Sperberauge

Tagi opfert ganzen Zeitungsbund für Eigenwerbung

Pascal Sigg © cm

Pascal Sigg /  Ringier und Tamedia blicken fasziniert auf Künstliche Intelligenz – während ihre Besitzer damit Geld verdienen.

«Künstliche Intelligenz im Fokus» titelte das Ringier-Blatt Blick am 6. September 2022 und verkündete euphorisch, dass Bundespräsident Ignazio Cassis eine PR-Tour für die sogenannte Digitalisierung eröffnet hatte. Im Gespräch mit Ringier-CEO Marc Walder sagte Cassis gemäss Artikel, «dass man für mehr Fortschritte in der Digitalisierung noch die Zurückhaltung ablegen müsse». Immerhin steht im Artikel auch: Ringier-CEO Marc Walder ist Gründungsmitglied des Netzwerks Digitalswitzerland, dem Ausrichter der Marketing-Events. Der Blick berichtete denn auch ausführlich über die PR-Kampagne, ohne sie so zu nennen.

Auch die TX-Group ist Partnerin von Digitalswitzerland. Diese Woche macht sie mithilfe der eigenen Redaktion gross PR für Unternehmen wie sich selbst. Denn die TX-Group ist wie auch Ringier selber ein Konzern, der einen Teil seines Gelds mit computerbasierter Auswertung grosser Datenmengen macht – zum Beispiel in der Werbung, auf den Online-Marktplätzen oder im Bereich Fintech. Sie investiert auch in Unternehmen wie PriceHubble, eine Firma, die Geschäftskunden Immobilienbewertungen und Objekteinsichten basierend auf Big Data Analytics und künstlicher Intelligenz anbietet.

Titelseite der TA-«Spezialausgabe».

Am Montag druckte das TX-Medienflaggschiff Tages-Anzeiger neun Seiten zum Thema «Künstliche Intelligenz» (eine ganzseitige Anzeige der ETH komplettierte den ersten Bund). Auf Websites der lokalen Medienmarken sollen die Artikel die ganze Woche über gestreut werden. Am Dienstag übertrug die TX-Group zudem die eigene Tech-Konferenz zum Thema live in der Tages-Anzeiger-App. Zu dieser Themenwoche setzte der Konzern auch noch eine Medienmitteilung ab.

Ein kritischer (allerdings bisher nicht online veröffentlichter) Essay des Digitalredaktors ausgenommen: Der Tenor dieser geballten Contentladung mit journalistischem Segen ist ziemlich unkritisch. Er lautet etwas überspitzt: Künstlicher Intelligenz gehört die Zukunft. Schon bald dürften Computer vielerorts den Menschen ersetzen.

Dieser unkritische Realismus ist wohl auch beabsichtigt. In einem begleitenden Editorial schreibt der Tagi-Co-Chefredaktor, man habe zwar auch gelernt, dass es Skeptiker gebe, die fänden, dass die neuen Maschinen gar nicht so kreativ seien, sondern einfach riesige Datenmengen wiederkäuen und in neuer Form wieder ausspucken würden. «Das mag sein. Aber zu beobachten, wie sich die Welt verändert, ist faszinierend.»

Dabei wäre es nicht so schwierig gewesen, eine kritische Position einzunehmen, welche nicht gleich in pauschale Skepsis verfällt. Zahlreiche Wissenschaftler tun dies und schreiben darüber. Wie etwa Joshua Gans und Avi Goldfarb im kürzlich erschienenen Buch «Power and Prediction: The Disruptive Economics of Artificial Intelligence».

Darin vertreten sie die Ansicht, dass künstliche Intelligenz in ihrer derzeitigen Verfassung besser als Vorhersagetechnologie zu verstehen ist, die Entscheidungsprozesse stark verändert. Sie sei keine Maschine, die alles tun kann, was Menschen tun. Heute befänden wir uns in einer Zwischenphase nach dem Erkennen des Potenzials Künstlicher Intelligenz und noch vor deren verbreiteten Auswirkungen.

«Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, werden die Veränderungen der Entscheidungen Machtveränderungen herbeigeführt haben. In der Wirtschaft verleiht diese Macht Gewinne. In der Gesellschaft verleiht sie Kontrolle», heisst es in einem Abstract.

Faszinierend, wie sich die Welt verändert.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

Eine Meinung zu

  • am 19.11.2022 um 07:49 Uhr
    Permalink

    KI, oder auch AI, wird überbewertet. Es gibt zwar Anwendungsgebiete, in welchen KI Sinn macht, aber in vielen Fällen geht es auch – oder sogar besser – ohne.
    Man darf bei KI auch nicht vergessen, dass dahinter IMMER Menschen stehen. Beim Schreiben der Algorithmen, Machen der Annahmen, Bewerten der Resultate sind Menschen mit ihren Vorurteilen, mir ihrem Glauben und Werten, mit ihren Projektionen und mit ihren Ideologien – und oft auch mit der Annahme, selbst richtig zu liegen und anderen überlegen zu sein, sind Menschen involviert. Der Algorithmus wird so geschrieben, dass er/sie das gewünschte Resultat erziehlt und ja das richitge (in den Augen der dahinter stehenden Menschen) lernt.
    Dazu werden auch schon mal die Eingangsdaten entsprechend gefiltert und für ‹fake news› erklärt, damit sie ja nicht in den Lernprozess einfliessen.
    Warum interessieren sich Massenmedien dafür? Die TX-Group macht sich für KI stark, welche das macht, was Medienunternehmen schon lange machen.

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