Sperberauge
So führt die NZZ in die Irre
Aufmerksame NZZ-Leserinnen und -Leser wissen es: Da gibt es in diesem «Weltblatt» aus Zürich zwar die Seite «Meinung & Debatte», aber da sind gezielt ausgewählte Meinungsbeiträge, die die politische Position der NZZ bestätigen, öfter zu lesen als solche, in denen eine andere Meinung als die der NZZ zum Ausdruck kommt. Ein Beispiel nur: Da plädiert der NATO-Mitarbeiter Michael Rühle am 9. Mai für eine «nukleare Teilhabe» Deutschlands, also dafür, dass Deutschland nicht nur die Lagerung von US-amerikanischen Atomwaffen auf deutschem Territorium erlauben, sondern sich an der nuklearen Abschreckungsstrategie der NATO aktiv beteiligen soll. Eine andere «Meinung» als die der NZZ?
Am Freitag, 22. Mai 2020, war da nun ein Artikel des Berliner Osteuropa-Historikers Stefan Kirmse über die Cholera-Epidemie in Russland 1892. Schon damals war nicht ganz klar, ob sich der Zar um die Abwehr der Epidemie zu kümmern hatte, oder doch eher die regionalen Instanzen. Soweit so gut. Historische Rückblicke sind immer interessant und oft wertvoll.
Interessanter allerdings ist, was die NZZ-Redaktion als Einleitung zu diesem historischen Rückblick schrieb. In der gedruckten NZZ lauten die Headline und die Einleitung – der «Vorspann», das sogenannte «Lead» – so: «Der russische Patient. Im Umgang mit der Corona-Pandemie macht Putins Russland eine sehr schlechte Figur. Schon 1892 zeigte sich das Zarenreich der Cholera kaum gewachsen. Die Grenzen der Staatsmacht offenbarten sich schon vor der Revolution.»
Noch bemerkenswerter ist die Einleitung zu Kirmses historischem Bericht in der Online-Version der NZZ: «Der russische Patient – in Russland zeigt die Corona-Pandemie erstaunliche Parallelen zur Cholera im späten Zarenreich. Im Umgang mit dem Coronavirus macht Russland eine sehr schlechte Figur. Wurde die Gefahr zunächst systematisch heruntergespielt, steht es heute mit Todeszahlen da, die mutmasslich zu den höchsten weltweit gehören. Bereits 1892 zeigte sich das Zarenreich der Cholera kaum gewachsen.»
So war es am 22. Mai 2020 auf NZZ online zu lesen (Screenshot)
Drei Bemerkungen zu diesen Formulierungen seien erlaubt:
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Nachtrag vom 25. Mai 2020:
Für jene, die in der NYT, in der FT oder im «Economist» gelesen haben, dass Russland falsche Zahlen publiziert: So einfach scheint es nicht, das zu belegen. Das US-amerikanische Aussenministerium, das State Department, und innerhalb dieses Ministeriums das «Bureau of Global Public Affairs», hat am 21. Mai unter dem Titel «Exposing Russian Health Disinformation» einen Preis (ein «Grant») in Höhe von 250’000 US-Dollar ausgeschrieben für denjenigen, der bis am 20. Juni wissenschaftlich beweisen kann, dass Russland falsche Zahlen publiziert und der erklären kann, wie Russland das macht. Siehe www.grants.gov und dort unter der Opportunity Number SFOP0006937. Vielleicht hat Russland die Gefahr halt wirklich früher erkannt und schneller reagiert als zum Beispiel die USA – so wie einige EU-Länder im Osten auch.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. – Stefan Kirmse bestätigte auf Anfrage Infosperber, dass die beiden Vorspänne nicht von ihm geschrieben wurden.
Ich möchte da aber anfügen, dass Russland nur jene Toten als Corona Tote deklariert, welche nach Autopsie ausschliesslich an Corona starben, während der Westen alle ausweist, die *mit* Corona starben. Klar, der Westen hat katastrophal versagt, gegenüber Osteuropa, China, Mongolei und Vietnam hatten 0 Tote, alle Ostasiaten unter 10 pro Million.
@Harald Buchmann: In Polen hat es in den vergangenen Corona-Monaten sogar weniger Tote über ALLE Todesursachen hinweg gegeben, als in den gleichen Monaten vergangener Jahre, weil es des Lockdowns wegen weniger Verkehrsunfälle mit Toten und weniger Tote wegen der «normalen» Grippe gegeben hat, da die Menschen zuhause blieben und auch von der «normalen» Grippe nicht angesteckt wurden. Die tiefen Zahlen der Corona-Toten können also nicht einfach auf eine andere «Verbuchungsart» der Todesfälle zurückgeführt werden, wenn selbst das Total der Toten niedriger ist. Siehe dazu https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/tiefe-sterblichkeitsrate-in-polen?id=b7d67757-631a-4707-9c5e-da864c5beb26. Aus genau diesem Grund habe ich nicht nur die Todeszahlen in Russland, sondern auch die tiefen Todeszahlen in östlichen EU-Staaten angegeben. Mit freundlichem Gruss, Christian Müller
Zeit, dass die NZZ von Infosperber übernommen wird. Aber gemach, gemach, sie wird noch günstiger. 🙂
Im Februar 1999, in der Endphase der Rambouillet «Verhandlungen», sollte Serbien den Kosovo-Separatisten gegenüber einem Diktatfrieden zustimmen. Eine damals an den Kiosken ausgehängte NZZ-Schlagzeile dazu lautete: «Milosevic ist ein Kriegsverbrecher!"
Also ausgerechnet als es besonders brenzlig wurde, hat die «seriöse» NZZ, als Aussenposten der Presseabteilung des Pentagon, gelinde gesagt, einseitig informiert.
Mit weiteren europäischen «Leitmedien» verfolgt auch die NZZ in geopolitischen Angelegenheiten einen stramm transatlantischen Kurs. Die US-hörige Feindschaft gegenüber Russland kommt in Christian Müllers kritisiertem Russland-Corona Bericht klar zum Ausdruck.
Hier der Link zu ein paar anderen Fakten zum Thema, über die der Autor C.M. nicht schreibt:
https://www.economist.com/europe/2020/05/21/russias-covid-19-outbreak-is-far-worse-than-the-kremlin-admits
Mein zwei Thesen:
1. Die NZZ hat immer Recht.
2. Sollte sie doch mal irren, gilt These 1.
Kommentar zum «Nachtrag vo 25. Mai 2020»:
Der Termin vom 20. Juni 2020 des Bureau of Global Public Affairs für das Programm «Exposing Russian Health Disinformation» bezieht sich auf die Antragstellung, nicht die Ablieferung der Evidenz bzw. Projektresultate.
Ich bin NZZ-Leserin, aber mir ist völlig klar, wo sie in Bezug auf NATO und Russland steht. Ich ärgere mich auch regelmässig und suche darum immer auch andere Informationsquellen auf.