Sperberauge

Nabelschau im Spiegel der NZZ

Hanspeter Guggenbühl © bm

Hanspeter Guggenbühl /  «Selbstbespiegelung» im Journalismus ist so häufig wie verpönt. Diesen Widerspruch führt uns die NZZ vor Augen.

Es musste wieder einmal geschrieben werden, und Redaktor Michael Furger tat es in der neusten «NZZ am Sonntag» auf Seite 14: Journalisten (Journalistinnen meinte er wohl mit) sollen Geschichten erzählen, «Geschichten über diese Welt, über das Leben, über grosses Leid und höchstes Glück», denn: «Mit Geschichten transportieren wir Informationen, die wir gesammelt haben, lenken die Aufmerksamkeit auf Unrecht, Missstände, Erfolge.» Diese Aufgabe des Journalismus werde aber bedrängt von der «Selbstbespiegelung», schreibt Furger weiter und kritisiert: «In der Selbstbespiegelung geht es nur um ihn. So denken Journalisten derzeit laut über ihre Neujahrsvorsätze oder Kinder nach, schreiben offene Briefe an Prominente, gehen ins Kloster und schildern ihre Erkenntnisse oder fassen in Worte, was ihnen beim Pult-Aufräumen gerade durch den Kopf rauscht. Diese Selbstbespiegelung ist ein Akt der Eitelkeit.»

Recht hat er, denke ich beim Lesen und schäme mich ein Bisschen, weil ich in den letzten 365 Tagen selber vier Texte (jetzt sind es fünf) veröffentlichte, in denen ich das Wort «ich» schrieb und dabei mich selber meinte. Und ja, zu viele Köpfe und zuweilen «offene Briefe» gibt es auch im «Infosperber».

Während NZZ-Redakor Furger seine Kritik über die eitle Selbstbespiegelung formulierte, schrieb NZZ-Redaktor Patrick Imhasly im Büro nebenan den Text, den er in der gleichen NZZ am Sonntag auf Seite 16 veröffentlichte unter dem Titel «Ausverkauf ist meine Leidenszeit». Darin schildert er ausführlich, was in seinem Kopf rauscht: «Ich fühle mich von all diesen marktschreierischen Angeboten in den Zeitungen, im Internet und in den Schaufernstern hoffnungslos überfordert.» Im Warenhaus wandelt sich seine Spiegelung dann zur plastischen Nabelschau: «Aus Angst, etwas zu verpassen, habe ich mir eingeredet, dass die abgeschriebenen Jeans perfekt sitzen, obwohl ich mir damit bereits im Spiegel der Umkleidekabine fett und hässlich vorgekommen bin.» Womit NZZ-Redaktor Imhasly den NZZ-Kritiker Furger wenigstens in einem Punkt widerlegt: Selbstbespiegelung funktioniert auch ohne Eitelkeit.


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2 Meinungen

  • am 10.01.2017 um 08:52 Uhr
    Permalink

    Noch ein Beispiel gefällig? Dann schauen Sie mal wie sich Herr Gujer (Chefredaktor NZZ) in der Sendung «Standpunkte» selber zelebriert.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 11.01.2017 um 11:56 Uhr
    Permalink

    "Ich» schreiben ist nicht verboten, sogar Journalistenlegende Meienberg praktizierte es, wenngleich nicht sehr häufig, und bei einem Textilien-Ausverkauf über eigene Erfahrungen zu berichten, drückt legitime Authentizität, nicht Selbstbespiegelung aus. Man muss aber klar zwischen der NZZ am Sonntag, einer durchschnittlich flachen sog. Forum-Zeitung, und dem Original der NZZ unterscheiden. Bei Infosperber, wo teilweise erfahrene emeritierte Profis schreiben, wäre meines Erachtens das Element der Journalisten-Memoiren absolut legitim. Das Ansprechen persönlicher Erfahrung für die Illustration einer These kann dann eine interessante Lektüre abgeben, wenn einer nun mal vierzig oder fünfzig Jahre lang im Job tätig war. Das eigene Beispiel sollte natürlich nicht nur zum Rechthaben verwendet werden, vielleicht auch mal zur nicht schmunzelfreien Selbstdistanzierung, z.B sogar. bei der Feindbildanalyse. «So sah ich Blocher früher und so sehe ich ihn jetzt» usw. Unter den Beiträgen, die relativ betont zu einer subjektiven Note stehen, scheinen mir – trotz sprachlicher Kritik – diejenigen von jürgmeier regelmässig lesenswert. Dabei verwendet er das Wort «ich» vergleichsweise zurückhaltend, wirkt nie persönlich eitel. Bei Ramseyer schliesslich spürt man und schätzt man bei jedem Beitrag das persönliche Hinstehen, selbst wenn er nicht «ich» schreibt.

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