin, die Bäume umarmt, über E-Bike-Touren in Frankreich, über Besonderheiten beim Wandern mit Hund oder über skurrile Gipfelnamen.
YB gegen Chelsea? Oder vielleicht doch gegen Aston Villa?
Auffallend ist auch die zunehmend mangelnde Sorgfalt in der Tamedia-Sportberichterstattung. Gerade diese Woche wieder – am Tag, an dem die Fussballer der Berner Young Boys ihr erstes Champions-League-Spiel der Saison austrugen: «Grosser Abend für YB», stand auf der Titelseite. Und weiter: «Vor dem Spiel gegen Chelsea findet Patrick Rahmen Lob für den Gegner.»
Auf dem Kunstrasen im Wankdorf standen dann aber nicht die Spieler von Chelsea, sondern diejenigen von Aston Villa. Getäuscht hatten sich nicht die Spieler von Aston Villa, sondern die Journalisten der Berner Zeitung.
Kurz davor empfahl die Sportredaktion den Wanderern unter den Lesern den Stockalperweg, der von Brig nach Domodossola führt – mit allem Wissenswerten zu Anreise, Verpflegungsmöglichkeiten, Unterkünften und Gepäcktransport. Was leider nicht stand: dass damals (wie auch heute noch) lange Abschnitte wegen der Unwetter gesperrt waren.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.