SRF-«Arena»: Das Problem heisst nicht Rigozzi
Nein, die «Arena/Reporter»-Sause, die in breiten Teilen der Deutschschweizer Presse um den letzten Sonntag herum veranstaltet wurde, kann man nicht so stehen lassen. Es ist nicht nur verdammte Pflicht und Schuldigkeit wegen der eigenen Vorabkritik. Es war und bleibt vielmehr weiterherum die falsche Debatte.
Die Medienkritiker – und vielleicht mal eine Kritikerin – versammelten sich alle um die Moderation der schönen und klugen Frau Rigozzi. Dabei war im Vorfeld schon klar, dass sie gut sein würde. Sie war mit ihrem auf die Sache und die Menschen konzentrierten Auftritt wahrscheinlich sogar die Beste in dieser insgesamt so verunglückten Inszenierung der «Arena/Reporter». Und nein: Sie war nicht einfach ein Nummerngirl. Sie hat in ihrem Dialog mit den Gästen am Telefon und im Studio klar journalistische Funktionen wahrgenommen.
Und genau an dieser Stelle beginnt das Problem, das wir zäh und unverdrossen immer wieder angehen müssen. Es geht um die Entwicklung des Informations-Journalismus, der mittlerweile auch in seinem Kern angegriffen wird von Kommerzialisierung und vom Marketingdenken. Er wird angegriffen von innen heraus. Und das ist manchen Verantwortlichen im Fernsehhaus in Zürich-Oerlikon offenkundig nicht mehr klar. Also führen auch sie die falsche Debatte.
Sie sind vor der Kritik ausgewichen in das Versprechen, in heiklen Fällen würde die Werbeträgerin und Markenbotschafterin Rigozzi in den Ausstand treten. Aber allein schon die Tatsache, dass sie öffentlich über einen möglichen Ausstand nachdenken, zeigt, dass da ein Problem liegt. Denn für alle Journalistinnen und Journalisten gilt der Satz aus der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalisten und Journalistinnen». Er lautet: Die Journalisten «nehmen weder Vorteile noch Versprechungen an, die geeignet sind, ihre berufliche Unabhängigkeit und die Äusserung ihrer persönlichen Meinung einzuschränken.»
Werberin, Markenbotschafterin, Journalistin
Das ist des Pudels Kern. Das Teuflische an Christa Rigozzis Hauptberuf ist nämlich, dass sie als Werbeperson und als Botschafterin für Schokolade, Kleinkredite, Markenuhren und anderes tunlichst jedes kritische Wort über die einschlägigen Unternehmen bleiben lässt und auch über die ganze Konsum- und Wachstumsgesellschaft – und zwar auch während ihrer Zeit als Fernsehmoderatorin. Mehr noch: Jedes Unternehmen, für das Frau Rigozzi als Botschafterin unterwegs ist, erwartet zu Recht, dass sie sich immer und überall mit diesem Unternehmen und seinen Produkten identifiziert.
Genau das lässt sich nicht vereinbaren mit der Aufgabe von Journalistinnen. Für die Journalistin hat die «Verantwortlichkeit … gegenüber der Öffentlichkeit den Vorrang vor jeder anderen …». Und das schliesst zwangsläufig Kritik an schädlichen Verhältnissen, Produktionen und Produkten ein. Das wiederum schätzen ihre vergangenen, gegenwärtigen und auch allfällige zukünftige Auftraggeber durchaus nicht.
Es ist nun einmal nach klassischem Verständnis die Aufgabe des Journalismus im Allgemeinen und des Service public im Besonderen, jede Macht – also auch die Wirtschaftsmacht – kritisch zu begleiten und darüber dem Publikum, also den Bürgerinnen und Bürgern, die Informationen zu liefern, die ihnen wohlbegründete Urteile und Entscheidungen ermöglichen.
Und in «Arena/Reporter» spielt Christa Rigozzi unzweifelhaft eine journalistische Rolle. Spätestes dann, wenn sie aus den Geschichten der Anrufer Fragen an die vier Studiogäste entwickelt. Da unterscheidet sich ihre Arbeit im Kern überhaupt nicht von der journalistischen Arbeit von Jonas Projer. Ich wäre gespannt zu lesen, wie der Chefredaktor des Schweizer Fernsehens den haarfeinen Unterschied zwischen den beiden herausarbeiten möchte. Die Leitungsfunktion von Projer kann es nicht sein.
Journalistisches Versagen
Die Sendung «Arena/Reporter» war allerdings nach dem «Reporter»-Film journalistisch bereits gescheitert, also noch vor dem «Arena»-Diskussionsformat. Die Redaktion schaffte es, in den ersten 35 Minuten und während der ganzen Sendung nicht die geringste Information über die Geschichte und die Aufgaben der KESB zu verlieren und über die zivilen Bürgerorganisationen, die ihr vorangegangen waren. Der Film verzichtete auf jede halbwegs unabhängige, nachvollziehbare Darstellung des Falles Kast. Weder auf den Philippinen noch in der Schweiz kamen Nachbarn oder gar Behörden so zu Wort, dass das Publikum sich hätte ein halbwegs begründetes, eigenständiges Urteil bilden können. Es war offenkundig eine journalistische Billigproduktion
Die einzigen Zeugen der Geschichte waren das Ehepaar Kast und von den beiden vor allem Christian, der Mann, der mittlerweile ziemlich routiniert wechselt zwischen seiner kriminellen Energie, der gebotenen Reue, wo sie unvermeidlich ist, und der Inszenierung eines wieder heilen Ehelebens – kurz: der schwer zu fassende Filou, der sich als Extremist gross macht und mit List und Charme und Tücke durchs Leben schlägt. Wenn wir Glück haben, werden wenigstens seine Gewalt-Phantasien nicht Wirklichkeit. – Der Erkenntnisgewinn? Nahe Null.
Marketing statt Journalismus
Weil aber der SRF-Chefredaktor die Entscheidung für Christian Kast unter anderem mit der breiten Darstellung des Falles Kast im «Blick» und in «20 Minuten» rechtfertigt, «die darüber grosses Aufsehen machen» und die «Story bis in alle Details ausgeschlachtet» haben, hier immerhin noch so viel: Ich kannte und kenne Chefredaktoren, die einen solchen Film allein schon mit der Begründung abgelehnt hätten, eine auf dem Boulevard derart ausgelutschte Story komme für den Service public von SRF – in einer Haupt-Informationssendung – ganz gewiss nicht in Frage.
Nein, der Fall Kast ist nichts anderes als die mittlerweile schon vertraute «Arena»-Nummer, die mit exzentrischen bis extremistischen Figuren Quote machen will. Und die damit das eigentliche Thema an den Rand der Aufmerksamkeit drängt. Marketing statt Journalismus. Man könnte auch sagen: Es fehlt das Vertrauen in die journalistische Substanz.
Um wenigstens anzudeuten, was bei allen Unterschieden mit «journalistischer Substanz» gemeint sein könnte: SRF hat neu den «Rundschau talk» ins Programm genommen, jenes Live-Gespräch, in dem Susanne Wille und Sandro Brotz einen Studiogast mit Ruhe, Kompetenz, Konzentration und Einfühlung – in der Tat auch Einfühlung, Emotion, Personalisierung – live befragen und dabei Spannung produzieren und Erkenntnisgewinn. Das Setting spielt dabei, neben den Leistungen der Akteure, eine nicht unwichtige Rolle: sie stehen nicht, sie sitzen (wie übrigens auch beim deutschen Erfolgsmodell «Hart aber fair!»). Und der oder die Befragte kann (meistens) ausreden. Sprich: einen Gedanken zu Ende führen.
Kein Interesse an Erkenntnisgewinn
Jonas Projer glaubt aber immer noch an Hick-Hack als Sendungskonzept. «In der Ära der Filterblase braucht es Formate, die Meinungen kollidieren lassen», lässt er sich im «Tages-Anzeiger» zitieren. In «Arena/Reporter» sind die Meinungen fast nur noch kollidiert und explodiert. Die SVP beherrscht mittlerweile nicht nur die politische Agenda in der Schweiz, sondern zunehmend auch den Diskussionsstil in der «Arena». Die wiederholte Beobachtung der Sendung lässt jedenfalls den Schluss zu, dass es zum Medientraining der SVP gehört, missliebige Argumente dadurch zu beseitigen, dass man den politischen Gegner unterbricht oder übertönt.
Und der Moderator leistet in «Arena/Reporter» noch stärker als sonst seinen Beitrag dazu, indem er Gedankengänge unterbricht oder auch einfach abbricht, bevor die Aussage zu einem vernünftigen Abschluss kommt. Und sei es nur, um mal wieder zu Christa Rigozzi und ihren Anrufern zu wechseln.
Aber: Gab es denn für Themen wie häusliche Gewalt, Sorgepflicht für Kinder, Rechte der Eltern und allfällige Pflichten des Staats überhaupt kompetente, unabhängige Fachpersonen im Studio, die nicht auch schon Partei waren? Zeigte die Sendung ein Erkenntnisinteresse, mit dem man für das interessierte Fernsehpublikum in wichtigen Lebensfragen nach Lösungsansätzen suchte? Fehlanzeige. Der autoritäre Diskussionsstil bestimmte die Sendung über weite Strecken, das heisst: Der jeweils grösste Schreihals setzt sich durch.
Politik als pures, polarisierendes Machtspiel.
Bestätigung der Machtverhältnisse
Im grossen Projer-Porträt im «Tages–Anzeiger» wird berichtet: «In seinem Computer pflegt er (Jonas Projer) eine Excel-Tabelle, die die Wähleranteile genau in ‹Arena›-Auftritte umwandelt. Projer scrollt über den Bildschirm, gleicht die Gäste des Jahres ab. ‹Schauen Sie, diese Partei hier werden wir in den nächsten Wochen wieder einladen. Sie ist leicht unter dem Soll.›» – Ich gehe davon aus, dass Jonas Projer diese Zitate gelesen und abgesegnet hat.
Der reglementierte Journalismus, der sich in der Excel-Tabelle zeigt, führt zu Journalismus als Spiegelung der Macht. Er führt zu einem Setting, in dem die Grossen vorn im Lichte stehen und die Kleinen im Schatten auf den Hinterbänken sitzen. Und das ist dann mehr als Spiegelung. Der reglementierte Journalismus führt zu einer Festigung der Macht. Mehr noch: Er ist schon Unterwerfung unter die bestehenden Machtverhältnisse.
Auch wenn die politischen Verhältnisse in einer demokratischen Wahl zustande gekommen sind, müssen sie vom ersten Tag an, an dem das neue Parlament zusammentritt, mit guten Gründen kritisiert, hinterfragt und in Frage gestellt werden können. So wie das gegenwärtig in den USA manche grossen Medien zeigen. Sie machen damit sicher auch Politik. Aber sie machen nicht Parteipolitik, sondern sie vertreten und verteidigen als private Unternehmen Grundwerte und Regeln einer freiheitlichen und rechtsstaatlich organisierten Gesellschaft. Das muss in der Schweiz auch der Service public leisten.
Geschichte, Politik, Demokratie
Es verlangt ein bisschen historisches und politisches Bewusstsein und ein bisschen Mut, sich formalistischen Ausgewogenheitsvorschriften zu widersetzen (die in Wirklichkeit so eng und rigide gar nicht sind), und den etablierten Macht- und Mehrheitsverhältnissen. Aber es ist überall notwendig und immer wieder und rechtzeitig. Donald Trump wurde von einer Mehrheit gewählt. Recep Tayyip Erdogan wurde gewählt. Rodrigo Duterte mit seinen philippinischen Mörderbanden wurde gewählt. Benito Mussolini wurde gewählt… –
Journalismus steht nicht im Dienst der Verfestigung bestehender Machtverhältnisse, sondern er dient ihrer Verflüssigung. Der Journalismus des öffentlichen Service public muss den Wandel nicht herbeiführen. Aber er muss ihn möglich machen, als Ausdruck einer lebendigen Demokratie.
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Und für alle, die es gerne anschaulich haben, geniessen Sie dieses Video von Michael Elsener:
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor war bis 2004 Mitarbeiter von SRG/SRF. Er hat als voll berufstätiger Journalist von allen Parteien professionelle Distanz gehalten. Seit 2016 ist er Mitglied der Grünen Partei der Schweiz. Er ist tätig als freier Publizist.
Michael Elsener bringt es auf den Punkt, jedenfalls fast.
Wo der «Journalismus» heute steht, hat Glenn Grennwalt treffender beschrieben:
https://www.youtube.com/watch?v=O9wQJS4n-nw&feature=youtu.be&t=625
Wo genau liegt der Unterschied zwischen Journalist und Schauspieler?
Es geht im Video um Terrorismus und was das überhaupt ist.
Etwas später im Video meldet sich Noam Chomsky zum Thema und erklärt, dass die Sache nicht neu sei.
Und was hat das mit der KESB zu tun?
Die KESB ist nicht neu, sondern einfach eine noch schärfere Organisations-Form um die Bürger zum schweigen zubewegen.
Es sind nicht die Anwälte und Journalisten die Ihren Beruf nicht mehr als Berufung ausüben dürfen, sondern nur noch als Job.
Sondern es ist der Staat, der Bedingungen geschaffen hat, in denen die Berufsleute gar nicht mehr vernünftig Arbeiten können. Weder Anwälte noch Journalisten können ihr Werk so ausführen wie sie es eigentlich müssten. Sie riskieren keine Arbeit mehr zu bekommen und werden Mundtot gemacht.
Genauso wie es Jonas Projer mit seinen «Gästen» in der Arena macht.
Das Problem heisst nicht Rigozzi, sondern «Informationskrieg».
Schon vergessen, überall könnten sie sein, die barfuss freilaufenden Kinder, die Eltern1+ Eltern2 die ihre Kinder für den Einkauf missbrauchen, oder 10 Minten ohne Aufsicht leben lassen… Sie sind einfach überall, die ausser der Norm lebenden Radiklen.
Ruoffs gründliche Analyse der Sendung und der verfehlten Arena-Methode sowie seine wiederholte Erinnerung an grundlegende journalistische Qualitätskriterien sind äusserst wichtig. Zusammen mit seinem Appell für den Service public der SRG-Medien unverzichtbar für unsere Demokratie . Merci. Elseners ironischer Beitrag dazu ebenso erleuchtend wie unterhaltend. Der Service public bei SRF steht massiv unter Druck, qualitativ von innen und politisch von aussen. Sich dafür einsetzen ist dringend geboten, wollen wir die meist hohe Qualität beim Radio erhalten und die Schieflage beim Fernsehen wieder ins Lot bringen. Dazu dienen solche Analysen. Es wird noch einige davon brauchen.
Vielen Dank. Obwohl es im Fernsehen wohl heikler ist, wünschte ich mir auch in den Printmedien eine klarere Trennung zwischen «JournalistInnen» und «PublireporterInnen». Selbst in den qualitativ besseren Zeitungen sind Artikel zu konsumnahen Themen eher versteckte oder sogar offen deklarierte Werbung, z.B. bei Reisen, Computer inkl. Smartphone, Auto. Sie haben die früher etwas fundierteren Artikel verdrängt.