Sperberauge
NZZ und Tages-Anzeiger verdrehen den «Club of Rome»-Bericht
Red. Der Autor ist Arzt in Bern und politisierte früher in der Grünen Fraktion im Nationalrat.
«Wie konnte der Club of Rome mit seinen Untergangsszenarien so danebenliegen?» fragt der ehemalige Wirtschaftsredaktor Sergio Aioli in der NZZ und vermeldet triumphierend, dass die angeblich vorausgesagte Ressourcenverknappung nicht eingetreten sei. Er braucht dasselbe falsche Argument wie vorher der jetzige NZZ-Wirtschaftsredaktor Eisenring in seinem Artikel «Ewiges Wachstum ist kein Hirngespinst» oder soeben der Tagi-Chefredaktor Armin Müller in Faktencheck zum Umweltalarm – Lag der Club of Rome richtig?.
Dummerweise hat der Club of Rome eine Ressourcenverknappung im jetzigen Zeitpunkt nie vorausgesagt. Das Gratis-pdf des Berichtes fände sich hier, wenn man es denn lesen wollte.
Tatsächlich enthält dieser Bericht auf S.56ff eine Tabelle mit den damals bekannten Ressourcen samt Berechnung, wie lange sie bei exponentiellem Wachstum halten würden. Da klar war, dass in Zukunft weitere Rohstofflager dazukommen würden, wurde die Berechnung mit verfünffachten Ressourcen wiederholt.
Mit dieser hohen Sicherheitsmarge verschob sich die Ressourcenverknappung bei weiterem exponentiellem Wachstum lediglich um einige Jahrzehnte, grob gesagt von der ersten in die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts.
Was sich trotz einer Verfünffachung der Ressourcen oder einer Verdoppelung der bekannten Agrarfläche nicht wesentlich bewegte war der Ökokollaps durch die Umweltverschmutzung, der inzwischen schon unübersehbar begonnen hat: Kritisch sind nicht nur die steigenden Treibhausgase (im Bericht schon erwähnt!), sondern auch die Pestizide, die zusammen mit der Klimaerwärmung nicht nur zu einem weltweiten Insekten- und Vogelsterben geführt haben, sondern auch bis zu einer Halbierung der menschlichen Spermienzahl in den sog. «entwickelten» Ländern (Pesticides result in lower sperm counts – Harvard Gazette). Dazu kommt die Dezimierung der Meerestiere durch Plastikvermüllung und Ozeanversauerung, die Beispiele liessen sich beliebig mehren.
Derweil tobt in der Ukraine schon ein Ressourcenkrieg, der nicht der erste ist und nicht der letzte sein wird. Dort geht es um die Kornkammer Europas in Zeiten sich abzeichnender Dünger- und Nahrungsknappheit; um die Hälfte der Weltproduktion an Neon, welches für die Chipproduktion unerlässlich ist; und um die Kontrolle über Gasexportleitungen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Der Tagi-Artikel (im Bind) fand ich auch etwas einseitig und er erwähnte nicht einmal den Update des Berichts in 2012. Wie in Tagi-Artikeln zur Corona-Pandemie wird das exponentielle Wachstum viel zu einfach behandelt. «Grenzen des Wachstums» führte diesen Begriff mit den bekannten verständlichen Beispielen ein, zeigt aber gerade in den meisten erechneten Szenarien dass solches Wachstum nur während einer beschränkten Periode stattfinden kann und Zusammenbrüche nur passieren, wenn man nicht reagiert. So ist die Menschheit noch nicht wegen Verschmutzung oder Corona zusammengebrochen, auch weil man eben teilwiese doch reagiert hat. Das heisst nicht, dass es nicht noch passiern kann: die Modelle für das Klimagas CO2 stimmten schon damals ungefähr, und noch tun wir viel zu wenig, den extremen Anstieg zu bremsen.
Ich habe mir auch an den Kopf gegriffen ob diesen Oberflächlichkeit in den TAMedia-Zeitungen. Aber klar, Wirtschaftsredaktoren sind da halt etwas einseitig konditioniert.
Im einen Artikel haben sie sich anhand von nur zwei Indikatoren an einen «Faktencheck» herangewagt.
Die Grundübel sind ja die gleichen wie 1972:
1. prozentuales Wachstum ist exponentiell
2. Die Tragfähigkeit des Planeten ist trotz gewisser Effizienzgewinne begrenzt. Also ist der Kollaps unausweichlich.
Die Datenlage ist keineswegs besser geworden.
Danke für den Hinweis resp. die Klarstellung.
1972 arbeitete ich für die Unctad an einem Bericht zu den natürlichen Ressourcen. In Sachen Petrol galt damals, dass die Reserven 37 Jahre hielten, dass aber Shale-oil in praktisch unlimitierten Mengen zu einem Gestehungspreis von 10 Dollars pro Barril zu haben sein dürfte, würde man diese Technologie fördern.
37 Jahre später waren die gesicherten Reserven auf etwa 50 Jahre des nunmehr erhöhten Konsums gestiegen, das Shale-oil praktisch noch nicht angezapft.
Der Club of Rome war damals als intellektuelle Konstruktion beachtet, aber nicht wirklich ernst genommen worden. Der «silent spring» und das «Waldsterben» hatten zwar die Gemüter berührt. Aber damit hatte es sich denn auch.
Wenn ökologische Bewegungen in «hindsight» nur als emotionelle Episoden im Gedächtnis verbleiben, muss man sich doch fragen, ob solche «Wolfs-Schreie» die Entwicklung der Gesellschaft weiter bringen,
Ich muss zugeben, dass ich eine ähnliche Argumentation auch in meinen Vorlesungen an der Uni-Bujumbura vertreten habe. Bei einem Bevölkerungswachstum von 2.5% und einem Wachstum der Nahrungsmittelproduktion von etwa 1.5% braucht es nicht viel Imagination, um Probleme vorherzusehen.
Immerhin gibt es zu jedem neuen Kind nicht nur einen nach Nahrung verlangenden Kopf, sondern auch zwei Arme, welche in der Zukunft mithelfen können, die notwendige Nahrung zu produzieren.
Leider gibt es hier ein «time-lag» und es gibt keine Garantie, dass das temporäre Produktionsdefizit effektiv überbrückt werden kann. Wenn dazu noch von aussen fomentierte Kriegsaktionen zu einer beschleunigten Verstädterung führen, wird das Problem noch weiter verschärft.
Das Grund-Problem des Herrn Malthus wird lokal immer wieder durch externe Destabilisierungsaktionen verschärft. Krieg ist hier aber der grösste Motor der Problemschaffung und Oekologie etc bleibt eher zweitrangig. Die aktuelle Kostensteigerung in Energie- und Nahrungskosten, welche durch die Ukraine-Krise angeheizt wird, dürfte zu enormen Problemen in vielen «Entwicklungsländern» führen. Das scheint die Intransigenz der Nato nicht zu beeinflussen.
Der Krug geht zum Brunnen…
Lieber Herr Fierz. Sie haben offenbar die Hoffnung «auf eine bessere Welt» nicht aufgegeben. Die «bessere Welt» gibt und gab es nicht. Das wussten schon die philosophischen Autoren des alten Testaments, als sie die Metapher von der Vertreibung aus dem Paradies erzählten. Der «Club of Rome» hatte zur Zeit seiner Verfassung die Informationen noch nicht, die wir heute haben; sie hätten den Bericht um einiges pessimistischer abgefasst. Es gibt kein Zurück; man kann nur noch marginal verlangsamen, aber schon gar nicht aufhalten, geschweige denn zurückdrehen. Und niemand weiss, wann der oder die Verrückten auf den roten Knopf drücken. Wäre es nicht zynisch, so wäre es das beste für die Menschheit. Denn die Menschen haben keine Vorstellung von der Unendlichkeit. Der Menschheitsverbrecher Putin sowieso nicht!
Lieber Herr Lienhard, Die Welt wird halb von Gott und halb vom Teufel regiert, darüber habe ich 2016 ein Buch geschrieben («Begegnungen mit dem Leibhaftigen»). Der Club of Rome hatte 1972 alle Informationen. Wir haben sie 1972 so ernst genommen, dass die Gründung der Grünen Partei resultierte. Und seitdem begleiten uns die Falschzitate und die Unwahrheiten der Medien, die «beweisen», dass der Club und die Grünen falsch liegen. Deshalb sind alle vernünftigen Reaktionen misslungen, z.B. die Besteuerung der (fossilen) Energie, die wir schon in den Achtzigerjahren vorgeschlagen hatten. 1972 war es nicht zu spät, aber – da sind wir uns einig – jetzt ist es zu spät. Jetzt haben wir die Ressourcenkriege, mit denen immer zu rechnen war. Und da erbittert es, wie NZZ und Tagi ihre Unwahrheiten unbeirrt weiterverbreiten, obschon inzwischen Gewissheit besteht, dass unsere Welt enden wird, das braucht nicht mehr Jahrhunderte, eher Jahrzehnte, wennicht nur Jahre. Bezüglich Putin empfehle ich Tim Marshalls «Die Macht der Geographie» (2015) und den Vortrag von Pozner -«How the United States created Vladimir Putin (https://www.youtube.com/watch?v=8X7Ng75e5gQ).
Danke, dass Sie das Thema aufgreifen. Die zwei Zeitungsberichte sind tatsächlich betrüblich, auch wenn andererseits löblich, dass sie überhaupt an den Bericht des Club of Rome erinnern. Das eigentliche «Sakrileg» des Club of Rome besteht meines Erachtens darin, dass hier eine Gruppe von Wissenschaftlern versucht hat, Konsequenzen und Zusammenhänge unseres Wirtschaftens klar aufzuzeigen. Der Wert des Berichts liegt in seiner unbequemen Botschaft. Diejenigen, die am Raubbau an den Ressourcen wie auch an den Kriegen um die Rohstoffe verdienen, lassen nichts unversucht um den vernünftigen Blick abzuwerten und anzuschwärzen oder lächerlich zu machen. Dass eine «bessere Welt» möglich ist, ist offensichtlich. Wir hören nicht auf, unsere technische Umgebung zu verbessern. Weshalb sollte es nicht möglich sein, auch unsere gesellschaftlichen und wirtschaftlichen zu verbessern? Wer versucht uns immer wieder einzureden, «der Mensch sei halt so»? Das stimmt eben nicht. «Der Mensch» ist lernfähig. Aber dazu muss man die wissenschaftliche Literatur ernst nehmen. Der Bericht des Club of Rome gehört ebenso dazu wie jüngere historische Studien von Rutger Bergmann («Im Grunde gut») oder Graeber/Wengrow («Anfänge»).